Dr. Urs Wiederkehr ist Bauingenieur und Leiter des Fachbereichs Digitale Prozesse auf der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Für diese sechsteilige Kolumne besucht er 2021 seine bisherigen Wohnorte und transformiert Erinnerungen ins Heute.
Spurensuche jenseits von Wasserturm, Kapellbrücke und KKL
„Der Beamte hat an dem ihm von der Wahlbehörde angewiesenen Dienstorte zu wohnen.“ Die Anweisung war klar. Da mein Vater Kurt 1963 nach dreijähriger Probezeit als Techniker bei der SBB-Bauabteilung zum Beamten gewählt wurde, zog die Familie Wiederkehr ins Obergrundquartier in Luzern.
Für diese Kolumne habe ich einige meiner damals begangenen Wege wiederholt, beispielsweise vom Paulusplatz zur Bäckerei „Spendmühle“ beim Dula-Schulhaus. Im Lindengarten habe ich den Eisenbahnzug aus vorgefertigten Betonelementen vermisst, der einer Norm-Schaukel gewichen ist. Die Taubenhausstrasse ist verkehrsberuhigt, und die im Baudenkmalführer von 1977 noch abgebildeten Handwerkergebäude sind Neubauten gewichen. Überlebt hat hingegen das dreistöckige Wohnhaus an der Obergrundstrasse 21, das damals schon von den Nachbarhäusern fast erdrückt worden ist. Der Rokoko-Landsitz Himmelrich mit seinem Observatoriumstürmchen wirkt immer noch markant. Dahinter sind drei Strassenzüge einer Genossenschaftssiedlung aus den 1930er-Jahren einem Blockrandbau gewichen (Enzmann und Fischer). Der Heimatweg ist ganz aufgehoben worden.
Oft mussten wir an der Barriere der Brünig- und Engelbergbahn warten, wenn wir zum Giro-Laden an der Horwerstrasse einkaufen gingen. Heute fährt die Zentralbahn unterirdisch nach Luzern, ebenfalls unterirdisch: die Station „Allmend“. Die alte Messehalle aus Holz hat einem Werk vom Atelier WW und WaltGalmarini Platz gemacht (um auch einmal die Ingenieure zu erwähnen!). Die von den Gleisen befreite Fläche, das sogenannte Freigleis, wird vom Langsamverkehr genutzt. Als Tragstruktur für die Beleuchtungskörper dienen die Fahrleitungsjoche. Die Häuser zeigen dieser neuen Verkehrsverbindung die Rückseite. Das erinnert mich an die Talstrasse bei Sornico im Val di Lavizzara (TI), wo nur vom alten Saumweg aus die Vorderseiten der Bürgerhäuser zu sehen sind. Das Freigleis führt zur Gegend beim Hallenbad. Dieses ist vor 55 Jahren gerade im Bau gewesen und nun ausser Betrieb.
Selbstverständlich hatte ich 1967 keine Freude, als der nächste Umzug anstand, wo es doch ein Hallenbad im Quartier gegeben hätte. Wir zogen, unterdessen wuchs die Familie um zwei Brüder, in den Vorort Reussbühl in der Gemeinde Littau. Diese hat sich von 1960 bis 1990 einwohnermässig verdoppelt. Mein Primarschulhaus Staffeln ist durch einen Neubau ersetzt und die Kantonsschule Rothen um Annexbau und Sportanlage ergänzt worden. Unterdessen ist auch die Ruopigen-Stadt vollendet, ein an der Expo 1964 als vorbildlicher urbanistischer Entwurf ausgestelltes Projekt von Dolf Schnebli.
1981 bin ich für das Studium Wochenaufenthalter in Zürich geworden und habe so meinen Geburtsort Zug unzählige Male durchfahren. 1987 bin ich definitiv umgezogen, habe aber meinen Heimatort Luzern behalten, denn Littauer wollte ich nicht sein. Wegen der Eingemeindung von Littau im Jahre 2010 haben unterdessen meine Brüder, über den Umweg Littau, auch wieder die Stadt Luzern als Bürgerort zurückerhalten. Flüchten und Abwarten haben hier einmal zur selben Wiederkehr geführt.

Tipps:
In der architekturbibliothek.ch finden sich einige zusätzliche Hinweise zu Luzern, nicht nur zur Zentrumsüberbauung Ruopigen von Dolf Schnebli.
Die Siedlungen und Projekte der allgemeinen Wohnbaugenossenschaft Luzern (ABL) sind hier dokumentiert: abl.ch
Für eine Reise nach Engelberg oder durch Obwalden und über den Brünigpass ins Berner Oberland empfiehlt sich die Zentralbahn.
Einige historische Vergleiche basieren auf dem kulturgeschichtlichen Wegweiser „Siedlungs- und Baudenkmäler im Kanton Luzern“ von André Meyer (Verlag Keller & Co. AG, Luzern 1977).
Viele Hinweise stecken auch in „Luzern entdecken, Spaziergänge in Luzern und Umgebung“ von Paul Rosenkranz, Mathias Steinmann und Pirmin Bossart (Werd & Weber Verlag AG, 2019)
Und wer es lieber touristischer hat, der ist mit dem offiziellen Internet-Reiseführer von Luzern gut bedient.