• PLANEN, BAUEN, WOHNEN, LEBEN IN ZUKUNFT THE FUTURE IS PINK

Der Alltag auf Rädern

Matyas Sagi-Kiss (Wirtschaftsjurist FH, Vorstand von Pro Infirmis Schweiz) wohnt im Zollhaus der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich, lebt seit Geburt mit Cerebral Parese und fährt eine Elektro Rollstuhl. In dieser 6-teilige Kolumne lädt er zu einem Perspektivenwechsel ein.

Das Urvertrauen. Ich habe davon – vermutlich nicht objektiv gerechtfertigt – jede Menge. Ja, könnte es sogar noch etwas verteilen, an jene, denen es daran mangelt. In den letzten Wochen fiel es aber auch mir etwas schwerer. Sagen wir – um politisch neutral zu bleiben –, dass es am Winter liegen könnte. Zur Erholung und zur Ablenkung von sorgenreichen Gedankengängen mit Blick auf die Zukunft der Menschheit ist Kunst, Kultur – und da zähle ich im weitesten Sinne auch Architektur und Design hinzu – zumindest für mich ein kurzfristig wirksames und unbedenkliches Betäubungsmittel. Ob der Besuch der Ausstellung „Design for All“ im Toni-Areal der Zürcher Hochschule der Künste oder ein unerwartet barrierefreies und erfrischend pompöses Gebäude im pseudobescheidenen Zürich, wo der Zwinglianismus für meinen Geschmack noch etwas gar stark nachhallt, trägt zumindest zur verzweifelt gesuchten „Erholung von Welt“ bei. 

Diese Erholung und Anregung in Form von Kunst und Kultur steht uns Menschen mit Behinderung natürlich nur dann offen, wenn sie nicht im diskriminierenden Sinne exklusiv, sondern barrierefrei und daher inklusiv ist. Barrierefreiheit bezieht sich zum einen auf die Hindernisfreiheit der baulichen Umwelt, zum anderen kann es auch notwendig sein, weitere andere Vorkehrungen zu treffen. Apéros an Stehtischen, welche an Vernissagen verbreitet sind, sorgen bei uns Rollstuhlfahrenden für ebenso wenig Freude wie eine fehlende Audiodeskription einer Ausstellung bei Personen mit starker Sehbehinderung. Wer gerne an Bildungsveranstaltungen teilnimmt (Vorträge etc.) und gehörlos ist, benötigt eine Übersetzung in Gebärdensprache, um dem Anlass folgen zu können. Menschen mit kognitiver Behinderung sind auf einfache Sprache angewiesen.

Sie sehen, der Strauss aus Möglichkeiten, zur Inklusion beizutragen, ist gross. So gross wie die Vielfalt der behinderungsbedingten Bedürfnisse innerhalb der Gruppe von Menschen mit Behinderung. Sie Fragen sich, wie soll man dem allem denn überhaupt gerecht werden? Zur Beruhigung jener, die zu Perfektionismus neigen und nicht auf der Suche nach einer Ausrede fürs Nichtstun in Sachen Inklusion sind, eine perfekt barrierefreie Veranstaltung für jede mögliche Gruppe von Menschen mit Behinderung könnte selbst ich nicht organisieren. Es ist uns allen jedoch möglich, unser Bestes zu geben und Bedürfnisse aktiv aus eigenem Antrieb zu erfragen, klar zu kommunizieren und nicht Erwartungen zu wecken, die wir nicht erfüllen können. So schaffen wir den Weg in eine Zukunft, in der wir alle am Leben in seiner Buntheit teilhaben können. 

Beim Stichwort Zukunft fällt mir ein: Der 14. November war dieses Jahr der Zukunftstag. An diesem Tag haben Primarschüler:innen in Zürich jeweils die Gelegenheit, in verschiedenste Berufswelten einzutauchen. Inzwischen hat es schon fast Tradition, dass ich gemeinsam mit den Mitarbeitenden des Amtes für Umwelt und Gesundheit der Stadt Zürich an diesem Tag eine Gruppe von Schüler:innen an das Thema der hindernisfreien Architektur heranführe. Da darf natürlich ein Hindernisparcours mit geliehenen Rollstühlen nicht fehlen. 

Heute, einen Tag später, blicke ich, beflügelt durch den kindlichen Optimismus der Schüler:innen, etwas positiver in Zukunft. Ob es sich dabei um einen Blick mit rosaroter Brille handelt, kann hier mal offen bleiben.

Lassen Sie uns gemeinsam an einer inklusiven Zukunft arbeiten. Mehr dazu finden Sie hier.

 

 

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