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Hosting Clouds

Unsichtbar und angreifbar – so erscheint die digitale Welt der Mehrheit der Bevölkerung. Dennoch ist dieses Medium in unserer Gesellschaft präsenter als gedacht und aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken. Von dem E-Banking, dem Homeoffice, den virtuellen Speichermöglichkeiten über die digitalen Kommunikationskanäle bis hin zum virtuellen
Shoppingerlebnis und zu diversen Apps des täglichen Gebrauchs findet bereits ein erheblicher Teil unseres Alltags im Netz statt. Doch auch diese vermeintlich nicht materiellen Ressourcen und Daten hinterlassen ihre realen Fussabdrücke – Datenspeichergebäude. Eines dieser relativ jungen Gebäudetypologien konnten Gruner & Friends dieses Jahr in Glattbrugg in der Nähe von Zürich fertigstellen und haben damit
der virtuellen Welt eine Form gegeben.

Wo Flugzeuge, Zug und Tram den regen öffentlichen Verkehr abfertigen und Reisende sowie Güter transportieren, steht auch eine weniger materielle Ware im Zentrum. Im Gebäudekomplex zwischen Schienen und Landebahnen sowie eingerahmt von markanten Bürogebäuden, findet die virtuelle Welt in Glattbrugg ihre Schnittstelle zur realen Welt: Die Bauten ZUR1 und ZUR2 sowie neuerdings das ZUR3 verleihen den Clouds wortwörtlich (Fire-)Walls. Dabei verbindet der Neubau des international tätigen Basler Büros Gruner & Friends nicht nur Materielles mit Digitalem, sondern knüpft zugleich auch baulich an die bestehenden Rechenzentren an. Mit einem Blick in Richtung Zukunft bieten diese die notwendige Kapazität, um dem steigenden Bedarf an Serverleistung gerecht zu werden, und stellen somit wichtige Eckpfeiler für die künftige Erweiterung des neuen innovativen Campus auf diesem Areal dar. Dabei nimmt die Digitalisierung nicht nur im Raumprogramm eine zentrale Rolle ein: Bereits in der Planung und Umsetzung des Gebäudes wurde auf ein integriertes BIM-System für Interxion (Digital Realty) gesetzt, das die komplexe interdisziplinäre Zusammenarbeit unter den Fachplanern vereinfachte und von Gruner & Friends koordiniert wurde. Als Resultat dauerte der Entwurfs- und Bauprozess lediglich 2,5 Jahre, was angesichts der Grösse, technischen Komplexität und Koordinationsanforderungen für ein solches Projekt als vergleichsweise kurze Zeitspanne gilt.

Neue Zeiten
Mit zunehmender Digitalisierung steigt gleichermassen die Datenmenge an, was in einer höheren Nachfrage nach Serverleistung resultiert – gleichzeitig nehmen die Sicherheitsanforderungen rund um die Speicherung dieser mehr oder weniger privaten Daten zu. Als eine Art Bank digitaler Ware und Währungen erweist sich das Rechenzentrum als relativ junge Bauaufgabe und verkörpert zugleich den enormen Wert dieser immateriellen Güter. Auch wenn diese Gebäudetypologie Aussenstehenden relativ simpel erscheint, stellt diese Architekten vor bisher unübliche gestalterische Herausforderungen und ist mit komplexeren technischen Ansprüche verbunden. Demnach treten zwar Themen wie natürliche Beleuchtung, der Tageslichtanteil und das Wohlfühlambiente sowie die gestalterischen Finessen der Innenräume in den Hintergrund der Planung, wohingegen die technischen Belange rund ums Gebäude viel mehr Gewicht erhalten. Somit stehen Aspekte wie Logistik, Sicherheit, Brandschutz und Gebäudetechnik im Fokus, welche in enger Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachplanern umgesetzt wurden. Mit dem ZUR3 haben Gruner & Friends nun das bisher grösste Rechenzentrum der Schweiz umgesetzt, das beinahe 31ʼ000 m2 Fläche gesicherte Lagerflächen und 11ʼ400 m2 Kundennutzfläche, Büros, Besprechungsräume und Laderampen unter seinem Dach vereint. Diese Dimension des 143 m langen und 57 m breiten Neubaus, der komplett mit erneuerbarer Energie versorgt wird, entspricht flächenmässig dabei vier Fussballfeldern, die sich auf vier Etagen verteilen.

Alles in Ordnung
Eines der grossen Stichworte dieses Projekts ist Struktur – von der Datenaufbereitung und -verwaltung bis hin zur Konstruktion selbst. Letztere wurde so geplant, um den Informationsfluss mit der Koordination und dem Baufortschritt in Einklang zu bringen und damit den Anforderungen der über 400 Mitarbeiter auf der Baustelle gerecht werden zu können. Neben dem architektonischen Entwurf trug das Büro zudem die Verantwortung für die Koordination von Lieferanten und Auftragnehmern und hatte auf der Baustelle die gestalterische Leitung inne. Unter den Eckpfeilern  Sicherheit, Effizienz, Nachhaltigkeit und erneuerbarer Energie schufen die Architekten ein funktionales und bestmöglich an die Umgebung adaptiertes Gebäude. Die geplante mehrschichtige Architektur, ergänzt durch ein hoch entwickeltes Sicherheitskonzept, und die bewusste Platzierung des Bauwerks machen dieses letztlich zu einem der sichersten Rechenzentren. Gewährleistet wird dieser hohe Sicherheitsstandard durch diverse Kontrollbarrieren sowie hochmoderne Alarm- und Überwachungssysteme in Kombination mit fortschrittlichen Brand- und Wasserdetektionssystemen, die den Rundumschutz des ZUR3 garantieren. Diese verschiedenen Sicherheitsschichten sind dabei in einer ringförmigen Struktur organisiert, die dadurch gleichzeitig das Innere des Gebäudes definiert. Ein quaderförmiger, viergeschossiger Baukörper mit einem zentralen Innenhof ist das Ergebnis; er glänzt mit seiner reflektierenden Fassade an einem der frequentiertesten Verkehrsknotenpunkte in der Nähe von Zürich.

Verhüllt
Um jedoch letztlich nicht einfach eine geschlossene, reflektierende Box in der Landschaft zu präsentieren, wurde für die äussere Gestaltung eine Kombination verschiedener Schichten gewählt. Als ein metallener Vorhang schützt die Aussenhaut das wertvolle Innere und spielt zugleich mit den Proportionen des grossen Bauvolumens. So wurde das Fassadendesign darauf ausgelegt, dass das des kompakte Volumen nicht als solches wahrgenommen wird und um die insgesamt 8128 m2 grosse Fassadenfläche optisch zu minimieren. Dies wurde unter anderem durch den Einsatz modularer eloxierter Aluminiumpaneele erreicht, die in sechs verschiedenen Formen gebogen, zwei verschiedenen Breiten geplant und in zwei verchromten Tönen fertiggestellt wurden. Die Kurven der Paneele folgen dabei ähnlichen Radien, sodass die verschiedenen Formen beim vertikalen Anbringen gemischt werden konnten und eine standardisierte Produktion ermöglicht werden konnte. Inspiration für die Gebäudehülle mit der chrombeschichteten Oberfläche holten sich die Planer von der vierten Dimension des visionären Sci-Fi-Films „Interstellar“ des Regisseurs Christopher Nolan und realisierten letztlich durch die Kombination der gebogenen sowie gestreckten Aluminiumfassadenelemente mit Licht einen beeindruckenden visuellen Effekt. Insgesamt wurden 2110 gestreckte Aluminiumpaneele in vertikalen Bändern angeordnet und erzeugen somit einen Vorhangeffekt, der dem monolithischen Eindruck des funktionellen,  maschinenähnlichen Gebäudes entgegenwirkt. Zugleich ermöglicht die Perforation der einzelnen Paneele eine effiziente Wärmeableitung und Kühlung der Transformatoren. Befestigt wurden die einzelnen Fassadenmodule an einer verdeckten Aluminiumunterkonstruktion, die mit einer wasserdichten, atmungsaktiven Membran bedeckt ist. Zwischen den Paneelen und der Membran entsteht somit ein belüfteter Hohlraum, welcher die Temperatur reduziert und die Arbeitsleistung hinter der Dämmung steigert. Auch im Innenhof des Neubaus wurde die Fassadengestaltung derart ausgeführt, um von visuellen Effekten und physischen Vorteilen profitieren zu können: Da der kleine Hof die Hauptlichtquelle für die nordseitig arrangierten Büros präsentiert, wurde auf die reflektierenden Eigenschaften der Verkleidungspaneele gesetzt, um explizit für diese Räume ein angenehmes Lichtspiel und eine natürliche Beleuchtung zu ermöglichen. Zugleich gewährleistet die innen liegende Gebäudehülle ein Mikroklima, welches für eine florierende Vegetation sorgt und das Wachstum der Grünpflanzen im Innenhof gewährleistet. Der Innenhof fungiert somit als grüne Oase des Hightechgebäudes und bietet wertvollen Raum für die Mitarbeiter zum Austausch und zur Entspannung während der Pausen. Der Innenhof repliziert zudem das regenschirmähnliche Design der äusseren gebürsteten Aluminiumverkleidung und gewährleistet eine nahtlose Fassadenkontinuität mit den Aussenwänden.

Kontraste
Unterbrochen oder vielmehr aufgebrochen wird der glänzende Vorhang der äusseren Hülle scheinbar unwillkürlich von mehreren Einschnitten, die in unterschiedlichen Zonen des Gebäudes, dessen technisches Inneres der Aussenwelt offenbaren. Diese Öffnungen, die beispielsweise die Treppenhausausgänge, die Ladebuchten, die Brückenverbindung zum ZUR2 sowie den Haupteingang der Réception aufnehmen, stellen dabei zugleich besondere farbliche Entwurfselemente dar und heben sich mit ihrer schwarzen Lackierung vom silbernen Gesamtbild der Fassade ab. Zur besseren Orientierung wurden die Laderampen zudem mit Buchstaben versehen und erlauben dank ihren Dimensionen und ihren grosszügigen Vordächern eine witterungsgeschützte Anlieferung der Fracht per Lastwagen. Der Haupteingang des Datenspeichergebäudes befindet sich auf der gegenüberliegenden Gebäudeseite, ist in Richtung der Tramlinien 10 und 12 orientiert und neben den anderen Gebäuden des Digital-Realty-Campus zu finden – eine subtile Geste an die Ankommenden. Vor allem an diesem Zugang ist der beabsichtigte gestalterische Effekt des Durch- und Aufschneidens der Gebäudehülle ersichtlich und wird beim Betreten des Bauwerks erfahrbar. Zugleich gestaltet dieser Einschnitt hier zwei Vordächer mit unterschiedlichen Neigungen aus: Zum einen garantieren diese so einen geschützten Zutritt ins Gebäude und bieten einen trockenen Fahrradparkplatz; zum anderen legen sie das verglaste Innere des Gebäudes frei und lassen zugleich Licht von Nordwesten in die Innenräume hinein.

Digitalität
Gestalterisch wie funktional stellt der Neubau so auf mehreren Ebenen wahrlich eine Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Realität dar: Durch die Büroräumlichkeiten auf der Nordseite des Gebäudes, die – neben der Serverkapazität – von den gehosteten Unternehmen gemietet werden können, zieht ein Hauch des echten Lebens ins Datencenter ein. Von aussen sind die Arbeitsflächen, die sich über drei Stockwerke verteilen, durch die Fensteröffnung in der ansonsten geschlossenen Fassade zu erahnen und bringen den Bezug der virtuellen Welt zum echten Leben zum Ausdruck. Zugleich eröffnet diese lebendigere Gebäudeseite einen Dialog mit dem angrenzenden ZUR2, indem die Büroräume beider Bauten sich gegenüberliegen und zudem dort über einer Brücke auch baulich miteinander verbunden sind. Diese zweigeschossige Verbindung erlaubt es dem Personal – dank verdunkelter Scheiben auch unbemerkt – zwischen den beiden Datenspeichergebäuden zu wechseln, wobei dank angemessener Zutrittskontrollen die nötige Sicherheit auch hier durchgehend garantiert wird. 

Energie geladen
Der Sicherheitsaspekt spielt jedoch auch in Bezug auf physische Gefahren eine wesentliche Rolle: In Anbetracht der enormen Energiemengen und Voltzahlen sowie durch die hohe Dichte an Elektrizität im Gebäudeinneren rückt der Brandschutz in den Fokus des Sicherheitskonzepts – für die digitalen Warengüter sowie selbstverständlich für die Mitarbeitenden. Ein gut durchdachtes Brandschutzsystem basierend auf Gas als Löschmittel garantiert im Brandfall eine schnelle und effektive Feuerbekämpfung. Vorsorglich wird auf eine dauerhafte, durchgehende Gebäudekühlung fokussiert: Hierfür wurde zuoberst ein „leeres“ Geschoss geplant, das durch Luftzirkulation auf natürliche Weise das Temperieren des Bauwerks unterstützt und den Energieaufwand hierfür möglichst gering halten soll. Um gleichzeitig die im Gebäude entstehende Wärme sinnvoll zu nutzen, soll sie künftig gesammelt und dem umliegenden Quartier zum Heizen bereitgestellt werden. Den notwendigen Strom bezieht das Datencenter aus dem öffentlichen Elektrizitätsnetzwerk, es kann sich im Falle eines Stromunterbruchs oder -engpasses jedoch dank seinen 24 Notstromaggregaten temporär selbst versorgen. Zudem stand die Idee, das Dach für Solarenergie zu nutzen und ein autarkes Gebäude zu realisieren, im Raum, musste letztlich aber aufgrund der zu geringen Leistung bzw. Stromstärke der Solarpaneele verworfen werden.

Transformation
Leistung ist in unserer schnelllebigen, sich stets transformierenden Welt auf allen Ebenen ein zentrales Thema, ebenso wie die Sicherheit, die hinsichtlich der steigenden Digitalisierung vor allem auch in der virtuellen Welt und für unsere digitalen Fussspuren von grosser Bedeutung ist. Daneben verlangt die Dynamik unserer aktuellen Zeit zugleich ein erhöhtes Mass an Flexibilität, der das Bauwesen ebenso gerecht werden muss. Dementsprechend wurde auch beim Bau des ZUR3 die Möglichkeit der Umnutzung und Variation berücksichtigt und die innere Gebäudestruktur hierfür ausgelegt: Innenwände aus Ziegelmauer und reversible Einbauten erlauben multifunktionale Nutzungen und variable Raumgrössen, die künftig neue Arrangements und Anordnungen fordern – auch die Gebäudestruktur selbst lässt sich in ihren Einzelteilen problemlos wiederverwenden.

Weiterdenken
Dennoch scheint der Bedarf an Datenspeichergebäuden – vor allem in Anbetracht der stetig steigenden Digitalisierung – auch künftig gewährleistet zu sein. Diese relativ junge Bauaufgabe wird sich somit immer mehr als ein alltägliches architektonisches Projekt etablieren und insbesondere rund um Ballungszentren zum Standard werden. Angesichts dieser Entwicklungen wird der Umgang mit dieser Art von Bauwerken zum neuen Experimentierfeld für Architekt:innen werden. Ob als eigenständiges oder als multifunktionales Gebäude mit gemischtem Raumprogramm, ob oberirdische oder letztlich doch unterirdische „Wolkenspeicher“, die Vielfalt in deren Gestaltung wird die Architekturwelt auf Trab halten. So wie die Entwicklung der digitalen Welt selbst eine schier grenzenlose und vielfältige Spielwiese widerspiegelt. Hier wurde bereits ein wichtiger Schritt hinsichtlich der Gestaltung dieser Bauwerke gemacht, die bisher mehr als funktionelle Aufgabe mit einem geringen Designanspruch gehandhabt wurde.

© GRUNER&FRIENDS

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