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Talk: Urushi-Füllhalter

Die auf 33 Sets limitierte Edition Lamy Dialog Urushi ist seit Ende 2019 verfügbar. Ein Set enthält vier veredelte Füllhalter, von denen jeder eine der vier Jahreszeiten als Leitmotiv besitzt. Das Besondere an der Edition: Die Füllhalter sind mit der japanischen Lacktechnik Urushi veredelt. Manfred Schmid, einer der wenigen europäischen Urushi-Meister, hat für Lamy drei von vier Jahreszeiten gestaltet.

Herr Schmid, was ist Urushi, und wie funktioniert die Lacktechnik?
Der japanische Begriff „Urushi“ bezeichnet zum einen das Material, oft auch Japanlack oder Chinalack genannt. Der Rohstoff dafür ist das Harz des ostasiatischen Lackbaums, das äusserst kostbar ist, weil es nur von Hand und in sehr kleinen Mengen gewonnen werden kann. Zum anderen bezeichnet Urushi die Technik, mit welcher der Lack verarbeitet und aufgetragen wird. Der Aufbau eines Lackobjekts erstreckt sich über lange Zeiträume, da Urushi in mehreren hauchdünnen Lackschichten aufgetragen wird, von denen jede bei hoher Luftfeuchtigkeit aushärten und anschliessend poliert werden muss. Im naturbelassenen Zustand ist Urushi bernsteinfarben und wird für die Verarbeitung gereinigt und gefärbt – klassischerweise in den Farben Rot und Schwarz. Teilweise werden auch noch andere Materialien wie Perlmutt, Gold- oder Silberstaub eingebettet. Typisch für Urushi ist dessen besonderer Glanz und die Tiefe, die weder mit Schellackpolitur noch mit Kunstharzen erreicht werden kann. Die fertige Uru­shi-Ware ist beständig gegen Wasser, Alkohol und Säuren – nur lange Einwirkung von intensivem UV-Licht beschädigt das Material.

Was fasziniert Sie persönlich an Urushi?
Meine Faszination für Uru­shi begann mit dem Schwarzlack. Es ist das tiefste Schwarz, das man weltweit erzeugen kann, das nicht mit Pigmenten hergestellt wird und das transluzent ist. Je mehr Schichten ich davon auf ein Objekt auftrage, desto mehr Lichtbrechung entsteht und desto tiefer erscheint das Schwarz. Japanlack ist, wie die Japaner sagen, in Schichten abgelagerte Dunkelheit.

Wie kamen Sie als Deutscher zu der japanischen Urushi-Lackkunst?
Von Haus aus bin ich Kunsttischler, habe Möbel entworfen und gebaut. 1998 habe ich durch Zufall an der Hochschule in Barcelona entdeckt, dass man dort Urushi studieren kann. Am Anfang wollte ich das gar nicht zu meinem Beruf machen. Ich glaube, wenn ich gewusst hätte, welcher Aufwand dahintersteckt, und dass die Herstellung der Objekte mit Schwarzlack manchmal ein bis zwei Jahre dauern kann, bis sie fertig sind, dann wäre ich weggelaufen. Eigentlich bin ich nämlich ein sehr ungeduldiger Mensch.

Wo brauchen Sie bei der Technik besonders viel Feingefühl und Geduld?
Wenn ich den Urushi-Lack verteile, kann ich mit blossem Auge nicht sehen, ob die Schicht gleichmässig ist. Ich muss ein Gefühl dafür entwickeln und immer wieder über die Fläche streichen. Dieses Gefühl wird irgendwann eine Intuition. Auch beim Schleifen ist es so: Ich höre und fühle, wo ich schon war. Manchmal ist es ärgerlich, wenn das Material nicht so recht will oder es nicht trocknet und man den Grund dafür nicht weiss. Manchmal braucht es zwei, drei Tage und mal eine Woche. Es hat sein Geheimnis – das macht es auch so faszinierend.

Sie haben die Urushi-Technik in Barcelona erlernt und perfektioniert. Wie nah sind Sie an den japanischen Traditionen, und wo haben Sie sich eher davon entfernt?
Die Tradition spielt für mich hauptsächlich eine Rolle, wenn es um die Technik, also den Aufbau eines Lackobjekts, geht. Diese Technik bewährt sich seit Jahrtausenden, daran kann man nichts verbessern. Was ich verändert habe, ist die Art und Weise, wie ich den Lack bearbeite. Ich schleife zum Beispiel nicht mit Holzkohle, wie man das früher gemacht hat, sondern nehme Nassschleifpapier. Die Spachtelmasse trage ich nicht mit einem geschnitzten Holzspachtel auf, sondern mit dem Finger – das ist der beste Spachtel der Welt. Grundsätzlich habe ich es von Anfang an vermieden, mich in die japanische Tradition zu stellen, auch bei der Gestaltung meiner Objekte. Ich bin Europäer: Wenn ich versuchen würde, die japanische Kunst zu imitieren, könnte das nur eine billige Kopie sein.

Was war bei Lamy Dialog 3 die grösste Herausforderung?
Die grösste Schwierigkeit war, mich von alten Vorstellungen zu lösen. Man hat Hunderte Bilder im Kopf von Füllfederhaltern in Urushi, die andere vor einem gemacht haben – und die meiste Arbeit war es, diese Bilder aus dem Kopf zu kriegen.

Für den Herbst-Füllhalter haben Sie keinen klassischen Schwarzlack verwendet, sondern Transparentlack. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Als der Anruf von Lamy kam, war ich an einem Punkt, wo ich eigentlich mit dem Schwarzlack abgeschlossen hatte. Ich hatte zwanzig Jahre lang „Schwarz gesehen“ und wollte mich nach etwas Neuem aufmachen. Mich interessierte der sogenannte Transparentlack. Ich sage „sogenannt“, weil er zwar durchscheinend, aber nicht farblos ist. In Japan wird dieser Lack nicht als eigenständige Oberfläche verwendet, nur als Versiegelung. Aber genau diesen Lack trug ich über die Textur auf, die ich vorher in den Füllhalter eingeschliffen hatte. Den Effekt fand ich sehr spannend: Die Textur wird nicht abgedeckt, sondern leuchtet aus der Tiefe heraus durch den Lack hindurch.

Hat die Auseinandersetzung mit den Füllhaltern Ihren Blick auf Urushi verändert?
Ja, das hat sie. In der jahrzehntelangen Arbeit mit dem Schwarzlack entwickelte ich einen enormen Perfektionsblick. Durch die Zusammenarbeit mit Lamy habe ich erkannt, dass ich manchmal Dinge als Fehler ansehe, die mein Gegenüber als Ästhetik wahrnimmt. Es kann sehr langwierig sein, den eigenen Blick zu verändern und wieder offener zu werden.

lamy.com

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