Keine Altersfrage

Die Baudirektion des Kantons Zürich stellt Innen- und Aussenräume eines Hauses mit Atelier unter Schutz. Das Werk der Architekten Marianne Burkhalter und Christian Sumi aus dem Jahr 1986 nimmt mit seinem Seltenheitswert eine Pionierstellung in der architektonischen Entwicklung ein, wie das Bundesgericht urteilte.

Abfahrtsstation: Langnau am Albis
In Auftrag einer Bauherrschaft realisieren in Langnau am Albis die Architekten Marianne Burkhalter und Christian Sumi, die zwei Jahre zuvor ihr Architekturbüro gegründet haben, ein Einfamilienhaus mit Atelier, bezeichnet als „Haus Brunner“. Sie verwenden vorfabrizierte Holzteile. Das Haus weist gekrümmt verlaufende Aussenwände auf und integriert sich zwar wie ein Keil zwischen die beiden angrenzenden Strassen, aber zugleich widersetzt es sich einer reinen Anpassung an die Baulinien. Ob das Architektenpaar tatsächlich an ein Schiff denkt, wie es einige behaupten, bleibt im Raum stehen. Das Aussen- und Innenleben des Gebäudes harmoniert – eine zwischen den beiden Hausteilen verlaufende Schrankwand als wesentliches Element der inneren Struktur, die konstruktiv als Auflage des Daches wirkt, ist hervorzuheben. Eine mehrläufige Aussentreppe aus Stahl verschafft Zugang zum Haus, der letzte Treppenlauf besteht aus frei vorkragenden metallenen Stufen. Es ist 1986, als sich die Architekten diesem Bauvorhaben widmen. Drei Jahre später ist das „Haus Brunner“ im kommunalen Inventar der Schutzobjekte aufgeführt. In den darauffolgenden 30 Jahren zeichnen sich Burkhalter Sumi unter anderem für den innovativen Einsatz von Holzkonstruktionen und den Einsatz von Farben aus. Ihre Tätigkeit ist breit gefächert und reicht von der Areal-
entwicklung bis zum Neu- und Umbau kleiner und grosser Wohnhäuser, ohne Hotels und Schulen zu vergessen. Dazu geben sie im Rahmen von zahlreichen Lehraufträgen an in- und ausländischen Universitäten ihr Know-how an die jungen Generationen weiter.

Was das Haus anbelangt, ist im Jahre 2000 eine Handänderung festzustellen; danach bleibt es um das Haus bis vor wenigen Tagen ruhig: Während einer Zugreise stosse ich zufälligerweise auf einen diesbezüglichen Artikel, der mich in die würdigen Hallen der höchsten richterlichen Instanz katapultiert, des Bundesgerichts. Dass das „Haus Brunner“ die Gerichte beschäftigte, hatte weder ich noch andere Personen aus meinem Umfeld zur Kenntnis genommen.

Zwischenstation: Zürich
Nach fast 20 Jahren Aufenthalt im Haus hegen die „neuen“ Eigentümer den Wunsch, es abzubrechen und ein neues Gebäude zu bauen. Sie beantragen bei der Gemeinde die Beschlussfassung über die Schutzwürdigkeit des Hauses und allfällige Schutzmassnahmen. Ein Gutachten wird bei der Denkmalpflegekommission des Kantons Zürich eingeholt. Das Ergebnis ist, unter anderem nach einem Augenschein, klar: Beim Werk von Burkhalter Sumi handelt es sich um ein Schutzobjekt überkommunaler Bedeutung. Der Schutz hat das Gebäudeäussere, das Gebäudeinnere, die Gebäudestruktur, die Disposition der Räume in den Trakten und die bauzeitlichen Materialien des Innenausbaus zum Gegenstand. Aus der Begründung des Gutachtens geht die Qualität eines wertvollen und authentisch erhaltenen Bauzeugen der Architektur der 1980er-Jahre hervor, dies bedingt durch die Holzbauweise, die Holzverkleidung und die generelle Einfachheit des architektonischen Ausdrucks und der Raffinesse der Details.
Die Eigentümer weisen mithilfe eines Berichts auf energetische Schwachstellen hin, insbesondere auf die mangelhafte Luftdichtheit des Gebäudes. Sie legen zwei Kostenschätzungen für die Sanierung vor, eine in der Höhe von CHF 960 000, die andere in der Höhe von CHF 785 000. Die Baudirektion des Kantons Zürich beschliesst, das Objekt unter Schutz zu stellen: Gebäudeäusseres (Fassaden mit Gliederung, Tür- und Fensteröffnungen, Tür- und Fenstereinfassungen, Teilung der Fenster, Schiebeläden und Rollladen; Freitreppen zum Hauseingang und Ateliereingang; mit Welleternit eingedeckte Dachflächen samt Dachvorsprünge, Dachuntersichten, Oberlichter über dem Atrium und dem Korridor), Gebäudeinneres (tragende Primärkonstruktion aus tragenden Wenden, Decken und Dachkonstruktion; Grundrissstruktur mit der Disposition der Räume in den Trakten; Schrankwand zwischen den beiden Hausteilen) und Umgebung (strassenseitige Stützmauer mit Geländer; Treppenanlage von der Strasse bis zum Gebäude). Auf dem Grundstück darf, ergänzend zum Schutzobjekt, ein Neubau erstellt werden.

Der Beschluss der Behörde löst keine Freude aus bei den Eigentümern, die der Gang an das Baurekursgericht und an das Verwaltungsgericht wagen, beides ohne Erfolg. Schliesslich beantragen sie beim Bundesgericht die Entlassung ihrer Liegenschaft aus dem Inventar der Schutzobjekte von überkommunaler Bedeutung und aus dem Inventar derjenigen von kommunaler Bedeutung.

Endstation: Lausanne
Das Bundesgericht sieht sich hauptsächlich mit folgenden zwei Fragen konfrontiert:

• Ist das „Haus Brunner“ als wichtiger Zeuge einer baukünstlerischen Epoche erhaltenswürdig im Sinne des zürcherischen Planungs- und Baugesetzes (PBG)?

•  Und falls ja, wie verhält sich dies gegenüber dem Eigentumsrecht der Hausherren?

In Bezug auf den Begriff der baukünstlerischen Epoche bei neuzeitlichen Gebäuden, der nicht so klar wie bei älteren Bauten definiert werden kann, weisen die Bundesrichter darauf hin, dass es nicht zumutbar ist, mit dem Schutz abzuwarten, bis ein klarer Epochenbegriff bestimmt ist. Das junge Alter eines Gebäudes spricht nicht gegen eine Unterschutzstellung. Es zählt nur die Architektur des Gebäudes und deren Stilprägung für eine bestimmte Zeit, die hier in der Jahrtausendwende identifiziert wurde: Das frühe Werk von Burkhalter Sumi steht am Beginn einer neuen Einfachheit in der Schweizer Architektur, die sie auch international bekannt machte. Dazu handelt es sich um ein Beispiel der zunehmenden Agglomerationsbildung im Sihltal, was dem Begriff der Epoche nach PBG entspricht. Der Sanierungsbedarf und bauliche Mängel nach 30 Jahren haben keine fehlende Schutzwürdigkeit zur Folge. Somit lautet die Antwort auf die erste Frage: Ja. Aus dem Grundrecht der Eigentumsgarantie geht die Baufreiheit hervor, das heisst das Recht, ein Grundstück zu überbauen. Damit dieses Grundrecht eingeschränkt werden darf, bedarf es nach der Bundesverfassung einer gesetzlichen Grundlage, des öffentlichen Interessen und der Verhältnismässigkeit der Einschränkungen. Zudem muss der Kerngehalt des entsprechenden Grundrechts gewahrt bleiben. 

Die Bestimmung des zürcherischen Planungs- und Baugesetzes ist eine hinreichende gesetzliche Grundlage für den Schutz des zur Zeit seiner Erstellung für seine Region einzigartigen Hauses, das ausserordentlich gut erhalten ist und nicht in einem derart schlechten Zustand, der ihm die Zeugnisqualität für die Zeit seiner Errichtung absprechen würde, wie die Eigentümer zu argumentieren versuchen. Bereits in erster Instanz wurde auf die Pionierstellung des Hauses bezüglich der nachfolgenden Architekturentwicklung in der Schweiz hingewiesen. Für die höchste richterliche Instanz ist das öffentliche Interesse unbestritten, und der Schutzumfang mit Gebäudeäusserem und -inneren samt Umgebung als angemessen zu bezeichnen. Gegenstand des Schutzes ist das Gesamtbild.

Was die Verhältnismässigkeit anbelangt, geht aus dem Urteil hervor, dass die Unterschutzstellung die künftige Nutzung des Hauses nicht wesentlich erschwert. Mit geeigneten Sanierungsmassnahmen können die wichtigsten energetischen Defizite kompensiert werden, ohne dass eine Erneuerung der gesamten Gebäudehülle erforderlich wäre, wie dies die Eigentümer geltend machen. Die Sanierungskosten würden im oberen Bereich einer regulären Gebäudeertüchtigung angesiedelt sein. Auch ist ein zusätzlicher Neubau neben dem bestehenden Gebäude weiterhin möglich. Die Richter weisen darauf hin, dass Rentabilitätsüberlegungen umso geringer zu gewichten sind, je schutzwürdiger eine Baute ist. Auch sehr grosse finanzielle Interessen der Grundeigentümer müssen gewichtigen öffentlichen Interessen des Denkmalschutzes weichen. Wäre dies anders, würden Bauten kaum mehr unter Schutz gestellt werden können. In seiner konstanten Rechtsprechung hielt das Bundesgericht bisher fest, dass rein finanzielle Inte-ressen eines Eigentümers an der möglichst gewinnbringenden Nutzung seiner Liegenschaft im Verhältnis zu gewichtigen öffentlichen Interessen an denkmalschützerischen Massnahmen grundsätzlich kein entscheidendes Gewicht zukommt.

Das Bundesgericht hält abschliessend fest, dass die getroffenen Massnahmen geeignet, erforderlich und dem Eigentümer zumutbar sind, um das im öffentlichen Interesse liegende Ziel zu erreichen. Der Sanierungsbedarf ist zwar erheblich, aber nicht aussergewöhnlich. Das Werk von Burkhalter Sumi hat Seltenheitswert und nimmt eine Pionierstellung in der architektonischen Entwicklung ein: Die erforderlichen Kosten sind angesichts des gewichtigen öffentlichen Interesses nicht als unverhältnismässig zu bezeichnen.

Reiseimpressionen
Von der ersten bis zur letzten Instanz sticht ins Auge des Juristen die Linearität der Überlegungen und die treffende Anwendung der rechtlichen Grundlagen. Beeindruckend im positiven Sinne ist die Einigkeit zwischen allen beteiligten Rechtsgelehrten. Abstrahierend von der juristischen Komponente des hier dargelegten Sachverhalts ist die Botschaft aus Mon Repos in ethischer Hinsicht hervorzuheben, die als Plädoyer für das Bauen im Bestand aufgefasst werden kann, aus welchem sorgfältiger Umgang mit bestehendem Wertvollen hervorgeht: pflegen statt zerstören. Was gibt es Nachhaltigeres als dies? Mario Botta sagte einst: „Der politische Wert eines Gebäudes besteht in seinem architektonischen Wert.“ Dass das „Haus Brunner“ einen politischen Wert aufweist, ist kaum von der Hand zu weisen; jene, die Zweifel hegen, seien beispielsweise die zerstörten und/oder entstellten Werke von Jacques Schader, Max Ziegler oder Ernst Gisel in Erinnerung gerufen.

 

Walter Maffioletti ist Konsulent bei der Vialex Rechtsanwälte AG in Zürich/Lugano und Dozent an diversen Schweizer Hochschulen. Er ist Mitglied der Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS), spezialisierte sich im Bau- und Immobilienrecht an der Universität Freiburg und absolvierte ein Nachdiplomstudium im internationalen Baurecht und Vertragsmanagement an der Universität Paris 2 Panthéon-Assas.

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