Lieber César

Kolumnistin Brigitta Schild meldet sich in jeder Ausgabe mit einem Brief bei einem Protagonisten oder einer Protagonistin der Architekturgeschichte. In der Ausgabe 08/2019 schreibt sie über César Manrique Cabrera (* 24. April 1919 in Arrecife, Lanzarote, Spanien; † 25. September 1992 in Tahíche, Lanzarote), der als Maler, Architekt, Bildhauer und Umweltschützer auf Lanzarote tätig war. Er gilt als einer der Vorreiter der avantgardistischen Kunst in Spanien. Die Fundación César Manrique ist heute im ehemaligen Wohnhaus des Künstlers untergebracht.

Lieber César,
Wir wollten dem monotonen Grau des Novembers entfliehen und sind nun auf deiner Insel. Der Blick aus unserem Fenster ist traumhaft: Da ist der dunkelblaue Atlantik, die skulpturalen, dunklen Berge und die weissen Häuser, die in der Sonne leuchten. Aber dann, im nächsten Moment sieht alles wieder anders aus. Der Wind treibt die Wolken vor sich her und eröffnet das Spiel mit dem Licht. Dabei entfaltet sich die Farbpalette der Erde und des Meeres und selbst die kleinen, wie Würfel hingestreuten gekalkten Häuser verändern ihr Weiss. Du hast einmal treffend gesagt: „Nur wer verlernt hat zu sehen, empfindet dies als öde Landschaft …“

Lanzarote, die Vulkaninsel, die vor rund zweihundert Jahren zu einem Fünftel unter Lavamassen und Asche erneut begraben worden war, konfrontiert einen unweigerlich mit der Vergänglichkeit. Was der Mensch hier schafft, steht immer im Kontext der Erdgeschichte. Das Feuer unter den Füssen begleitet einen als Memento Mori. Man mag es – oder nicht. Kompromisse lässt diese Landschaft nicht zu.

Das muss einen beeinflussen. Dich besonders. Im Moment leben und die Zeit nutzen, das war dein Credo. Und du schriebst: „Lanzarote besitzt eine magische Kraft, die mich anzieht, die mich zum Schaffen und zur Kreativität anregt, wie kein anderer Ort.“
Andere Orte hast du ja genug kennengelernt: zuerst als junger Bauingenieurstudent Teneriffa, dann als Kunststudent und Galerist Madrid. Du hast die Welt bereist und lebtest ab 1965 als Stipendiat für drei Jahre in New York. Mitten in der aufregendsten und schrillsten Kunstmetropole der 1960er-Jahre. Du, der Mittvierziger von der kargsten der katholischen Kanareninseln.

So gern du gefeiert hast, die Stadt der chaotischen Extreme konnte dich nicht halten. In der Konsum- und Wegwerfgesellschaft ginge der Bezug zum Leben verloren, warst du überzeugt. Also bist du definitiv auf deine magische Heimatinsel zurückgekehrt mit dem Traum ein Haus tief in die Erde zu bauen, wie deine altkanarischen Vorfahren.
Den idealen Bauplatz zeigte dir ein Feigenbaum, der auf dem Grund einer aufgeplatzten Lavablase Wurzeln geschlagen und sich nun ans Licht gekämpft hatte. Lieber César, er steht übrigens immer noch dort, grau und etwas vertrocknet. Du hast noch vier weitere Blasen entdeckt und beschlossen, dass hier dein Haus in der Tiefe – la casa honda – entstehen sollte.

Dieses Haus ist eindrücklich. Im Erdgeschoss trifft der typisch ländliche Baustil auf die Moderne mit weiten Räumen. Grosse Glasflächen lenken den Blick auf den schwarz erstarrten Fluss, auf diese urgewaltige Lavamasse. Eine Wendeltreppe führt hinunter in eine Mischung aus Höhle und Salon. Von da aus führen Stollen in die weiteren Blasen und einen natürlichen unterirdischen Innenhof mit Schwimmbecken. „In den Gemäu-
ern der Hölle bauen“, wolltest du. Dem „Höllischen“ hast du allerdings weiss gestrichene Böden, poppig buntes 1970er-Jahre-Design und exotische Pflanzen entgegengesetzt – schliesslich hast du das Leben geliebt und auch gefeiert. Bei der Arbeit bist du in diese Landschaft, in ihre Beschaffenheit eingetaucht und hast mit Sand und Lack gemalt. Dem Wind hast du kinetische Skulpturen geschenkt und aus objets trouvés Figuren kreiert.

Wenn du gebaut hast, dann im und mit dem Gestein, das Archaische mit dem Futuristischen verbindend. Deine Eingriffe sind extravagant, bisweilen irritierend und bizarr, aber faszinierend in ihrem Kontext. Nebst all dem Schönen hast du dich ökologisch engagiert und Lavahöhlen von Müll befreien lassen, sie öffentlich zugänglich gemacht und die Landschaft gestaltet. Lanzarote sollte seine charakteristische Schönheit entfalten.
„Ich glaube, die Eigenheiten jeden Orts auf dem Planeten müssen unbedingt gefördert werden, sonst leben wir in absehbarer Zeit in einer langweiligen Standardkultur ohne jede schöpferische Fantasie“ – wie recht du doch hattest!
Lieber César, danke für deine Werke und dein leidenschaftliches Engagement für diese wunderschöne Insel.

Herzlich,
Brigitta

 

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