Dr. Urs Wiederkehr ist Bauingenieur und Leiter des Fachbereichs Digitale Prozesse auf der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Für diese 6-teilige Kolumne verlässt sich Dr. Urs Wiederkehr 2022 auf den Zufall – so wie er einst zum Schreiben kam.
Mitte der Nullerjahre habe ich bei der Erstellung von Schulungsunterlagen im Facility Management mitgearbeitet. Gleichfalls habe ich zugesagt, zusätzlich zum bisherigen Pensum, bei der Erstdurchführung zu unterrichten. Weitere Schulen wollten unser Konzept übernehmen, und so ist der Start für meine Co-Referentin und mich dreifach erfolgt. Es ist kein Zufall, dass die Schulen, die zuerst für eine gemeinsame Entwicklung und Finanzierung abgesagt hatten, nun teilhaben wollten, denn als alles fixfertig vorlag, konnten sie risikolos zulangen.
Später bin ich von der Schulleiterin gefragt worden, ob ich auch Marketing und Unternehmenspolitik unterrichten könnte, kurzfristig sei ein Dozent ausgefallen. Beim Vorbereiten habe ich viele Analogien mit dem Stoff der anderen von mir unterrichteten Fächer feststellen können, aber auch zur Informatik, später noch zum Umweltmanagement. Aus dem für ein Jahr zugesagten Unterricht sind über zehn Jahre geworden, und ich habe der Schulleiterin mitgeteilt, dass ich aufhöre. Ich machte sie auf die verblüffenden Zusammenhänge zwischen meinen Unterrichtsthemen, aber auch zu Vorgängen in der Natur, aufmerksam. Mein Stoff ist dann von vier Referierenden weiterdoziert worden.
Ob meine Beobachtungen bezüglich der Ähnlichkeit der Themen zufällig zustande gekommen sind, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht explizit erklären, was meine Ingenieurseele nicht in Ruhe gelassen hat. Ich versuchte Zusammenhänge zu finden, habe Personen und Bücher, die das Thema und mich beeinflusst haben, systematisch verbunden und die Literaturhinweise ausgewertet. So bin ich auf neue Analogien gestossen und vor allem auf ein Ursprungsereignis, welches die systemische Denkweise bis heute geprägt hat. Im Nachgang zum Zweiten Weltkrieg haben zehn interdisziplinäre Konferenzen zur Kybernetik, der Wissenschaft zur Steuerung von Systemen auf der Basis von Feedback stattgefunden, durchgeführt durch die Macy-Stiftung. Unter anderem haben Managementkybernetik, moderne Pädagogik und Biokybernetik dort ihre Grundlagen, aber nicht nur, auch die Computerarchitektur und die künstliche Intelligenz sind darauf basierend weiterentwickelt worden.
Natürlich sind nicht alle Voraussagen der Konferenzteilnehmenden in Erfüllung gegangen. Auch sei der Traum von einer berechenbaren Welt zerstört worden, meint der Sekretär der Konferenzen, der österreichische-amerikanische Biophysiker Heinz von Foerster. Er gründete 1958 an der Universität von Illinois das Biological Computer Laboratory (BCL). Sein Forschungsschwerpunkt war die Systemtheorie und der Versuch, biologische Prozesse zu analysieren und so zu formalisieren, dass sie auf andere Gebiete angewendet werden können. Verschiedene Wissenschafter schlossen sich an, und ihr reger Austausch führte zu Errungenschaften, auf denen wir heute aufbauen.
In diesem Sinne ist es also keinem Zufall zuzuschreiben, dass ich Zusammenhänge in meinen Unterrichtsthemen gesehen habe, welche stark mit natürlichen Begebenheiten übereinstimmen. Es lohnt sich manchmal, Themen auf die Spur zu gehen und zu beweisen, dass Analogieschlüsse nicht zufällig zustande gekommen sind.
Links
Geschichte der Kybernetik, inkl. Überblick
Eine kurze Geschichte des Biological Computer Laboratory
Zu den Macy-Konferenzen sind nicht nur in der Wikipedia einige interessante Dokumente und Videofilme zu finden, Teilnehmerverzeichnis