Öffentliche Auftraggeber:innen können auch unter dem revidierten Vergaberecht
Planungs- und Gesamtleistungswettbewerbe durchführen. Doch welche Mindestvorgaben sind hierbei einzuhalten, und welche neuen Regelungen sind aus Sicht der Wettbewerbsteilnehmer von Bedeutung? Diesen und weiteren Fragen geht der vorliegende Beitrag nach.
Mit dem Wettbewerb steht der Auftraggeberin ein Instrument zur Verfügung, um unter Konkurrenz verschiedene Lösungen, unter anderem in konzeptioneller, gestalterischer und wirtschaftlicher Hinsicht, ausarbeiten zu lassen. Obwohl mit der Revision des Vergaberechts die Ausweitung des Anwendungsbereichs auf Bereiche ausserhalb der Baubranche (z.B. auf den Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie) beabsichtigt ist, sind Wettbewerbe weiterhin vor allem in der Architektur von grosser praktischer Bedeutung.
Rechtsgrundlagen
Auf Bundesebene sieht Art. 22 Abs. 1 des Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaf-fungswesen (BöB) vor, dass die öffentliche Auftraggeberin, die einen Wettbewerb durch-führt, im Rahmen der Grundsätze des BöB das Verfahren im Einzelfall festlegen kann. Dabei delegiert der Gesetzgeber die Kompetenz zur Regelung der Wettbewerbe weitestgehend an den Bundesrat und hält in Art. 22 Abs. 2 BöB zahlreiche spezifische Kompetenzdelegationen bereit. Die entsprechenden vom Bundesrat in der Verordnung über das Beschaffungswesen (VöB) erlassenen Bestimmungen gehen allfälligen durch die Auftraggeberin aufgestellten Regelungen vor.
Für die Kantone ergibt sich aus Art. 22 IVöB, dass bei Wettbewerben die Grundsätze der Interkantonalen Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) zu beachten sind. Im Gegensatz zum BöB bestehen indes keine weitergehenden Bestimmungen und ist eine Delegationskompetenz nicht vorgesehen. Insofern kommt den kantonalen und kommunalen Auftraggeberinnen in Bezug auf die Ausgestaltung von Wettbewerben ein grosser Handlungsspielraum zu.
Zur Ergänzung der gesetzlichen Verfahrensvorschriften können die Auftraggeberinnen auf einschlägige Bestimmungen von Fachverbänden (z.B. auf die SIA-Ordnungen 142 und 143) verweisen. Solche privatrechtlichen Regelwerke sind seitens der Auftraggeberin nur insoweit ergänzend einsetzbar, als sie den vergaberechtlichen Vorschriften nicht entgegenstehen.
Vergaberechtliche Mindestanforderungen
Wettbewerbe dienen der Beschaffung von Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen. Während die private Auftraggeberin frei bestimmen kann, ob sie einen Auftrag di-rekt vergeben oder eine Ausschreibung unter Konkurrenz von Teilnehmern durchführen will, hat die öffentliche Auftraggeberin vorrangig die massgebende Submissionsgesetzgebung zu beachten. Zwar unterscheiden sich Wettbewerbe von gewöhnlichen Submissionen insbesondere durch die anonyme Durchführung und die Beurteilung durch ein unabhängiges Expertengremium. Doch stellt ein Wettbewerb keine eigenständige Verfahrensart dar. Vielmehr ist ein Wettbewerb stets in einem Verfahren, welches von den einschlägigen Submissionserlassen zur Verfügung gestellt wird, durchzuführen.
Dabei hängt die Wahl der Verfahrensart von der Höhe des Auftragswerts ab, der sich aus der Gesamtpreissumme und dem geschätzten Wert eines allfälligen Folgeauftrags zusammensetzt. Bis zu einem bestimmten Schwellenwert kann der Wettbewerb im Einladungsverfahren durchgeführt werden; ab Erreichen der massgebenden Schwellenwerte sind Wettbewerbe im offenen oder selektiven Verfahren auszuschreiben. Innerhalb der gesetzlichen Schranken ist das Wettbewerbsverfahren einzelfallweise regelbar, wobei nebst den allgemeinen Grundsätzen des Vergaberechts (auf Bundesebene) die Vorschriften von Art. 13 ff. VöB zu beachten sind. Insbesondere hat das Wettbewerbsprogramm, welches den Ausschreibungsunterlagen im gewöhnlichen Submissionsverfahren entspricht, darüber hinausgehende Angaben wie die Nennung des Expertengremiums und Angaben zur Anonymität, zur Option auf Folgeaufträge sowie zu den Ansprüchen der Teilnehmer aus dem Wettbewerb zu enthalten.
Sofern das Wettbewerbsverfahren gegen vergaberechtliche Grundsätze verstösst, ist die Grundlage für einen im Wettbewerbsprogramm vorgesehenen freihändigen Folgeauftrag an den Gewinner entzogen und muss diesfalls die Weiterbearbeitung des Siegerprojekts neu ausgeschrieben werden (sofern sich die Auftraggeberin die entsprechenden Rechte gesichert hat; ansonsten sie nicht umhinkommt, ein neuerliches Wettbewerbsverfahren durchzuführen).
Neben die vergaberechtlichen Grundsätze treten weitere, wettbewerbsspezifische Min-destanforderungen und besondere Bestimmungen. Auf die wichtigsten Regelungen wird nachfolgend kurz eingegangen.
Zum mehrstufigen Wettbewerb
Im Zuge der Revision wurde auf Bundesebene eine bedeutsame Neuerung (aber ein in der Praxis bereits bekanntes Vorgehen) aufgenommen: Die Anzahl der Teilnehmer kann im Verlaufe des Verfahrens reduziert werden, sofern in der Ausschreibung auf diese Möglichkeit hingewiesen wurde (vgl. Art. 15 Abs. 3 VöB). Die Beurteilung darüber, ob ein Teilnehmer im Wettbewerb verbleibt bzw. in die nächste Runde vorrückt, muss anhand von objektiven und transparenten Kriterien erfolgen.
Die nunmehr gesetzlich festgelegte Möglichkeit zur Durchführung eines mehrstufigen Wettbewerbs ist zumindest aus praktischen Überlegungen positiv zu werten: Werden Beiträge, bei welchen sich eine Rangierung auf den hinteren Plätzen abzeichnet, frühzeitig aus dem Wettbewerb genommen, führt dies einerseits zu einer Minimierung von unnötigem Aufwand aufseiten der Wettbewerbsteilnehmer und kann sich andererseits dadurch das Expertengremium auf die Beurteilung der aussichtsreichen Beiträge konzentrieren.
Zur Anonymität im Wettbewerbsverfahren
Wettbewerbsverfahren sind grundsätzlich anonym durchzuführen und haben die Teil-nehmer ihre Beiträge anonym einzureichen. Verstossen die Teilnehmer gegen das Anonymitätsgebot, werden sie vom Wettbewerb ausgeschlossen (vgl. Art. 17 Abs. 1 VöB).
Eine neue Bestimmung auf Bundesebene sieht nunmehr vor, dass die öffentliche Auf-traggeberin die Anonymität vorzeitig aufheben kann, sofern in der Ausschreibung darauf hingewiesen wurde (vgl. Art. 17 Abs. 3 VöB). Mit der Aufhebung der Anonymität im Wettbewerbsverfahren stehen die öffentliche Auftraggeberin und das Expertengremium in der Pflicht, den Grundsätzen des Vergaberechts, insbesondere dem Gleichheits- und Transparenzgebot, verstärkt Beachtung zu schenken. Dies bedeutet insbesondere, dass der Ablauf des Verfahrens im Wettbewerbsprogramm genau zu umschreiben ist und eine vollständige Protokollierung von Besprechungen zu erfolgen hat.
Aus Sicht der Wettbewerbsteilnehmer stellt die Möglichkeit zur Aufhebung der Anonymität eine nicht unerhebliche Neuerung dar. Zwar kann dadurch dem berechtigten Bedürfnis aller Beteiligten, miteinander in Dialog zu treten und Diskussionen, die über blosse Fragebeantwortungen hinausgehen, zu führen, nachgekommen werden und lässt sich darüber hinaus in einem nichtanonymen Wettbewerbsverfahren die Eignung der Teilnehmer im Hinblick auf einen allfälligen Folgeauftrag (uneingeschränkt) überprüfen. Doch ist Vorsicht angebracht und von der öffentlichen Auftraggeberin sicherzustellen, dass die vergaberechtlichen Grundsätze (wie die Gleichbehandlung aller Teilnehmer und das Transparenzgebot) in verstärktem Masse zum Tragen kommen.
Zum Expertengremium
Das Expertengremium wird von der öffentlichen Auftraggeberin eingesetzt. Dabei muss zumindest die Mehrheit der Mitglieder des Expertengremiums aus Fachpersonen beste-hen; die weiteren Mitglieder können von der öffentlichen Auftraggeberin frei bestimmt werden. Eine unabdingbare Voraussetzung eines Wettbewerbs ist die Unabhängigkeit der Mitglieder des Expertengremiums, und zwar sowohl gegenüber den Wettbewerbsteilnehmern als auch gegenüber der öffentlichen Auftraggeberin. In Bezug auf die Unabhängigkeit gegenüber der öffentlichen Auftraggeberin genügt es, wenn zumindest die Hälfte der Fachpersonen von dieser unabhängig ist. Die Mitglieder des Expertengremiums sind in den Ausschreibungsunterlagen bekannt zu geben. Dieses Publikationserfordernis dient der Transparenz und ermöglicht die Überprüfung allfälliger Ausstandsgründe (vgl. Art. 13 BöB/IVöB).
Zu den Hauptaufgaben des Expertengremiums gehören die Beurteilung der Beiträge so-wie der Entscheid über deren Rangierung und die Vergabe der Preise. Zudem hat das Expertengremium zuhanden der öffentlichen Auftraggeberin eine Empfehlung für die Erteilung eines Folgeauftrags oder für das weitere Vorgehen abzugeben. Die öffentliche Auftraggeberin ist grundsätzlich an diese Empfehlung gebunden und darf nur aus wichtigen Gründen hiervon abweichen.
Im Grundsatz dürfen nur Beiträge ausgezeichnet werden, die keine wesentlichen Abwei-chungen vom Wettbewerbsprogramm aufweisen. Das Expertengremium ist aber unter bestimmten Voraussetzungen – sofern ein entsprechender Vorbehalt in der Ausschrei-bung festgelegt wurde – befugt, Beiträge zu rangieren oder zur Weiterbearbeitung zu empfehlen, die in wesentlichen Punkten von den Anforderungen in der Ausschreibung abweichen (sog. Ankäufe).
Finanzielle Ansprüche aus dem Wettbewerb
Je nach Rangierung erhalten die Teilnehmer ein Preisgeld, welches jedoch in der Regel nur einen Teil ihrer Aufwendungen deckt. Ein Anspruch auf eine weitergehende Entschädigung für ihre geleistete Arbeit besteht nur, sofern dies in der Ausschreibung ausdrücklich vorgesehen wurde. Hingegen kann sich ein zusätzlicher Abgeltungsanspruch für den Gewinner des Wettbewerbs ergeben, soweit die öffentliche Auftraggeberin einen in der Ausschreibung in Aussicht gestellten Folgeauftrag entgegen der Empfehlung des Expertengremiums nicht dem Gewinner des Wettbewerbs erteilt, sondern an einen Dritten vergibt (oder die weitere Bearbeitung des Gewinnerbeitrags selbst in die Hand nimmt).
Fazit
Der Wettbewerb ist heute vor allem bei grösseren Bauvorhaben ein geeignetes Instrument, um qualitativ hochstehende Projektvorschläge zu erhalten und die geeignete Fachperson zur Realisierung zu finden. Im Vergleich zu den gewöhnlichen Vergabeverfahren weisen Wettbewerbe den Vorteil auf, dass sie der Auftraggeberin die Evaluation verschiedener Lösungen ermöglichen. Zwar wurden die Vorschriften auf Bundesebene deutlich verschlankt, was auch Raum für die Erarbeitung spezifischer Bestimmungen durch Fachverbände eröffnet. Doch weist sich das Wettbewerbsverfahren nach wie vor durch eine gewisse Formstrenge aus, die zwar im Sinne des Gleichbehandlungs- und des Transparenzgebots erforderlich ist, aber die Kreativität der Wettbewerbsteilnehmer (und auch das Ermessen des Expertengremiums) einschränken kann. Durch die Wahl von möglichst offen formulierten Zuschlagskriterien, die Zulassung von Varianten und die Beschränkung auf möglichst wenige Rahmenbedingungen kann die öffentliche Auftraggeberin dieser Problematik entgegenwirken.
Regula Fellner ist Fachanwältin SAV Bau- und Immobilienrecht und als Senior Associate bei PMP Rechtsanwälte AG beratend und prozessierend tätig. Daneben referiert und berichtet sie in ihrem Blog Bauimmorecht.ch regelmässig über aktuelle Themen aus dem Bau- und Immobilienrecht.