„Es ist uns wichtig, eine zukunftsfähige Architektur zu schaffen.“ (Bollhalder Walser Architekten) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Unser Büro beschäftigt sich von jeher mit unterschiedlichen Aufgabenfeldern. Wir planen Infrastruktur- und Dienstleistungsbauten für Bahnbetriebe in der ganzen Schweiz. In unserer näheren Umgebung in Interlaken planen wir Wohnbauten, Schulhäuser, Pflegeheime und renovieren historische Bauten, zum Beispiel ein Wohn- und Geschäftshaus aus dem Jahr 1760 in Thun. Daneben sind wir permanent mit einem Architekturwettbewerb oder einem Studienauftrag beschäftigt.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Kürzlich war ich in Stuttgart und hatte eine Führung in der Weissenhofsiedlung. Die Radikalität des Wohnkonzepts und die Nuancierung der Gestaltung und des Farbeinsatzes bei Le Corbusiers Wohnhaus haben mich beeindruckt und begeistert. Ein anderes Beispiel war ein Wohnhaus in Lugano aus der Zeit des Betonbrutalismus, welches ich diesen Sommer bei einem Spaziergang entdeckt habe. Lugano ist geprägt von seiner steilen Hanglage. Es handelte sich um einen Wohnblock, bei dem sehr geschickt mit seiner Stellung im Hang gespielt und die innere Organisation in der Fassadengestaltung sichtbar gemacht wurde. Dabei handelt es sich aber auch um eine Architektur, welche heute aufgrund der wärmetechnischen Vorschriften gar nicht mehr gebaut werden könnte.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Unser Diskurs ist derzeit stark geprägt durch den Themenkomplex rund um die Nachhaltigkeit. Es geht um nachwachsende Baustoffe, CO2-Bilanz, Kreislaufwirtschaft, den Umgang mit den sommerlichen Temperaturen und so weiter. Dies prägt unweigerlich die Raumkonzepte, den Umgang mit der passiven Sonnenenergienutzung, der Beschattung, den Umgang mit dem Aussenraum – Stichwort Schwammstadt – und damit schliesslich auch die Architektur. Es handelt sich aus unserer Sicht um eine Rückbesinnung auf zum Teil alte Ideen, wie heute gebaut werden muss und soll. Zum Beispiel tragen ausladende Vordächer und Lauben dazu bei, mit ihrer Verschattung der Fassade die Überhitzung der Innenräume zu verhindern, und schaffen gleichzeitig einen Raum, der genutzt werden kann. Das wussten die Bauleute schon vor 200 Jahren.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Schönheit in der Architektur hat für mich sehr viel mit dem Kontext zu tun. Wo und in welchem Umfeld steht ein Gebäude? Wie reagiert oder interagiert es mit der Umgebung? Kann ein Gebäude durch seine Architektur einen Ort besser machen? Natürlich spielen Proportionen und räumliche Beziehungen, Materialität und Farben eine sehr wichtige Rolle. Am Schluss ist Schönheit nicht eine rein rationale Sache, sondern hat viel mit dem Bauchgefühl zu tun.
Wann wird ein Gebäude Architektur?
Das kommt etwas platt direkt aus dem Studium, hat aber aus unserer Sicht immer noch seine Gültigkeit: die vitruvsche Formel der drei gleichwertigen Standbeine Stabilität, Nützlichkeit und Schönheit. Das heisst, jedes Bauwerk soll diese drei Prinzipien gleichwertig vereinen. Wenn dies gegeben ist, dann ist es Architektur.
Welche Tugenden sollte ein Architekt haben?
Die Architektin oder der Architekt braucht Gestaltungswille, die Bereitschaft, Verantwortung für eine architektonische Idee zu übernehmen. Dazu braucht es Geduld und oft einen langen Atem. Architektur ist zudem immer nur so gut wie die Menschen, die sie mitprägen. Also braucht es eine ausgeprägte soziale Kompetenz, um mit den jeweiligen Personen ans Ziel zu kommen.
Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Ein wichtiger Beitrag des Architekten, der Architektin liegt darin, Verantwortung für die gebaute Umwelt zu übernehmen und einen Beitrag zur Baukultur zu leisten. Also den richtigen Entwurf für die richtige Aufgabe am richtigen Ort zu erarbeiten. Es geht hier um die qualitätvolle Verdichtung nach innen, das Weiterbauen der Stadt und des Dorfes, ohne die Zersiedelung weiter zu befeuern. Verantwortung für die gebaute Umwelt zu übernehmen, heisst auch, sich für den Erhalt von bestehenden, historischen Bauten und ortsbaulicher Strukturen einzusetzen. Wir stellen fest, dass sich die Rolle des Architekten vom Generalisten immer weiter in eine Art Fachplaner für Raumkonzepte und Gestaltung verändert. Einerseits kommt dies einher mit der immer komplexer werdenden Bauwelt mit sehr unterschiedlichen und sich ergänzenden Disziplinen, andererseits aber auch mit den für Bauaufgaben aufgegleisten Prozessen, in denen die Verantwortung auf viele Schultern verteilt und delegiert wird.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Service Public ist das Zauberwort. Die Politik sollte die Planer unterstützen, die Genehmigungsprozesse zu optimieren und effizienter zu gestalten. Das Thema der Verdichtung scheitert an Baugesetzen und privatrechtlichen Interessen. Hier sind praktikable Lösungen gefragt.
Kann Architektur die Welt verbessern?
Die Architektur ist immer dann spannend, wenn sie auf dringliche gesellschaftliche Fragen Antworten entwickeln und liefern kann. Zum Beispiel mit Konzepten des nachhaltigen Planens und Bauens, um den klimatischen Veränderungen zu begegnen oder um in der Diskussion der baulichen Verdichtung Rezepte zu liefern, wie viele Menschen auf engerem Raum in qualitätvoller Umgebung leben können, dies immer im Kontext der gebauten oder natürlichen Umgebung.
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