… nicht mit Ladekabeln. Das Zürcher Familienunternehmen Maurice de Mauriac feiert sein 25-Jahr-Jubiläum: Wir haben mit Daniel, Massimo und Leonard Dreifuss über die Arbeit mit der Zeit gesprochen.
Ein wichtiges Merkmal eurer Produkte ist der hohe Grad an Individualisierung. Die L-Serie, die von Fabian Schwaerzler entworfen wurde, ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Wie unterscheidet sich der Verkaufsprozess bei den unterschiedlichen Serien, und was für eine Auswirkung beobachtet ihr hier bei eurer Kundschaft?
Leonard: Die Stringenz der L-Serie lässt nur wenige Variationen zu, da der Designer die Auswahl an Varianten schon eingeschränkt hat – dadurch hast du eine kleine Auswahl, die dich aber sicher nicht überfordert. So ein Verkauf kann fünf Minuten dauern. Mit unseren anderen Serien funktioniert das nicht so, da der Endkunde das Design in einem grösseren Umfang individualisieren kann. Normalerweise kaufen und konsumieren die meisten vorgegebenes Design. Bei uns kannst du dich ein Stück weit persönlich in das Design einbringen. Man wird der Uhr viel mehr ansehen, wer du bist oder wer du sein möchtest.
Das zeigt in gewisser Weise also auf, wie sehr wir gewohnt sind, unsere Persönlichkeit über die Produkte zu kommunizieren, die wir kaufen und tragen?
Massimo: Genau, es sind die kleinen Entscheidungen zum Beispiel über Zeigerfarbe oder -anzahl, die schlussendlich zu Identitätsfragen werden können. Es sind aber auch diese Entscheidungen, die schlussendlich zu einer gemeinsamen Identität von Uhr und Träger führen.
Leonard: In solchen Gesprächen hat sich schon mancher neu erkannt. Weil die Person sich im Prozess mit sich selber auseinandersetzt und das auf eine kreative und entspannte Art macht, ist die Bindung zwischen ihr und der Uhr danach entsprechend tief. Bei der L1 zeigst du die Uhr, für die die Kunden nur die Grösse, das Coating, die Glasform und das Band aussuchen. Das sind schon vier Details, schon mehr als bei vielen anderen Anbietern. Bei unseren anderen Uhren ist fast alles offen. Da fangen wir meist mit der Grösse und der Farbe des Zifferblattes an, und von da aus ergibt sich der Rest. Dieser Prozess dauert je nach Entscheidungsfreudigkeit des Kunden unterschiedlich lang.
Massimo: Wie schon gesagt, bei der L-Serie ist dieser Prozess einfacher, da das Produkt schon fertig ist. Da braucht es uns alle nicht mehr; jemand anderes hat sich all diese Gedanken schon gemacht. Aber es ist schön, dass wir beides bieten können, denn die Leute haben ganz unterschiedliche Erwartungen an ihre neue Uhr und das Kauferlebnis.
Wie stark habt ihr während des Entwurfsprozesses den Menschen im Blick, respektive wie sehr wird die Uhr zu einem abstrakten Objekt?
Leonard: Ich finde die Uhr an sich ist nie so extrem auf eine kleine Zielgruppe fixiert. Das Uhrenband spielt da eine sehr viel wesentlichere Rolle. Schlussendlich schafft das Band die Verbindung zwischen Uhr und Träger. Es arbeitet die Identität der Uhr heraus, nimmt die Identität des Trägers auf und führt beides auf spannende Weise zusammen. Dieser Prozess ist sehr interessant, weil er nie gleich abläuft.
Massimo: Wenn du beispielsweise von deinem Grossvater eine Uhr erhältst, hat diese meist ein entsprechend altes Uhrband. Das ist vielleicht noch vergoldet oder hat Makel – einfach etwas, wovon du denkst, dass du es heute nicht mehr tragen möchtest. Und selbst wenn du nur das Band wechselst, gibst du der Uhr wieder ein neues Leben. So hat man die Möglichkeit, den Charakter der Uhr weiterzuentwickeln – kann manchmal sogar ganz bewusst mit dem Charakter der Uhr brechen und etwas ganz Neues entstehen lassen.
Hier reden wir von alten Uhren. Betrachten wir hinsichtlich Smartwatches die aktuellen Entwicklungen: Verändert sich die Uhrenindustrie dadurch, dass immer mehr Personen eine Smartwatch tragen?
Leonard: Die Uhrenindustrie ist eine relativ alte Industrie, die sich lange nur sehr langsam weiterentwickelt hat. Auf eine traditionelle Art ist das Uhrenbusiness irgendwie auch sehr langweilig, je länger, je mehr wird es zu einem Einheitsbrei. Da ist die Smartwatch eine echte Bereicherung, weil sie diese Entwicklung durchbrochen hat.
Daniel: Ja, je mehr die Leute in den hohen Rängen der Uhrenmarken wechseln, umso mehr vereinheitlicht sich das Design. Alle bringen wieder die Entwürfe der vorherigen Marke ein, mit denen sie ja erfolgreich waren – man weiss gar nicht mehr richtig, was wohin gehört. Eine schlimme Entwicklung meiner Meinung nach.
Massimo: Smartwatches sind schön und gut, aber du erbst keine Smartwatch von deinem Vater, wenn, dann erhältst du eine mechanische. Denn mechanische Uhren sind sehr emotionale Produkte. Und diese leben weiter, indem sie von Generation zu Generation weitervererbt und getragen werden. Die Uhren werden mit Geschichte und Geschichten aufgeladen, nicht mit Ladekabeln. Darin liegt ihre grosse Magie.
Smartwatches erfüllen aber noch ganz andere Funktionen. Sie dienen nicht nur dem Ablesen der Zeit oder als Erinnerungsstück. Hier geht es in der Gestaltung eher um das Vermitteln von Intelligenz. Eine mechanische Uhr hingegen ist ein sehr ehrliches Produkt, dessen einzelne Bestandteile Aufschluss darüber geben, wie die Uhr funktioniert. Bei einem Computerchip ist das etwas ganz anderes.
Leonard: Genau, mechanische Uhren haben eine Seele, in der jeder lesen kann. Man kann ein Verständnis für die Uhr entwickeln. Smartwatches sind hier weit weniger zugänglich. Man bleibt diesen Computeruhren, trotz ihrer Nähe in der Funktionalität, irgendwie fremd.
Ab wann hat eine Uhr eine Seele?
Massimo: Von dem Zeitpunkt an, an dem die Unruhe zu schlagen beginnt. Sie ist quasi das Herz der Uhr. Bei der Grand Cœur war es uns deshalb besonders wichtig, dass man ins Uhrwerk hineinsehen, diese Herzstücke sowie unterschiedlichen Dimensionen der Uhr erkennen und ihre Mechanik nachvollziehen kann. Sie macht schon fast den Anschein, dass Blut durch das Werk fliesst – dieser Intensität kann man nur schwer widerstehen.
In Bezug auf das Uhrwerk verglich Fabian Schwaerzler das Bauen einer Uhr mit einer Mikroarchitektur, stimmt ihr ihm da zu?
Leonard: So wie man bei Software auch von einer Architektur spricht, haben Uhren und ihre Werke ebenfalls eine Architektur. Man kann das so sehen: Für Fabian ist eine Uhr ein Haus, er baut ein Haus. Für uns ist es ein weiteres Herz, das wir schaffen oder besser gesagt entwickeln.
Daniel: Sein ehemaliger Dozent sagte einmal zu mir: „Du musst dir vorstellen, du steckst Fabian in dieses Gehäuse rein, und er kommt da wieder heraus, wenn er fertig ist.” Für diese Konsequenz innerhalb der Uhr braucht es einen Designer. Die Strichstärken, die Zeiger, das ist Fabians Spezialität. Da sieht man diese Verwandtschaft mit der Architektur: Es geht um die Proportionen, es geht um die Form und den Raum dazwischen.
Wo orientiert ihr euch an den Werten der Tradition und Ewigkeit im Uhrendesign, und wo brecht ihr bewusst mit diesen Konventionen?
Leonard: Wir lieben die Traditionen und kennen sie. Nur dann hat man die richtige Haltung, mit den Traditionen auch brechen zu können. Den schnellsten und einfachsten Bruch mit Traditionen vollziehen wir mit Uhrenbändern. Da dauert eine Ewigkeit manchmal nur ein paar Minuten, und wir haben etwas komplett Neues geschaffen mit der Komposition von Uhr, Band und Mensch. Bei uns spielt die Atmosphäre beim Uhrenkauf eine sehr grosse Rolle. Wenn man den IWC-Laden an der Bahnhofstrasse mit unserem hier vergleicht, sieht er im Grunde recht ähnlich aus – er wurde aber mit 5 Millionen Franken umgesetzt. Das Ladenkonzept ähnelt unserem heute sehr auffällig. Während es dort aufgesetzt wirkt, wird es bei uns gelebt.
Daniel: Genau, wir inszenieren nicht. Wir sind!
Leonard: Mein Vater sagt immer, wir sind eine Mans World. Wir sind einfach drei Männer in der Verantwortung, und vieles ist bei uns vom männlichen Stereotyp geprägt. Uns kommt zugute, dass Frauen diese Uhren oft auch sehr lieben und genau eines nicht möchten: eine typische Frauenuhr. Bei uns gibt es keine Frauenuhren und Männeruhren. Wir machen Uhren, und am Schluss entscheidet die Person: „Das ist meine Uhr.”
Ihr habt vorhin euren Laden angesprochen. Wie sehr beeinflusst der Raum, in dem ihr hier arbeitet, eure Entwürfe?
Leonard: Wir sind sehr nahe an den Menschen, die unsere Produkte tragen. Uns trennen nur ein paar Millimeter Glas des Schaufensters zwischen ihnen und uns. Wie soll ein Chef in der 17. Etage wissen, was sein Kunde im Parterre will?
Daniel: Ich hole für diese Frage ein bisschen aus: Die Trendforscherin Li Edelkoort hat für Nissan ein Auto entwickelt, den Nissan Micra. Ein hässliches Auto – meine Mutter fuhr es und wollte es mir immer gegen meinen Willen schenken. Jedenfalls hatte Li in einem alten Geschäft in Paris ihr Headoffice, wo sie ihre Sitzungen hielt. Bei uns hier ist es ähnlich, wir sprechen miteinander, aber ich sehe zwischendurch nach draussen, und mein Auge sucht einen Ort zum Verweilen, und so etwas beeinflusst uns im Prozess. Wenn du dir einmal ansiehst, wo heute teilweise die grossen Kadersitzungen stattfinden, frage ich mich schon, wie dabei schöne Sachen entstehen können. Li Edelkoort sass in einem alten Geschäft, obwohl sie dort nichts produzierte. Es ging ihr um die Energie, um den Austausch und die Bewegung rundherum. Nicht zu viel, sonst wäre man abgelenkt, aber so, dass am Schluss des Tages etwas von dieser Stimmung hängen bleibt. Und das bringt dich dann unbewusst wieder auf Ideen.
Ich glaube, das ist mit allen Dingen, die wir konsumieren so. Sie setzen sich innerlich ab und bilden eine Art gestalterische Intuition.
Daniel: Absolut, und hier bist du permanent im Austausch, das finde ich grossartig an diesem Raum! Wenn du einen Stock weiter oben bist, bist du eingemauert zu 3/4, während hier unten das Leben spielt. Alles um dich herum bewegt sich, und diese Bewegung bringt dich weiter.
Ich mache jetzt eine gewagte Aussage, aber ich überlege mir, wie stark es eine Rolle spielt, dass ihr Uhren produziert. Vielleicht spielt das am Ende des Tages gar keine so grosse Rolle. Schlussendlich läuft in eurem Produkt und in eurer Arbeit all das zusammen, die Einstellung und diese Stimmung – könntet ihr auch etwas anderes produzieren?
Daniel: Es muss nichts Uhrenspezifisches sein, aber wir haben uns die Aufgabe gestellt, Uhren zu schaffen und zu verkaufen. Also machen wir das.
Leonard: Aber ich finde, du hast schon recht, es könnte alles sein. Es ist eher die Art und Weise, mit der wir arbeiten, die unsere Identität bildet. Was wir schlussendlich machen, sind jetzt eben Uhren.
Massimo: Aber ja, ganz am Anfang wollte mein Vater einen Pizzakurier eröffnen. Aber das ist offensichtlich anders gekommen.
Ihr bezeichnet euch selber eher als Sampler, denn als Designer – wo liegt hier eure Stärke, und wie geht ihr vor, wenn ihr eine neue Uhr konzipiert?
Leonard: Ich glaube, mein Vater ist der König im Sampeln. Und wir sind bei ihm in die Lehre gegangen, haben das in der Familie und im Atelier so gelebt. Wir atmen alles ein, was diese Stadt produziert, und sind die Schnittstelle zwischen dem dörfischen, dem grossstädtischen, dem kreativen und reichen Zürich. Alle produzieren Material, Gefühle, Farben, Formen, Klänge, die wir in Uhren wandeln. Wir leben das, tragen und testen es – wir spüren es.
Massimo: Wir haben ein riesiges Inventar, da unser Vater jahrelang alles sammelte, was ihn inspirierte. Wir ordnen und kombinieren dieses Archiv mit unserem jetzt neuen Blick darauf. Ich muss also nicht unbedingt nach Inspiration suchen gehen, ich gehe manchmal einfach nach hinten oder unten und bin übervoll mit Inspiration. Das ist Luxus!
Das scheint ein sehr dynamischer und agiler Prozess zu sein.
Leonard: Ja, so arbeiten wir sehr oft. Wir haben zum Glück nicht wie die Grossen das Risiko, dass wir nur eine Uhr pro Jahr produzieren, die sich dann verkaufen muss. Sondern wir können mehr ausprobieren und herausfinden, was funktioniert und was weniger. Und manchmal braucht es einfach mehrere Jahre, bis eine Uhr verstanden wird.
Massimo: Das ist ja auch abhängig davon, was gerade im Trend ist. Oft geht man davon aus, dass man etwas Neues produziert, das sich sofort verkauft. Aber das ist selten der Fall, die meisten Uhren brauchen eine gewisse Anlaufzeit.
Ihr habt hierfür das direkte Feedback der Kundschaft, wie stark beeinflusst das eure Arbeit?
Leonard: Extrem. Ein Koch zum Beispiel bekommt nie das direkte Feedback seiner Gäste zu hören. Der Weg des Feedbacks zwischen Dienstleister und Kunde ist hier viel weiter, obwohl meist nur eine Tür dazwischen liegt. Wir hingegen erfahren das direkte Feedback, und dazu kommt, dass jede Uhr eine Geschichte erzählt, die bei uns meist sehr intensiv ist: eine private, berufliche, sehr intime, grosse oder kleine, traurige oder sehr amüsante. Manchmal ist die Geschichte eines Objekts auch dessen Schönheit. Sehr spannend fand ich das, als wir bei Vitra waren – die Offices, die gezeigt werden, sind alle so clean, und wenn man die Büros betritt, sieht man genau das Gegenteil. Es sieht ein bisschen aus wie hier bei uns. Überall die Schönheit der Geschichten.
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