Matyas Sagi-Kiss (Wirtschaftsjurist FH, Vorstand von Pro Infirmis Schweiz) wohnt im Zollhaus der Genossenschaft Kalkbreite in Zürich, lebt seit Geburt mit Cerebral Parese und fährt eine Elektro Rollstuhl. In dieser 6-teilige Kolumne lädt er zu einem Perspektivenwechsel ein.
Paris ist als Weltstadt der Mode bekannt. Dieses Jahr war sie als Austragungsort der Olympiade zusätzlich Weltzentrum des Sports und damit auch der Paralympics. In den letzten Wochen konnten wir beobachten, wie das Thema Behinderung dadurch in einem positiven Licht dargestellt wurde. Im Rahmen der Berichterstattungen über die Paralympics ging es plötzlich nicht um Behinderung als ein negativ konnotiertes Defizit, sondern um die Leistung, die Sportler:innen mit Behinderung erbracht haben. Plötzlich wurden Leistungen von Menschen mit Behinderung von der weiten Öffentlichkeit stärker wahrgenommen und verdienterweise anerkannt und gefeiert!
Sichtbarkeit entsteht, und das ist gut so
Davon losgelöst habe ich persönlich jedoch ein gespaltenes Verhältnis zu solchen leistungsbezogenen Momentaufnahmen. Warum ist das so? Einerseits bereitet es mir Mühe, wenn der Wert eines Menschen – ob beabsichtigt oder nicht ist dabei irrelevant – mit sportlichen, wirtschaftlichen, akademischen oder künstlerischen Leistungen verknüpft wird. Andererseits irritiert mich, dass meist davon die Rede ist, dass die Betreffenden TROTZ Behinderung zu dieser oder jener Spitzenleistung in der Lage seien. Als ob die betreffende Person ihre Behinderung hätte überwinden müssen, um dazu in der Lage zu sein. Wer Behinderung jedoch als etwas betrachtet, das zur Natur das Menschen und damit zur Vielfalt dazugehörig ist, erkennt, dass diese Leistungen MIT und nicht TROTZ der Behinderung erbracht wurden.
Das erinnert mich auch daran, dass in der Debatte um Barrierefreiheit und „Universal Design“ häufig betont wird, dass ein Produkt oder ein Gebäude TROTZDEM schön sein könne. Warum ist dies nötig, und wieso wird das Mitberücksichtigen von Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung überhaupt und zu oft als ein Hindernis empfunden?
Natürlich hat das etwas mit strukturellem Ableismus zu tun und der daraus folgenden mangelnden allgegenwärtigen Sichtbarkeit von Menschen mit Behinderung. Ich bin hoffnungslos optimistisch und wünsche mir, dass die Paralympics zumindest beim einen oder anderen Menschen zur nachhaltigen Bewusstseinsbildung beigetragen haben und wir – wer weiss – vielleicht in schon vier Jahren – ein paar Schritte weiter sind.
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