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Neues Leben schenken

Am Plateau des sanften Hügels, nebst dem Museum Rietberg im Zürcher Stadtteil Enge, sticht ein Bauwerk besonders hervor: Ein auffallender Stahlbetonbau aus den 1970er-Jahren markiert hier den Anfang der Bürglistrasse. Einen hohen Wiedererkennungswert erlangt der Baukörper durch seine abgestufte Gebäudeecke, die die Rundung des an der Kreuzung liegenden Grundstücks aufgreift. Mit dieser optimalen Anpassung an die Bauflucht bildet der Bestandsbau in zweierlei Hinsicht einen formalen Kontrast zu seiner Umgebung – sowohl architektonisch als auch in seiner Nutzung.

Umgeben von historischen Villen und klassizistischen Bauwerken, ist das seit seiner Erstellung stets gewerblich genutzte Gebäude eine einprägsame Landmarke im idyllischen Wohngebiet. In seinen Anfängen beherbergte es den Hauptsitz der Ringmanufaktur Meister und wurde danach ab 1996 von der Betty Bossi AG als Verwaltungsbau mit integrierten Testküchen zur Produktentwicklung genutzt. Neuerdings konnte eine Ärztegruppe als Mieterin für das grosszügige und lichtdurchflutete Gebäude gewonnen werden, wodurch hier nun im doppelten Sinne neues Leben geschenkt wird. Den umfangreichen Innenumbau haben sich Lippuner Sabbadini Architekten zur Aufgabe gemacht und ein Neurozentrum für Diagnostik und bildgesteuerte Behandlungen geschaffen. Auf fünf Geschossen verteilt, werden auf ungefähr 1400 m2 Nutzungsfläche unterschiedliche neurologische Disziplinen angeboten: Dazu zählen unter anderem Untersuchungen mit Computertomographie (CT) oder Magnetresonanztomographie (MRT) sowie Radiochirurgien mithilfe eines „Gamma
Knifes“, welches Hochpräzisionsbestrahlungen ermöglicht.

Grundlage schaffen
Zu Beginn des Umbaus stand der komplette Rückbau des bestehenden Mieterausbaus, der die Entfernung aller nichttragenden Zwischenwände, der Haustechnikinstallationen sowie eine umfassende Schadstoffsanierung beinhaltete. Danach wurde der Bestandsbau den neuen statischen Belastungen entsprechend verstärkt, dessen Gebäudetechnik komplett ersetzt und um die erforderlichen hohen Leistungsansprüche erweitert. Gleichzeitig wurde die charakteristische Sichtbetonfassade instandgesetzt, wofür die Betonelemente gründlich untersucht, rostende Armierungen freigelegt und behandelt wurden, um anschliessend die Betonteile reprofilieren zu können. Ebenso mussten die alten Dilatationsfugen mit gesundheitsschädlichem PCB (Polychlorierte Biphenyle) sorgfältig entfernt und durch neue Fugen ersetzt werden. Mit diesen ersten Schritten erarbeiteten sich die Architekten eine „Carte Blanche“ als Grundlage, um die einzelnen Funktionen des neuen Raumprogramms geschickt im Bestandsbau organisieren zu können. 

Qualitäten nutzen
Dabei prägte vor allem die Synthese der bestehenden Architektur mit der neuen Nutzung den Entwurf des Umbaus. Charakteristisch für das Gebäude aus den frühen 1970er-Jahren ist dessen robuste und insbesondere klar gegliederte Struktur: Ein durchgehendes Stützenraster ermöglicht die offene Raumeinteilung, während das Treppenhaus mit dem Liftkern die vertikale Verankerung im statischen System ausbildet. Um eben jene vorhandene Erschliessung sowie den freien Grundriss geschickt zu nutzen, entschieden sich die Zürcher Architekten, die einzelnen Abteilungen geschossweise in den Bestand zu integrieren – und gleichzeitig die klare Lesbarkeit des Baukörpers zu verstärken. Dabei wurde bei der Verteilung der verschiedenen Abteilungen darauf geachtet, die medizinischen Grossgeräte vor allem im Erdgeschoss zu platzieren – eine statische, logistische als auch repräsentative Entscheidung, um so deren zentrale Bedeutung für das Neuroinstitut zu betonen.

Klare Struktur
Überaus besucherfreundlich schliessen sich die jeweiligen Empfangsbereiche ans Treppenhaus an: Vielmehr als das Geschehen im Empfangsbereich eröffnet sich dem Besucher beim Betreten des Geschosses – dank der grossflächigen Bandfenster in der Aussenwand – ein einzigartiger Ausblick auf den Zürichsee und die Stadt selbst. Gleichzeitig können die Planer so einen hohen Tageslichtanteil in den Warteräumen garantieren, der sich positiv auf das Wohlbefinden und die Stimmung der Patienten auswirkt. Doch auch im kleinen Massstab wurde die Gestaltung der Räumlichkeiten fertig gedacht: Mit viel Liebe fürs Detail wurden feine Linienmotive in die Empfangstheken eingefräst, die einen Bezug zur Formensprache des Bestandsbaus herstellen. Lotrecht zum Treppenhaus führt ein Korridor in seiner ganzen Länge durch die gesamte jeweilige Etage. Direkt an diesen grenzen die mit Teeküchen ausgestatteten Aufenthaltsbereiche an, wodurch der Innenraum zusätzlich an Weite als auch an natürlichem Licht gewinnt. Durch diese geschickte Funktionsanordnung entsteht eine geschichtete Transparenz innerhalb der Räumlichkeiten, die die neue Nutzung harmonisch mit der vorhandenen Architektur verbindet. 

Privatsphäre wahren
Im Erdgeschoss und dem ersten Obergeschoss verteilen sich jeweils mehrere Sprechzimmer sowie separierte Diagnoseräume der Ärzte. Zudem sind in jedem der beiden Stockwerke getrennte Sanitärräume für Personal und Patienten als auch Nassräume samt Umkleidemöglichkeiten für die Mitarbeiter untergebracht. Die ehemaligen Tresorräume der Manufaktur Meister wurden schlicht und einfach zu Lagerräumen umfunktioniert, da hier beste Vorraussetzungen zur optimalen Lagerung der Arbeits- und Gebrauchsmaterialien gegeben sind. Das zweite Obergeschoss ist hingegen vorwiegend der Fortbildung gewidmet: Hier befinden sich die Seminar- und Weiterbildungsräume, die von einer beinahe umgehenden Terrassenfläche umspielt werden und dank grossflächiger Glasfronten einen beeindruckenden Panoramaausblick zulassen. Doch selbst im ersten Untergeschoss kommen die Raumqualitäten nicht zu kurz: Die Büroräumlichkeiten der Ärzte werden sowohl durch den Gartenzugang als auch die Ausleuchtung mit Tageslicht von Osten her in ihrer Atmosphäre enorm aufgewertet. Im Geschoss darunter befindet sich die hauseigene Tiefgarage mit zwölf Stellplätzen, die dem Personal gleichermassen wie Patienten zur Verfügung stehen. Und selbst hier ist eine natürliche Belichtung garantiert, die durch Oberlichter der Firma Cupolux selbst unterhalb der Oberfläche eine angenehme Atmosphäre schaffen.

Wohlbefinden fördern
Das wohnliche Ambiente der Innenräume wird nebst dem hohen Tageslichtanteil von dem harmonischen Zusammenspiel der Gestaltung durch Farben, Texturen und Formensprache erreicht – ohne dabei der Ordnung und Funktionalität der neuen Nutzung entgegenzuwirken. Als Referenz zur Materialisierung des Ausbaus bedienten sich die Architekten der Sprache des ursprünglichen Bestandsbaus, die ebenso die Farbpalette bestimmte. In enger Zusammenarbeit mit der Bauherrschaft wurde daraus das Leitbild und das einheitliche Konzept des Neurozentrums erarbeitet. Natürliche Materialien wie Eichenholzparkett, kombiniert mit Elementen wie den mineralischen Spachtelböden – die subtil an die gewerbliche Vergangenheit erinnern – schafften so eine ruhige und elegante Umgebung. Bewusst rückten die technischen sowie klinischen Komponenten in den Hintergrund, um eine angenehme Atmosphäre während der ärztlichen Untersuchungen zu gewährleisten. Einen wahren Blickfang im Gegensatz zur schlichten Innenausstattung stellt die bronzefarbene, gerasterte Metalldecke dar: Spielerisch wurden hier Acrylprismen zu Leuchtfeldern arrangiert, lockern dadurch die geometrische Strenge des Plafonds auf und geben ein warmes Lichtspiel wieder. Formal lösen sich die Lichtelemente eigentlich in Pixel auf, die als Metapher für die mehr als präsente Digitalisierung innerhalb der modernen Diagnostik verstanden werden können.

Sicher ummantelt
Gleichermassen wie dem Einrichtungskonzept musste auch dem technischen Ausbau Aufmerksamkeit geschenkt werden, um dem heutigen Standard der Medizin gerecht werden zu können. Denn die besonderen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden erfordern spezielle technische und zudem gestalterische Lösungen: In Kooperation mit diversen Fachplanern wurde das Konzept für die Gebäudetechnik erstellt sowie die zusätzlichen Wand- und Deckenaufbauten für die speziellen Geräte entwickelt – vor allem um die Gesundheit hier aus zwei verschiedenen Blickwinkeln zu gewährleisten. Vor allem musste die Abschirmung von der Röntgenstrahlung während einer CT-Untersuchung sowohl für das Personal als auch die weiteren Patienten im gesamten Gebäude normgemäss sichergestellt werden können. Hierfür wurden die umschliessenden Wände des entsprechenden Behandlungszimmers mit einer bleikaschierten Strahlenschutzplatte versehen, die nach einer im voraus erfolgten Strahlenschutzberechnung ausgeführt wurde. Zusätzlich wurde die vorhandene Fensterfront im Untersuchungszimmer mit einem Bleivorhang versehen, sodass hier auf neue Verglasungen verzichtet und ein Strahlenschutz nach aussen hin garantiert werden konnte.

Gut gestützt
Mit genauso grossem Interesse setzten sich Lippuner Sabbadini Architekten mit den notwendigen Vorkehrungen auseinander, die für die Behandlung mit der Magnetresonanztomographie getroffen werden mussten. Hierfür wurde ein Spezialistenteam herangezogen, um die detaillierte Planung des MRT-Behandlungszimmers und seiner dazugehörigen Ausstattung auszuführen. Viel mehr als eine magnetische Abschirmung musste hier zusätzlich eine ausreichende Schalldämmung geplant und umgesetzt werden. Eine spezielle Kabine, die ringsum mit etwa 0,8 mm starker Kupferfolie verkleidet ist, schirmt hier die starken Kraftfelder des MRT-Magneten ab. Die Decken direkt unter und über diesem wurden zudem mit mehrschichtigen, antimagnetischen Stabolec-Stahlplatten verkleidet, um auch hier die Magnetstrahlung zu minimieren. Zur statischen Verstärkung der Bodenplatte unter dem Grossgerät mussten örtlich antimagnetische Chromstahlträger eingesetzt werden, die, ergänzt durch Zugverstärkungen mit Carbonfaserlamellen, nun das Gewicht aufnehmen. Gleichermassen musste bei den Schreinereinbauten des gesamten Raums umgedacht werden, um anstelle eisenhaltiger Beschläge gleichwertige Teile aus Kunststoff oder nichtmagnetischen Metallen zu verwenden. Als drittes Grossgerät kommt im Gebäude das Strahlentherapiegerät „Gamma Knife“ zum Einsatz, das der hochpräzisen Radiochirurgie von Hirntumoren und Gefässmalformationen dient und eine besonders schonende Bestrahlung ermöglicht. Der Behandlungsraum ist im zweiten Untergeschoss untergebracht, wobei auch hier die Tragfähigkeit der bestehenden Struktur verstärkt und spezielle Massnahmen für den Strahlenschutz ergriffen werden mussten.

Kraft geben
Doch nicht nur in puncto Statik und Strahlenschutz mussten einige Vorkehrungen getroffen werden. Essentiell für das Projekt war unter anderem auch die Planung der Gebäudetechnik, wofür Heizung, Lüftung, Kühlung und Sanitärinstallationen geschickt in die bestehende Struktur eingepasst und die Technikräume im dritten Untergeschoss verortet wurden. Im gleichen Zug wurden entlang der Erschliessungskorridore neue vertikale Installationsschächte angeordnet, um die einwandfreie und vor allem nachrüstbare Versorgung mit Stark- und Schwachstrom sowie die Kühlung und Lüftung der Innenräume zu ermöglichen. Die horizontale Versorgung erfolgt dabei grösstenteils dezentral im Zwischenraum zwischen Rohbau- und abgehängter Decke. Ebenfalls wurde von Anfang an die entstehende Abwärme des MRT in das gesamte Energiekonzept integriert: Durch ein Wärmerückgewinnungssystem kann diese zur Warmwassernutzung sowie zur Gebäudeheizung genutzt und so ein ökologischer Mehrwert erreicht werden. Als vermeintlich grösste letzte Anstrengung stellte sich die zeitliche Terminierung der Anschlüsse der Grossgeräte dar, um die Behandlungsinstrumente an ein fertig erstelltes Kühlsystem anschliessen zu können.

Waagschale halten
Bei diesem Projekt deckte sich die medizinische mit der baulichen Herausforderung, die darin bestand, trotz der technischen Komplexität emotional angenehme und erfahrbare Räume zu schaffen. So wurde neben all den technischen Rahmenbedingungen besonders auf die atmosphärische Wirkung der Innenräume fokussiert und das Erscheinungsbild des Bauwerks als ein ganzheitliches Konzept betrachtet. Mit viel Feingefühl wurde der Zeitgeist der Architektur aufgegriffen und in den Innenräumen weitergedacht und -gebaut.

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