Sie ist ein Ort der Begegnung, Treffpunkt für Jung und Alt, für Geschäftsleute sowie Touristen – die Piazza Grande in Locarno. Unverkennbar mit den Laubengängen im lombardischen Stil geschmückt, beherbergt sie eine Vielfalt an Dienstleistungsbetrieben sowie diverse Gastronomie und stellt das pulsierende Herz Locarnos dar. Neben ihrer Rolle als grosser, lebendiger Platz ist die Piazza zugleich Gastgeberin zahlreicher Veranstaltungen, die jährlich Tausende Besucher anlocken – darunter auch das Moon&Stars. Vom 13. bis 23. Juli dieses Jahres verwandelt das Music Festival den grossen mit Kopfsteinpflaster besetzten Platz inmitten der Tessiner Stadt für Tausende Besucher erneut zur Tanzfläche. Doch neben den Topacts wie OneRepublic, Eros Ramazzotti oder Tom Gregory auf der Bühne ist vor allem auch die auffällige Bühnenfassade selbst massgeblich an der einmaligen Stimmung beteiligt. Dani Büchi, seit über 20 Jahren Veranstalter und seit sechs Jahren verantwortlich für die jährliche Konzertreihe, hat uns wortwörtlich einen Backstage-Blick gewährt.
Für fast zwei Wochen inszenieren Sie die Piazza Grande in Locarno als temporäres Gesamtkunstwerk und erfinden den Mittelpunkt der Stadt hierfür beinahe neu. Wird die Planung der Hauptbühne jedes Jahr komplett aufs Neue in Angriff genommen?
Genau genommen, muss man bei der Hauptbühne vorab zwischen dem Bühnengerüst an sich und dessen Verkleidung unterscheiden. Während das Stahlkonstrukt der Main-stage schon lange dasselbe ist, da es ja exakt für die immer gleichbleibende Lücke auf der Piazza Grande erstellt wurde, wurde dessen Fassade im Laufe der Zeit (teilweise) erneuert, angepasst oder optimiert. Je nach Materialzustand sowie dem vorhandenen Budget überarbeiten wir das Bühnenbild entsprechend – im grösseren Umfang zuletzt 2022, wofür wir den Leerlauf der Corona-Pandemie für die Neuplanung genutzt haben. Dabei haben wir insbesondere darauf geachtet, dass die neue Fassade für mindestens fünf weitere Jahre verwendet werden kann. Ein wesentliches Detail hierfür stellte zum Beispiel die Optimierung der Verbindungsstücke dar, die nun aus Metall gefertigt worden sind und somit dem zyklischen Prozess von Aufbau, Abbau und Einlagerung besser standhalten können. Somit wird – um auf die Frage zurückzukommen – generell vielmehr an logistischen Stellschrauben, kleinen Details wie Lampen oder an Ausbesserungen Jahr für Jahr gearbeitet, als letztlich eine komplette Neugestaltung der Bühnenfassade in Angriff zu nehmen.
Nach dem Motto „Stille Wasser sind tief“ verbirgt sich hinter dem temporären Bauwerk weitaus mehr Planungszeit und -aufwand als erwartet und auf den ersten Blick ersichtlich.
Um unser Bühnenbild während der zehn Tage in dieser Art und Weise präsentieren zu können, haben wir in etwa zwei Jahre Planung investiert und zuvor bereits viele Monate der Entwicklung mit diversen Fachleuten durchlaufen. Hingegen geschieht der eigentliche Aufbau letztlich relativ schnell: Anfang Juli starten die Aufbauarbeiten, innerhalb von drei Tagen wird das Stahlgerüst aufgezogen, und nach zwei weiteren Tagen ist bereits die Holzfassade montiert, sodass im Anschluss die notwendige Technik angebracht werden kann. Den grösseren Kraftakt stellt dagegen der komplette Abbau dar, wofür wir lediglich zwei Tage Zeit haben, um dem gleich im Anschluss stattfindenden Filmfestival wortwörtlich den Platz zu räumen. Koordination und Optimierung ist somit durchwegs das A und O in der Königsdisziplin Eventarchitektur: Da sowohl die Planung als auch die Umsetzung interdisziplinäre Prozesse zwischen dem Bühnenbauer fürs Stahlgerüst, dem Holzbauer für die Verkleidung, der Logistik sowie auch der Eventtechniker sind, müssen die Schnittstellen hier nahtlos ineinandergreifen – auch wenn jedes Gewerk seine ganz individuellen Wunschvorstellungen fürs Design hätte.
Apropos Königsdisziplin: Was sind denn die grössten (vielleicht auch verborgenen) Herausforderungen bei diesen temporären Bauprojekten?
Vor allem sicherlich die Logistik und der strenge Zeitplan, der egal bei welchen Wetterverhältnissen eingehalten werden muss, sowie die dafür notwendige funktionierende Kommunikation und die reibungslose Interaktion zwischen den unterschiedlichen Gewerken. Zudem kommen einige unserer grössten Partner ursprünglich nicht aus dem Bereich der Eventarchitektur, sondern aus dem gängigen Bauwesen, sodass die temporären Bauten für sie zu Beginn komplettes Neuland waren. Letztlich hat unsere Zusammenarbeit für beiden Seiten – also uns sowie ihnen – durch einen unterschiedliche Perspektive einen Mehrwert garantiert.
Ist das Design demnach auch in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Gewerken ausgearbeitet worden, oder wurde für den gestalterischen Aspekt explizit ein Architekt ins Boot geholt?
Ursprünglich gab es für die Grundgestaltung der Bühne eine kleine Ausschreibung, womit uns demnach Ideen vom klassischen Bühnenbild bis hin zur fantasievollen Kulisse erreicht haben. Wie man nun sieht, haben wir uns für ein klassisches, allseits bekanntes Format für die Fassade entschieden, welches eine Mischung aus Designvorschlägen von Lara Schefer-Klingler von B + K Architekten AG sowie Lucas Burach vom Bureau Burach in Zusammenarbeit mit der Venon Projects AG ist und im weiteren Verlauf ganz nach unseren Vorstellungen weiterentwickelt und ergänzt wurde. Inspiration für diese Weiterentwicklungen im Design habe ich spontan bei der hölzernen Autobahnraststätte Gotthard-Nord sowie dem Bürogebäude von Damiani Holzbau in Brixen, Südtirol, gefunden. Beide Gebäude haben mich mit ihrer Fassadengestaltung aus Holzlamellen begeistert – vor allem jenes in Südtirol mit seiner Dreidimensionalität und Wellenbewegung in der Gebäudehülle. In einer etwas simpleren aber dennoch räumlichen Geste haben wir diesen Umgang mit den Lamellen in unser Bühnenbild übernommen: Gemeinsam mit der Invias AG haben wir an unseren 3D-gefrästen Lamellen getüftelt, deren Dimensionen sowie deren Aus- und Beleuchtung bei Tag und Nacht in Mock-ups eingehend getestet wurden, sodass sich Kosten und Nutzen am Schluss die Waagschale halten. In Kombination mit der zusätzlichen Fassadenbeleuchtung schaffen diese Holzrippen ein einmaliges Licht- und Schauspiel, das die Möglichkeiten der Lichtdesigner der Künstler enorm erweitert und auch den Besuchern ein Spektakel sowie eine Atmosphäre der besonderen Art bietet.
Die Bühne steht damit wortwörtlich im Scheinwerferlicht. Was macht die Hauptbühne abseits dieser Lichtspiele einzigartig?
Die Möglichkeit, das Lichtkonzept weiter- und vor allem räumlich auf der gesamten Piazza denken zu können, ist mit Sicherheit das auffälligste Charakteristikum, das zugleich am meisten Wirkung generiert. Für diese räumliche Inszenierung ist insbesondere die Positionierung und Einbindung der Mainstage in die Altstadt Locarnos von besonderer Bedeutung – ein Umfeld, das für eine unvergleichbare Atmosphäre sorgt und das Geschehen bündelt, wie es bei keinem anderen Festival in dieser Art und Weise der Fall ist. Eher unüblich ist darüber hinaus vermutlich auch unser eigenes Engagement als Veranstalter hinter der Entwicklung unserer Bühne, die alles andere als dem Standard entspricht. Nicht nur aufgrund der ortsspezifischen Gegebenheiten muss das Grundgerüst bereits genauestens eingepasst werden, sondern muss zudem die enormen Windlasten und gleichzeitig höheren, vertikalen Lasten der Holzfassade tragen können – wofür eine zusätzliche Holz-Unterkonstruktion entwickelt und am Gerüst angebracht wurde.
Lässt sich die Umsetzung der Fassade in Holz auf den Nachhaltigkeitsgedanken bzw. die Ansprüche an eine Kreislaufwirtschaft zurückführen?
Die Entscheidung ist weniger auf die Nachhaltigkeit im Sinne der Ökologie zurückzuführen, aber spielt hinsichtlich der Langlebigkeit und Wiederverwendbarkeit auf alle Fälle eine wesentliche Rolle. Hier auf eine qualitative Verarbeitung und hochwertige Materialien zu setzen, verstehen wir ebenso als nachhaltig und beschreibt unter anderem das Handeln im Sinne der Kreislaufwirtschaft – was sich nicht nur positiv auf die Umwelt, sondern auch auf die Reduzierung der Kosten auswirkt. Zwar kostet uns die Zwischenlagerung der Bühnenfassade jährlich rund 20’ 000 Schweizer Franken, dennoch kommt uns dieses Prozedere billiger, als jedes Jahr aufs Neue eine komplett neue Bühne aus dem Erdboden zu stampfen. Um dabei die Oberfläche der Holzfassade über die Jahre hinweg frisch zu erhalten, wurde sie mit einer Sun-Care-Behandlung vor dem Vergrauen geschützt, denn immerhin sind die Fassadenelemente – wenn auch nur über einen kurzen Zeitraum – Witterungseinflüssen ausgesetzt. Bisher hatten wir zudem das Glück, die Fassade trocken einlagern zu können – Gedanken zur bestmöglichen Trocknung machen wir uns dann, wenn es soweit ist. (schmunzelt)
Wären andere Materialien in dem Fall nicht unempfindlicher gewesen?
Zuerst schwirrten auch komplett andere Ideen in unseren Köpfen herum, die den Weiterbau der Piazza beinhalteten und ein eigenständiges, temporäres Häuschen als Bühne zur Folge gehabt hätten. Daneben gab es Materialkonzepte, die sowohl Corten-Stahl als auch Glas vorgesehen hätten, aber aufgrund des Gewichts und hinsichtlich des logistischen Prozesses relativ schnell wieder verworfen wurden. Doch abgesehen von ihrer Materialität und Erscheinung lebt die Bühne hier vom urbanen Charme und ihrer Einbindung in die einmalige, historische Umgebung – ein Kontext, dessen Atmosphäre wir niemals künstlich hätten realisieren können.
Neben der einzigartigen Umgebung bringt die Lage inmitten der Altstadt vermutlich auch einige Herausforderungen mit sich. Zählt der Denkmalschutz dazu?
Natürlich müssen wir auf die bestehenden, historischen Bauten Rücksicht nehmen, demnach wurde die Bühne auch als komplett frei stehendes Bauwerk realisiert und das Gerüst exakt in die Lücke eingepasst, ohne eines der benachbarten Gebäude zu berühren. Weitere, vielleicht nicht sofort ersichtliche Herausforderungen präsentiert unter anderem das Kopfsteinpflaster der Piazza Grande, das zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Demnach darf dieses nur durch eine bestimmte Anzahl an Lastwagen gleichzeitig befahren werden oder ein Stapler nicht auf der Stelle drehen, wodurch sich möglicherweise Steine aus dem Boden lösen könnten. Zudem erschwert die räumliche Enge den Aufbau der Bühne, sodass dieser zum Beispiel nur per Kran, immer am selben Standort positioniert, umgesetzt werden kann.
Spielt die räumliche Begrenzung und Enge der Piazza abseits der Positionierung des Krans eine Rolle?
Da neben den Transportern insbesondere der Kran für den Aufbau zwingend notwendig ist, stellt dieser eine unumgängliche Masseinheit dar: Nicht nur die Vorgabe seiner Position wirkt sich auf den Bühnenbau aus, sondern zugleich gibt dieser die maximalen Ausmasse der Bühnenelemente vor, wodurch im Voraus schon die Bühnenbauer und Co. in der Planung gefordert sind. Obendrein zu diesen logistischen Aspekten gilt es, den Zeitplan exakt einzuhalten, da sowohl die einzelnen Gewerke voneinander abhängig sind als auch der lokale Freiraum sehr eingeschränkt ist – zudem kommen noch die enormen Kosten für die Miete des Lastwagenkrans dazu, die nach Stunden abgerechnet werden. Und um die Aufbauarbeiten per Kran erst ermöglichen zu können, müssen zuvor noch einige Beleuchtungselemente über der Piazza Grande entfernt werden.
Die unmittelbare Nähe zum Bestand hat auch Berührungspunkte mit den Anwohnern zur Folge. Bekommen die Stimmen der unmittelbaren Nachbarn in der Altstadt Gehör?
Unser Glück ist, dass die Stadt sowie mittlerweile ihre Bewohner die enorme Wertschöpfung dieser Veranstaltung für die gesamte Region verstanden haben – während der elf Tage sprechen wir hier von etwa 60 Millionen Franken. Denn für unsere mehrtägige Konzertreihe sind wir nicht nur auf deren Toleranz angewiesen, um unmittelbar vor ihren Fenstern und Haustüren Tausende Musikbegeisterte bis spät in die Nacht hinein unterhalten zu dürfen, sondern brauchen für die Inszenierung des Konzertgeländes deren Häuserfassaden. Hierfür müssen Scheinwerfer an den umliegenden Bauten montiert werden, um unsere einmalige Fassadenbeleuchtung der Hauptbühne zu ermöglichen – wofür wir natürlich von jedem einzelnen Nachbarn das Einverständnis einholen.
Neben der Hauptbühne bespielen ein Streetfood-Market sowie eine kleinere Bühne die Promenade Locarnos. Wurden diese ins künstlerische Gesamtkonzept gleichermassen wie die Mainstage miteinbezogen?
Natürlich sollte im Gesamtbild ein roter Faden und Gestaltungswille erkennbar sein, wofür wir beispielsweise auch die Häuschen für die Gastronomie in Holz realisiert haben – dennoch wurde hier nicht alles komplett bis ins kleinste Detail durchgeplant. Unser Ziel war es letztlich, eine in sich stimmige Umgebung zu schaffen, die schön anzusehen ist, aber ebenso Key-Visual-Elemente, wie das ikonische Riesenrad oder die Lichterketten, für die Wiedererkennung beizubehalten. So haben sich im Laufe des Aufbaus immer wieder spontane kleinere Elemente wie zusätzliche Palmen und Fahnen hinzugefügt oder wurden aussen vor gelassen sowie auch grössere Bauten kurzfristig vor Ort aus alten Bühnenteilen schreinern lassen. Mehr Aufwand als gedacht steckt hingegen wiederum hinter der Piazza Piccola, der kleineren Nebenbühne mit Gratiskonzerten, die architektonisch aufgrund ihrer extremen Offenheit sehr anspruchsvoll ist. Ihre freie Positionierung ermöglicht eine 180-Grad-Bühnenöffnung, sodass auf weitaus mehr Einblicke als beim klassischen Bühnenloch eingegangen werden muss. Wie man sieht, sind Spezialanfertigungen und Sonderlösungen unser Markenzeichen und Standardware hingegen die Ausnahme.
Abgesehen von der Gestaltung und der Optik muss insbesondere die Hauptbühne auch enormen technischen Ansprüchen gerecht werden. Was verbirgt sich hinter der Fassade?
Für den Zuschauer präsentiert sich eigentlich nur die Frontseite inklusive des in etwa 10 × 10 Meter grossen Bühnenlochs, in welchem die Performance stattfindet und das seitlich von den versteckten, angrenzenden Sidestages abgeschlossen wird. Während die repräsentative Seite das Aushängeschild ist, scheinen die dahinterliegende, mindestens ebenso grosse Technikfläche sowie die rund 30 Meter lange notwendige Anlieferungsfläche unsichtbar für das Publikum zu sein. Ebenso wie die Scheinwerfer und Co. auf den Fassaden der Nachbarbauten, die unser Bühnenbild erst derart lebendig und beeindruckend machen.
Während der elf Tage treten unterschiedliche Künstler mit verschiedenen Ansprüchen auf – ein Line-up, das erst im Laufe der Zeit finalisiert wird. Wie stark hängen das Programm und das Bühnenbild zusammen?
Eigentlich gar nicht, da jede Band bzw. jeder Künstler/jede Künstlerin für den Auftritt ein eigens, bereits programmiertes und perfekt auf die Show abgestimmtes Lichtkonzept mitbringt – immer ausgehend von der Standard-Eventtechnik im Konzertbereich. Für die Mehrheit der Lichttechniker bedeutet daher unser Zusatzangebot an Beleuchtung einen Mehraufwand, den sie in der Schnelle meist nicht bzw. maximal ausnützen können/wollen. So nutzen einige lediglich das Grund-Set-up der Bühnenbelichtung und lassen die Möglichkeit der kombinierten Fassadenbeleuchtung aussen vor. Andere hingegen nutzen das Zusatzangebot mit grosser Freude, sodass dem Publikum durch die abgestimmte Kombination beider ein unvergessliches visuelles Erlebnis geschaffen wird.
Und genau jenes zählt am Ende. Was macht aber für Sie ein gelungenes Bühnenbild generell aus?
Für mich gibt es hier kein Geheimrezept oder ein generell gültiges Erscheinungsbild – letztlich entscheidet mein Bauchgefühl, vor allem wenn ich auf der Piazza stehe und das Endergebnis im Kontext begutachte. Dies lässt sich natürlich auf jeden anderen Ort und jede Veranstaltung ummünzen. Natürlich entscheidet letztlich das Feedback unserer Gäste, wie gelungen die Inszenierung im Endeffekt war und welche Erinnerungen sie von dem Event mitnehmen und behalten – genau um diese Momente geht es unter dem Strich. Auf unserer Seite als Veranstalter ist dann am Ende des erfolgreichen Festivals immer noch die Gesamtrechnung der Stimmungskiller. (lacht)
Tickets und Line-up finden Sie hier.