Mehr Nachhaltigkeit bei öffentlichen Beschaffungen

Die Revision des öffentlichen Beschaffungsrechts soll einen bedeutenden Schritt hin zu einer nachhaltigeren Beschaffung markieren. Die Politik und die beteiligten Interessengruppen sprachen von einem Kulturwandel oder Paradigmenwechsel, der mit dem auf Bundesebene 2021 und in den Kantonen in den darauffolgenden Jahren in Kraft getretenen Gesetz vonstattengehen soll.

Gesetzlich vorgegebener Kulturwandel
Neu sollte das vorteilhafteste und nicht notwendigerweise das billigste Angebot den Zuschlag erhalten (Art. 41 IVöB/BöB). Die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit wurde neben Wirtschaftlichkeit und Qualität im Zweckartikel in Art. 2 IVöB/BöB ausdrücklich verankert. Mit der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit sollen die gesamten Lebenszykluskosten eines Bauwerks berücksichtigt werden. Dabei sollen nicht nur die Baukosten, sondern auch Investitions-, Betriebs- und Bewirtschaftungskosten sowie Instandhaltungs- und Verwaltungskosten beim Einkauf von Planungs- und Bauleistungen berücksichtigt werden. Eine langfristige Perspektive und die Berücksichtigung aller verbundenen Kosten tragen zur wirtschaftlichen Nachhaltigkeit bei und fördern gleichzeitig die Umwelt durch langlebigere Produkte. Bei der ökologischen Nachhaltigkeit liegt der Fokus auf der Reduzierung von Energie- und Wasserverbrauch, der Förderung erneuerbarer Energien und der Minimierung von Abfällen und Schadstoffen und der Reduktion des Verbrauchs von Ressourcen.
Erste Erkenntnisse aus bereits unter dem neuen Recht erfolgten Ausschreibungen zeigen, dass die Umsetzung bzw. Berücksichtigung der wirtschaftlichen und ökologischen Nachhaltigkeit bei öffentlichen Beschaffungen trotz dem klaren gesetzgeberischen Auftrag schwierig ist. Dabei besteht gerade im Bereich der Planung und dem Bau von Gebäuden grosses Potenzial für die Reduktion des Verbrauchs von Ressourcen und auch der Verbesserung der Langlebigkeit eines Gebäudes. Der Grund, weshalb die Umsetzung der Ziele sehr schleppend verläuft, liegt m.E. nicht am Willen der Vergabestellen. Im Gegenteil. Viele investieren zurzeit sehr viel, um den gesetzgeberischen Willen möglichst gut umzusetzen. Der Hauptgrund liegt m.E. woanders:

Das formelle Beschaffungsverfahren erschwert die Berücksichtigung der Nachhaltigkeit
Das Beschaffungsrecht ist – von seiner gesetzlichen Konzeption her – sehr eindimensional und formell. Die Vergabestellen schreiben (meist sehr detailliert) aus, welche Leistungen sie benötigen, und die Anbieterinnen haben genau diese Leistungen in einem formellen Verfahren anzubieten. Verhandlungen über Preis, aber auch inhaltliche und qualitative Anforderungen sind nicht möglich. Noch weniger Anpassungen des Leistungsbeschriebs während des Verfahrens. Die Angebote werden nach strengen Regeln mit (zumindest vordergründig) messbaren Eignungs- und Zuschlagskriterien bewertet und so das vorteilhafteste Angebot ermittelt, welches den Zuschlag erhält.
Dies führt dazu, dass bei der Bewertung der Angebote einfach bewertbare Kriterien wie Preis, Auftragssumme (bei Referenzen), Anzahl Beschäftigte/Personal, Referenzauskünfte etc. beliebte Kriterien sind, da diese eine mathematische Bewertung ermöglichen. Bei Planungs- und Bauleistungen kommt dazu, dass diese Leistungen im Zeitpunkt der Angebotsbewertung noch nicht erbracht sind. Anders als bei einer Software oder sonstigen bestehenden Produkten, welche im Rahmen der Bewertung auf Funktion und Qualität getestet werden können, kann bei Beschaffungen von Planer- und Bauleistungen gar nichts „Handfestes“ bewertet werden. Bewertbar sind einzig und allein Versprechungen bzw. Behauptungen der Anbieterinnen oder rückwärtsgerichtete Bewertungen von Referenzen aus früheren Aufträgen.
Verbunden mit der doch strengen Rechtsprechung in Bezug auf formelle Gleichbehandlung der Anbieterinnen, Aufwand, Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Bewertung, führte und führt dies dazu, dass neben dem Preis unter dem Titel „Qualität“ Zuschlagskriterien wie Referenzen oder Verfügbarkeit von Schlüsselpersonen / vorgesehenem Personal standardmässig verwendet werden. Oft erfolgt die Bewertung bei diesen Kriterien anhand messbarer Parameter wie Bausumme oder Anzahl Personen. Ob solche Zuschlagskriterien effektiv zu einem qualitativeren Beschaffungsergebnis führen, darf infrage gestellt werden. 

Gefahr von „Alibi-Nachhaltigkeits-Kriterien“
Nicht minder komplex als die Bewertung der Qualität ist die Bewertung der Nachhaltigkeit von Angeboten bei Planungs- und Bauleistungen. Entsprechend besteht auch da die Gefahr, dass solche „Alibikriterien“ unter dem Deckmantel der Nachhaltigkeit in den öffentlichen Beschaffungen Einzug halten. M.E. hat der Gesetzgeber es verpasst, das Beschaffungsrecht mit der Revision so zu reformieren, dass der starre Angebots- und Bewertungsprozess überdacht und alternative Modelle der Evaluation von Angeboten und Anbieter geschaffen werden. Im normalen Beschaffungsablauf gelten weiter die starren Voraussetzungen der Ausschreibung und der Angebotsphase. Dazwischen bestehen zwischen Anbieter und Vergabestelle bis auf wenige Ausnahmen keine Möglichkeiten, gemeinsam über die Inhalte und Anforderungen zu diskutieren oder gar zu verhandeln. Auch die Bewertung und Prüfung der Angebote erfolgt (immer noch) unter der starren Prämisse, dass die Angebote sowohl formell als auch inhaltlich genau den Anforderungen der Ausschreibungen entsprechen müssen.
Oft wird im Zuge des neu proklamierten Kulturwandels vergessen, dass es bereits vor der Revision möglich gewesen ist, die Qualität und Nachhaltigkeit bei der Beschaffung angemessen zu berücksichtigen. Denn in Bezug auf die Wahl und Zulässigkeit von Zuschlagskriterien hat sich nichts geändert. Die Problematik der fehlenden Berücksichtigung von Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien lag auch vor der Revision weniger beim fehlenden Willen der Vergabestellen, sondern mehr an den sehr formellen Bewertungsverfahren mit eingeschränktem Verhandlungsspielraum. Somit besteht auch in Zukunft die Gefahr, dass aus den vorerwähnten Gründen die einfach(er) bewertbaren Zuschlagskriterien wie Preis, Bausummen (bei Referenzen) über die Vergabe von öffentlichen Aufträgen in Bau- und Planungsbranche entscheiden werden. Es ist m.E. ein Irrglaube, dass sich im öffentlichen Beschaffungsrecht allein durch die Nennung des Begriffs Nachhaltigkeit und Qualität und die Proklamierung eines Kulturwandels ein solcher umsetzen lässt. Vielmehr bräuchte bzw. braucht es auch ein Umdenken bei den angewendeten Verfahren und formellen Abläufen.

Ist das Instrument des Dialogs die Lösung?
Die Antwort ist: Er muss es sein! Denn das neu geschaffene Dialogverfahren nach Art. 24 BöB/IVöB ist das einzige Instrument, das es ermöglicht, zusammen mit ausgewählten Anbietern mögliche Lösungswege oder Vorgehensweisen bzw. eine gemeinsame Leistungsbeschreibung in einem mehrstufigen Prozess gemeinsam zu erarbeiten. Nur der Dialog ermöglicht es, im Rahmen der Ausschreibung und Festlegung des Leistungsumfangs auf das spezifische Fachwissen der Anbieter zurückzugreifen und Innovationen und damit auch Nachhaltigkeit zu fördern. In den normalen Ausschreibungsverfahren ist das nicht zulässig. Gerade in Bezug auf die Verbesserung der Nachhaltigkeit bei der Planung und beim Bau eines Gebäudes sind die Vergabestellen auf das Expertenwissen der verschiedenen Planer und Unternehmer angewiesen. Der Dialog lässt es zu, mit (in einer Präqualifikation ausgewählten) verschiedenen Anbietern inhaltliche Anforderungen zu besprechen, und das Projekt im Laufe des Auswahlverfahrens auch anzupassen und so den besten Vertragspartner unter Berücksichtigung von Qualität und Nachhaltigkeit auszuwählen. Themen wie Kreislaufwirtschaft, Lebenszykluskosten genauso wie anbieterübergreifende Themen wie Projektallianzen lassen sich nur mit einem Dialogverfahren im Rahmen des Beschaffungsverfahrens berücksichtigen.

Mehr Mut zum Dialog!
Der Dialog ist für fast alle Vergabestellen Neuland. Entsprechend wurden bisher auch nur ganz vereinzelt solche Dialogverfahren ausgeschrieben. Grund dafür ist sicher die Unsicherheit, welche bei der Beschreitung solch unerprobter Verfahren entsteht. Genauso kann und sollte man aber dieses Neuland auch als Chance sehen. Denn wo noch keine bzw. wenig Rechtsprechung und Praxis, da auch noch viel Spielraum und Möglichkeiten, den Paradigmenwechsel des nachhaltigen und qualitativen Beschaffens effektiv und nachhaltig umzusetzen. 

Text: Christoph Schärli

Christoph Schärli ist als Rechtsanwalt auf dem Gebiet des öffentlichen Beschaffungsrechts und Submissionsrechts sowie des Bau- und Planungsrechts spezialisiert. Er ist Partner und Rechtsanwalt bei VIADUKT Recht GmbH. In seinen Themengebieten ist er regelmässig als Dozent und Referent tätig und publiziert zu Themen des öffentlichen Beschaffungsrechts auf seinem Blog.

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