Der Autor versucht anhand eines Entscheids des Bundesgerichts zu zeigen, welche Sicherungspflichten dem Werkeigentümer zugemutet werden können.
Ein Paar ist bei einem befreundeten Paar auf seinem Anwesen, das eine Villa und eine „Dépendance“ umfasst, zum Mittagessen eingeladen. Die „Dépendance“ ist ein kleiner vom Tageslicht beleuchteter Pavillon. Darin sind Möbel, Antiquitäten und andere Objekte gelagert. Im Innern ist, nahe an einem Fenster, eine Klappe auf Bodenebene, die Zugang zu einem Hohlraum für die Haustechnik gewährt. Diese Klappe ist seit einigen Tagen offen, um Feuchtigkeitsschäden an den gelagerten Objekten zu verhindern. Der Schlüssel für die „Dépendance“ ist ständig neben der Tür aufgehängt. Anlässlich des Lunchs erzählt der Hausherr von der „Dépendance“, ohne aber eine Besichtigung vorzuschlagen. Dabei ist die Klappe, die er selbst vor einigen Tagen geöffnet hat, kein Thema.
Nach dem Essen legt sich der Hausherr hin, die restliche Gesellschaft spaziert im Garten des Anwesens. Anschliessend besichtigt das befreundete Paar zusammen mit der Hausherrin die „Dépendance“, deren Boden mit Objekten vollgestopft ist. Bei dieser Besichtigung stürzt der Gast durch die vom Hausherrn offen gelassene Klappe, die er übersehen hat. Der Sturz bedingt einen dreiwöchigen Spitalaufenthalt. Nach seiner Rückkehr benötigt der Geschädigte tägliche Hilfe durch ein sozial-ärztliches Zentrum. Es folgen Physiotherapiesitzungen und ärztliche Untersuchungen. Es ist unbestritten, dass der Vorfall schwerwiegende Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit des Opfers gehabt hat.
Die Vorinstanzen
Fast drei Jahre nach dem Unfall machte das Opfer Schadenersatzforderungen in der Höhe von über 760’000 Franken geltend. Die erste Instanz sprach ihm einen Betrag von über 400’000 Franken zu, mit der Begründung, dass die offene Klappe als Gefahrenquelle im Sinne von Art. 58 Obligationenrecht (OR) zu beurteilen ist. Art. 58 Abs. 1 OR sieht folgendes vor: „Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den diese infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursachen“.
Die offene Klappe hätte einer Sicherung bedurft, welche durch den Hausherrn hätte gewährleistet werden müssen. Da die Klappe schutzlos respektive ohne Schutz für die Benutzer war, qualifizierte das erstinstanzliche Gericht die Klappe als Werk. Der Hausherr und Eigentümer verletzte somit seine Sorgfaltspflicht. Die zweite Instanz stufte die Besichtigung der „Dépendance“ als unvorhersehbar und ungewöhnlich ein. Eine mangelhafte Instandhaltung aufgrund eines fehlenden Schutzes sei nicht gegeben, da die Benützung des Nebengebäudes nur für den Eigentümer bestimmt sei, nicht für Dritte ohne seine Anwesenheit. Die Haftung des Eigentümers wurde abgelehnt.
Das Bundesgericht
Das Bundesgericht hat zugunsten des Hausherrn entschieden. Art. 58 OR sanktioniert den mangelhaften Zustand eines Werks, ohne dass eine Verletzung der Sorgfaltspflicht seitens Eigentümer vorausgesetzt ist. Es braucht nur einen Werkeigentümer, ein Werk, einen Mangel, einen Schaden und einen natürlichen Kausalzusammenhang zwischen Werkmangel und Schaden, so das Bundesgericht. Der Mangel kann bau- oder unterhaltungsbedingt sein. Wenn die Sicherheit für den vorgesehenen Zweck ungenügend ist, dann liegt ein Mangel vor. Derjenige, der ein Mangel geltend macht, hat dies zu beweisen.
Für das Bundesgericht drängt sich die Frage auf, ob die „Dépendance“ zweckgemäss benutzt worden ist. Auch ist zu prüfen, ob das Werk nach objektivem Massstab eine genügende Sicherheit bei einer zweckbestimmten Benutzung aufweist. Bei öffentlichen Werken gelten selbstverständlich strengere Sicherheitsanforderungen als bei privaten Gebäuden.
Die Grenze der Sicherungspflicht durch den Eigentümer ist durch die Selbstverantwortung des Benutzers gesetzt. Auch ist die Zumutbarkeit der zu treffenden Massnahmen massgebend, die Verhältnismässigkeit spielt die Hauptrolle: das heisst, die Möglichkeit der Massnahmen und deren Kosten versus das Schutzinteresse der Benutzer und Benutzungszweck des Werks.Das Nebengebäude ist weder Arbeits- noch Ausstellungsort für Dritte, der Zweck der „Dépendance“ ist primär privater Natur. Es handelt sich folglich um ein Werk zum privaten Zweck, dass dazu noch exklusiv für dessen Eigentümer gedacht ist, da es sich um ein „Depot“ handelt.
Die Sicherheit ist somit unter dem Gesichtspunkt der privaten Benutzung zu beurteilen. Der Schlüssel ist in der Nähe der Tür, Dritte können jederzeit in die „Dépendance“ eindringen. Aber das Treffen von besonderen Sicherheitsmassnahmen, wie dies die erste Instanz befürwortet hat, ist aus Sicht des Bundesgerichts übertrieben. Anlässlich des Lunchs ist keine Besichtigung vorgeschlagen worden. Es ist auch kein besonderes Interesse seitens der Gäste für die „Dépendance“ gezeigt worden. Damit hätte der Hausherr nicht davon ausgehen müssen, dass die Gäste versucht wären, das Nebengebäude zu besichtigen. Den Hausherrn trifft folglich keine Pflicht zur Sicherung der zur Lüftung offen gelassenen Klappe. Es ist nicht vorhersehbar gewesen, dass die Gäste an diesem Tag ohne ihn die „Dépendance“ besichtigen und damit betreten würden. Es ist auch keine mangelhafte Unterhaltung der Anlage festzustellen. Das Nebengebäude ist nicht für den Empfang von Dritten gedacht.
Die Quintessenz
Das Urteil des Bundesgerichts hat etwas Beruhigendes für den Alltag von Haus- und Werkeigentümern. Es ist jedoch wichtig, sich vom Ergebnis nicht blenden zu lassen. Die Rechtsprechung des Bundesgerichts in diesem Bereich ist, wie Rechtsprofessor Pascal Pichonnaz anlässlich der virtuellen Baurechtstagungen der Universität Fribourg gezeigt hat, differenziert. Manchmal sind die Richter von Mon-Repos sehr streng, wie in einem Urteil von 2004, als ein den Sicherheitsnormen entsprechender und gemäss den anerkannten Regeln der Technik unterhaltener Aufzug als mangelhaft beurteilt wurde. Wie Professor Pichonnaz jedoch zu Recht hervorhebt, ist die Sicherheit ein relativer Begriff, der von dem abhängt, was der Eigentümer vernünftigerweise machen kann.
Walter Maffioletti, Mitglied der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) mit Spezialisierung im Bau- und Immobilienrecht an der Universität Freiburg, ist Leiter der Rechtsabteilung des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) und als Rechtsanwalt bei Vialex Rechtsanwälten beratend und prozessierend tätig. Er unterrichtet und referiert an verschiedenen Ausbildungsstätten und Organisationen.