Im Gespräch mit Giovanni Ferrara

„l’architettura è una cosa semplice.“ (Giovanni Ferrara) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.

Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Seit längerer Zeit frage ich mich, warum die Architektur und ihr nahestehenden Disziplinen wie Städtebau, Landschaftsarchitektur sowie Innenarchitektur und Design so kompliziert geworden sind, obwohl eigentlich Architektur eine einfache Sache ist und diese schon längst erfunden ist: „L’architettura è una cosa semplice“! Auch die neuen Thematiken von Nachhaltigkeit, Kreislaufwirtschaft etc. erstaunen mich immer wieder aufs Neue, denn noch nie in der Architektur- und Städtebaugeschichte hatten wir so viele Möglichkeiten, die Dinge einfach, konzeptionell und „richtig“ zu machen. Es scheint so, als ob vor allem Architekten immer einer Einzigartigkeit und Exklusivität nacheifern und sich allgemeingültigen Regeln der Baukunst entziehen möchten und der ungeordneten Vielschichtigkeit unserer Zeit ein Gesicht geben wollen. Ob das gut gekommen ist, werden die Generationen nach uns beurteilen.

Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Da wir momentan an Projekten in Ligurien arbeiten, hat mich ein Projekt der Giordano Hadamik Architects aus Deutschland/Italien sehr beeindruckt, weil sich ein Gebäude aus ihrem Schaffen in die Landschaft Liguriens mit Olivenhainen, sanften und harten Zügen der „mari e monti“ perfekt und harmonisch integriert und mit den natürlichen Elementen wie Sonne, Ausrichtung, Ort, Material und Farbgebung auf eindeutige und einfache Art und Weise arbeitet. Mit wenigen Elementen eine grosse Gesamtwirkung erreicht wird.

 Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Materialien strahlen per se eine starke Wirkung aus, mit welcher man bewusst umgehen sollte. Neue Materialien haben die Schwäche, dass man mit ihnen keine Langzeiterfahrung hat, aber die Chance, etwas Neues zu entdecken und damit zu bewirken. Ein delikater Seiltanz, denn man sollte auf Altbewährtem aufbauen, die gegenwärtigen Erfahrungen einbringen und dennoch innovativ damit umgehen. Ein kontrollierter Umgang basierend auf Erfahrung, Kompetenz und Innovation, ein offensichtlicher Widerspruch, in welchem sehr viel Potenzial steckt.

Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters, aber es gibt allgemeingültige „natürliche“ Schönheiten, welche der Mehrheit gefallen, weil diese auf kontrastreichen Natürlichkeiten aufgebaut sind wie z. B. Mohnlandschaften oder Lavendelfelder etc. Ein architektonischer Ausdruck, welcher auf Gegensätzen aufbaut, interessiert uns gerade darum: kalte und warme Farben oder Materialeigenschaften, harte oder weiche Komponenten und vieles mehr… in dieser Spannung liegt eine gewisse Mystik begraben, welche wirkt und Schönheit ausstrahlt.

Wann wird ein Gebäude Architektur?
Ein Gebäude wird zur Architektur, sobald es menschliche Züge erhält und eine Aura ausstrahlt, basierend auf einem Skelett (Trag-struktur), einer Haut (Fassade mit Gesicht), einem Körper (Masse) und entsprechend eine Seele erhält. Somit entsteht aus Materie Leben in architektonischer Hinsicht, aber auch in einer städtebaulichen Dimension, in Landschaften und in Innenräumen.

 Welche Tugenden sollte ein Architekt haben?
Er sollte gesamtheitlich denken und generalistische Fähigkeiten haben, kein Spezialist sein, sondern ehrlich, wahrhaftig, authentisch und loyal, nicht trendig und vor allem nicht oberflächlich.

Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Ein Architekt ist nicht wichtiger als andere in der Gesellschaft, auch wenn das viele Architekten von sich denken. Er sollte sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein, denn Architektur ist etwas Öffentliches, Einsehbares, und es prägt nicht nur das Stadtbild, sondern es wirkt bewusst oder unbewusst auf Geist und Seele der Menschen, welche in der „Architektur“ leben.

 Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Die Politik wird vom Volk gewählt und sollte den Zeitgeist abbilden und Regeln aufstellen, welche einen Rahmen geben, Spielräume schaffen, wie die Schweizerische Bundesverfassung. Darin sind generelle Leitlinien festgehalten, innerhalb deren man sich frei bewegen kann. Heute geht der Trend zu einer zu strengen Reglementierung, welche zudem von Menschen getroffen werden, welche die Weitsicht oder gar die Tragik dieser Gesetze, Verordnungen und Reglemente gar nicht abschätzen können, denn da fehlt das konzeptionelle Denken wie jenes der Gründerväter (damals leider nur Männer) der Schweizer Demokratie.

Kann Architektur die Welt verbessern?
Die Architektur und ihr nahestehende Disziplinen wie Städtebau, Landschaftsarchitektur, Innenarchitektur und Design können die Welt positiv oder auch negativ mitbeeinflussen, aber nicht allein verbessern, einen Beitrag leisten, aber nur wenn aus der Materie eine natürliche, menschliche Sache daraus wird. Eine schwierige Frage.

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