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Liebe Ray

Kolumnistin Brigitta Schild meldet sich in jeder Ausgabe mit einem Brief bei einem Protagonisten oder einer Protagonistin der Architekturgeschichte. In der Ausgabe 04/2019 schreibt sie über Ray Bernice Alexandra Eames, die zusammen mit ihrem Mann Charles Eames als Künstlerin und Designerin zahlreiche Klassiker des 20. Jahrhunderts, darunter den „Lounge Chair“ entwarf.

Liebe Ray,
Neulich
hab ich wieder einmal Fotos von dir und Charles gesehen. Köstlich! Ihr auf der Velocette: Du fährst mit gespielt ernstem Blick. Charles, der Sozius, ist der Kamera zugewandt, lachend mit der fast schon obligaten Pfeife im Mund. Oder das „Bostitch-Bild“: Ihr beide vergnügt unter euren diversen Stuhlunterkonstruktionen – wie angeheftet.

Ob so inszeniert oder beim Arbeiten und Diskutieren fotografiert, eure Verbundenheit ist offensichtlich. Und immer ist da dieses Strahlen, der Schalk…
Die Fotos sind gegen Ende der 1940er-Jahre entstanden. Da war der Krieg vorbei. Die Welt rappelte sich auf, und Amerika ging selbstsicher und beschwingt voran. In Nylonstrümpfen zu Louis Armstrong und Ella Fitzgerald, mit Tupperware auf Nierentischen. Der Optimismus sollte seinen Ausdruck in organischen, dynamischen Formen und in neuen Materialien finden.

Kennengelernt habt ihr euch 1940 an der Cranbrook Academy of Art in Ann Arbor (Michigan). Er war Dozent und du gabst deinem Kunststudium den letzten Schliff.
Dass euer Zusammentreffen in jeder Beziehung ein Glücksfall war, muss euch beiden schnell klar geworden sein. Jedenfalls habt ihr bereits im folgenden Jahr geheiratet und seid nach Los Angeles gezogen. Nun konnte das gemeinsame Arbeiten und Tüfteln beginnen. Das durchdachte, ästhetische Produkt, bereit für die industrielle Fertigung, war das Ziel. So zählte die Bereitschaft zu „Trial and Error“ ebenso zu eurer Arbeitsweise wie Neugierde und Beharrlichkeit.

Liebe Ray, das müssen sehr bewegte Zeiten gewesen sein mit der „Kazam! Machine“ in der Wohnung. Dieses selber konstruierte Ding konnte unter Druck und Wärmezufuhr Holzfurniere in strapazierfähigen, leichten Schalen herstellen. Die ersten Produkte 1941 waren allerdings Beinschienen, um Verletzte der US Army zu transportieren.
Nach dem Krieg begannen dann eure eigentlichen Versuche mit den Sperrholzsitzschalen und verschiedenen Unterkonstruktionen; dann folgten Experimente mit Schalen aus Fiberglas-verstärktem Polyesterharz und mit Stahldrahtgitter – bekannt als Plastic- und Wire-Chairs –, und schliesslich habt ihr Sitzflächen aus Textil oder Leder für die Alu-Chairs entwickelt.

Weisst du, heute sind eure Schalen allgegenwärtig – auch in Wohnheften: fotografiert vor kargen Betonwänden, auf rohen Bretterböden oder in trendigen Küchen. Sie wirken, eure Stühle – sie sind heute aber nicht mehr in eurem Sinn erschwinglich…
So viel zu den „Chairs“. Nun aber kurz zur Architektur: Euer Haus im Pacific-Palisades-Viertel von Los Angeles ist faszinierend.

In seiner klaren Form und sichtbaren Konstruktion erinnert es ein bisschen an einen Hangar, einen durchgestalteten allerdings. Schwarz lackierte Träger und dünne horizontale Fensterunterteilungen strukturieren die Fassade. Geschlossene, farbige Paneele und leicht oder völlig transparente Fensterflächen spielen mit diesem Raster, und Vorhänge bringen Textur und Bewegung ins Bild. Zudem ist der ganze Bau begleitet von einer Reihe Eukalyptusbäumen. Deren gekrümmte, dicke und dünne Stämme schaffen einen stimmigen Kontrast zur Ordnung der Fassade. Kurz: Das Case Study House No 8 ist grandios in seiner Einfachheit.

Aber dann die  Inneneinrichtung…
Für einige Designasketen ist die schlicht unfassbar. Du wunderst dich? Sie sich auch: die Eames mit so vielen bunten Kissen, indischem und mexikanischem Kunsthandwerk, Teppichen in allen Mustern, Pflanzen, Kerzenständern, Muscheln, Steinen und Kachina- Holzpuppen? Wie passt das zu ihrer Philosophie? Der „Lounge Chair“ in diesem visuellen Potpourri?

Aber lassen wir die Designpuristen…
Liebe Ray, ich bedanke mich für euer enormes Schaffen, für eure Begeisterung und das liebenswerte kreative Chaos, für die vollgestopften Bücherregale und all die  Fundstücke und Andenken, die bei euch rumstehen. Für den Thonet-Stuhl, die Decken und Kissen, die gedrechselten Stühle, auf denen ihr so gerne sitzt, und vor allem dafür, dass ihr unkompliziert, mit ungebrochener Neugierde und mit viel Spass am Spielerischen eure Kreativität ausgelebt – und das auch fotografiert habt.

Herzlich grüsst,
Brigitta

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