Dr. Urs Wiederkehr ist Bauingenieur und Leiter des Fachbereichs Digitale Prozesse auf der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Für diese sechsteilige Kolumne besucht er 2021 seine bisherigen Wohnorte und transformiert Erinnerungen ins Heute.
Chly-Paris an der Bünz mit Schlössli und einem „Chäber“ im „Chäber“
Obwohl wir erst knapp zehn Jahre in Wohlen im Aargauer Freiamt wohnen, hat sich seit unserem Zuzug vieles gewandelt. Damals beim Neuzuzüger-Anlass haben die beiden Lokalhistoriker Heini Stäger und Daniel Güntert uns kompetent durch den Ort geführt. Darauf lassen sich einige Vergleiche aufbauen. – Übrigens, seit ein paar Jahren gibt es einen markierten „Gang durch Wohlen“ mit Erläuterungsplan.
Beim Bahnhof fällt das neue Busterminal auf, das wegen des Corona-bedingten Materialmangels noch auf seine offizielle Eröffnung wartet. Das 3-Schienen-Gleis der Bahn nach Dietikon, das durch den Wald nach Bremgarten-West geführt hat, ist seit 2016 auf eine 1-Meter-Spur rückgebaut worden.
Bei den Sportanlagen im Norden des Orts bietet der vor drei Jahren eröffnete Schüwo-Park nicht nur perfekte Verhältnisse für den Eissport, auch das vor 55 Jahren eröffnete Freibad ist darin integriert. Dahinter liegt eine Anlage, die für die Verkehrsschulung erstellt worden ist. Im Fussballstadion Niedermatten spielt der FC Wohlen nicht mehr in der Challenge League, sondern in der Ersten Liga: Die Erfüllung der Verbandsvorgaben waren für den Kleinstadtclub nicht mehr machbar, deshalb hat er sich 2018 „freiwillig“ zurückgezogen.
Das älteste Steinhaus von Wohlen, das Schlössli, das aufgrund von archäologischen Indizien aus dem 12. Jahrhundert stammen könnte, hat eine umfassende Sanierung erfahren und steht als Kunstdenkmal und Haus der Begegnung der Öffentlichkeit zur Verfügung. Hingegen hat die nicht weit entfernte Liegenschaft Weber nur eine sanfte Renovierung erhalten. Darin hat die legendäre Wirtin und Aargauerin des Jahrs 2014, Irma „Chäber“ Koch, 53 Jahre lang ihre kleine Beiz „Chäber“ geführt.
Nicht nur im Ort, sondern auch südlich davon hat es Änderungen gegeben. Der Bachlauf der Bünz ist renaturiert und ein Durchlassbauwerk mit zwei Schleusentoren erstellt worden, deren Dimensionen mein Ingenieurherz höherschlagen lassen. Damit entschärft sich die Hochwassergefahr in Wohlen und weiteren Orte an der Bünz bis zur Mündung in die Aare bei Wildegg.
Noch immer beherrschen ehemalige Fabrikgebäude das Ortsbild, die zu Gewerbeparks oder Wohnhäusern umgebaut worden sind. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts ist Wohlen in der internationalen Modewelt mit seiner Strohgeflechtindustrie bekannt gewesen, insbesondere für Strohhüte und entsprechende Garnituren. Bis nach London, New York und Paris haben Wohler Industrielle ihre Produkte von „Chly-Paris“ aus, wie die kleine Modehauptstadt Wohlen auch genannt worden ist, geliefert. Das Strohmuseum, das bei unserem Zuzug noch im alten Bankgebäude ein tristes Dasein gefristet hat, ist heute in der Villa des ehemaligen Fabrikanten August Isler beheimatet. Es überzeugt mit moderner Museumspädagogik. Der Schweizer Autor Stefan Frey widmet der Wohler Strohgeflechtindustrie seinen lesenswerten Roman „Strohgold“. Dass die Hauptperson aus dem Roman, die Anne-Käthy aus dem Freiamt, später in Grand Paris Anne-Catherine, den gleichen Nachnamen trägt wie ich, sei hier am Rande erwähnt. Nur, wie in der Kolumne 4/2021 stelle ich erneut die Frage: Ist das alles Zufall? Vermutlich muss ich mich damit in nächster Zeit beschäftigen.
Tipps:
Schlössli, Kunstdenkmal und Haus der Begegnung
Gang durch Wohlen mit Plan
Strohmuseum im Park
Schüwo-Park mit Eissportanlage und Freibad
Roman „Strohgold“ von Stefan Frey