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Gutachten in Bausachen

Bei Bauvorhaben entstehen nicht selten Meinungsverschiedenheiten über technische Sachverhal: Wurde die Betonwand mit Schalungstyp T4 erstellt wie im Werkvertrag vorgesehen? Entspricht diese Treppe den anerkannten Regeln der Baukunde? Bauliche Laien und Juristen kommen da rasch an ihre Grenzen, Fachleute sind gefragt. Es wird nach einer Expertise/einem Gutachten gerufen. Wie soll man vorgehen?

Experten (oder Gutachter, wie sie die Zivilprozessordnung nennt) sind dazu da, technische Fragen oder eben Fragen des Sachverhaltes zu beantworten. Es ist nicht deren Aufgabe, Rechtsfragen zu beantworten, dazu fehlt ihnen im Regelfall auch der Sachverstand. In der Theorie ist diese Abgrenzung klar. In der Praxis jedoch gibt es regelmässig Diskussion darüber, was nun ein Experte beurteilen soll oder eben nicht. Ein Dauerbrenner ist dabei die Frage nach dem Vorliegen eines „Baumangels“. Regelmässig wird – insbesondere auch von Gerichten – vorgetragen, die Frage, ob ein Mangel vorliege, sei eine Rechtsfrage, die nicht der Experte zu beantworten habe, sondern der Richter. In dieser Absolutheit ist das jedoch offensichtlich falsch! Unbestritten ist, dass eine Mangel eine Vertragsabweichung darstellt. D.h. das Bauwerk ist nicht so erstellt worden (Istzustand), wie es gemäss Vertrag hätte erstellt worden sein müssen (Sollzustand). So heisst es etwa in Art. 166 der SIA-Norm 118: „Mangel des Werkes im Sinne dieser Norm ist nur eine Abweichung des Werkes vom Vertrag (sei es ein ‚Mangel‘ oder eine ‚sonstige Abweichung vom Vertrag‘ gemäss Art. 368 OR).“ Gleiches ergibt sich im Ergebnis aus Art. 367 Abs. 1 OR, der bestimmt, dass der Besteller nach der Ablieferung das Werk auf dessen Beschaffenheit zu prüfen habe. Gemeint ist damit, dass der Besteller das Werk auf seine Vertragsgemässheit zu untersuchen hat. Stellt der Besteller bei dieser Prüfung fest, dass das Werk nicht dem Vertrag entspricht, liegt „automatisch“ ein Mangel vor. Die Feststellung eines Mangels ist daher die Folge des Soll-Ist-Vergleiches, d.h. des Vergleichs des tatsächlich ausgeführten Werkes mit dem Werkvertrag. Das aber ist eine Frage des Sachverhaltes und keine Rechtsfrage.

Nach Art. 367 Abs. 2 OR sind beide Parteien (d.h. Besteller und Unternehmer) berechtigt, auf eigene Kosten „eine Prüfung des Werkes durch Sachverständige und die Beurkundung des Befundes zu verlangen“. D.h., beide Parteien können (unabhängig voneinander) verlangen, dass ein Experte diese Prüfung vornimmt. Auch der Experte muss dabei den Soll-Ist-Vergleich durchführen und dann im „Befund“ festhalten, wo er Abweichungen des Istzustandes vom vertraglich geschuldeten Sollzustand festgestellt hat. Diese Abweichungen sind dann eben „Mängel“. Somit ist die Feststellung, ob ein Werk mangelhaft ist, eine geradezu typische Expertenaufgabe und keine Aufgabe, die der Richter zu erledigen hat.

Eine Einschränkung gilt es anzufügen: Wenn umstritten ist, was vertraglich geschuldet ist, dann ist es Sache des Richters, den Vertrag auszulegen und gegebenenfalls zu ergänzen. Das ist nicht Sache des Experten. Expertenwissen ist aber nicht nur bei der Frage nach dem Vorliegen von Mängeln gefragt. Auch die Prüfung einer Unternehmerrechnung erfordert unter Umständen Fachwissen, das dem Richter abgeht. Zum einen sind die Texte sowohl der Leistungsverzeichnisse in Werkverträgen als auch jene in Rechnungen oft für einen Laien nicht verständlich. Zum andern geht es bei der Prüfung einer Unternehmerrechnung allenfalls auch darum, ob eine bestimmte Leistung, die auf der Rechnung aufgeführt ist, tatsächlich erbracht wurde. Hier ist dann zu prüfen, ob die in Rechnung gestellte Leistung am Bau vorhanden ist und – wenn dies zutrifft – ob der in Rechnung gestellte Betrag dem Werkvertrag (Leistungsverzeichnis und allenfalls Pläne) entspricht. Beide Prüfungen können anspruchsvoll sein und Spezialwissen aus der entsprechenden Branche voraussetzen. Wenn nun eine Partei des Werkvertrages einen Experten beiziehen will, um eine technische Frage zu beurteilen, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten des Vorgehens, welche unterschiedliche Vor- und Nachteile haben.

Privatgutachten
Eine Partei kann selbstständig einen Experten beauftragen, die gewünschten technischen Fragen zu beurteilen. Es ist dann an dieser Partei allein, den Experten auszuwählen, die Fragen zu formulieren und dem Experten die nach ihrer Auffassung sachdienlichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen. Auch trägt sie die Kosten allein. Das Thema eines solchen Privatgutachtens kann die beauftragende Partei frei bestimmen.
Der Vorteil dieses Vorgehens ist, dass es zielgerichtet ist: Es wird genau das geklärt, was die Partei wissen möchte. Damit bekommt die auftraggebende Partei rasch einen Eindruck, ob ihre Position stark oder schwach ist. Der Nachteil liegt darin, dass die Partei allein die Kosten trägt und dass ein solches Parteigutachten keinen prozessualen Beweiswert hat. Es wird prozessual einer Parteibehauptung gleichgestellt. Aber immerhin weiss die Partei dann, was sie behaupten muss. Dieses Vorgehen empfiehlt sich gerade für Laien in komplexeren Konstellationen, um die Stärke der eigenen Position zu ermitteln, was bei der Entscheidung helfen kann, Hand zu einem bestimmten Vergleich zu bieten oder eben den Rechtsweg zu beschreiten.

Gemeinsames Gutachten
Wenn beide Parteien den Wunsch haben, eine technische Frage abklären zu lassen, können sie eine Vereinbarung schliessen. Darin wird vereinbart, wer der Experte sein soll, welche Fragen er beantworten soll und wie die Kosten getragen werden. Zudem können die Parteien vereinbaren, dass sie dem Gutachten den prozessualen Stellenwert eines gerichtlichen Gutachtens beimessen wollen. Damit wird dieses Gutachten zum Beweismittel in einem Zivilprozess. Die Partei, die mit dem Ergebnis nicht einverstanden ist, kann noch immer versuchen, den Richter dazu zu bewegen, ein Obergutachten zu erstellen. Aber im Grundsatz hat das gemeinsame Gutachten einen Beweiswert und kann vom Richter nicht einfach ignoriert werden. Der Vorteil dieses Vorgehens liegt darin, dass man schneller ist, als wenn der Weg über das Gericht gewählt wird. Positiv ist auch, dass die Fragen gemeinsam formuliert wurden und man sich im Regelfall auf eine Kostenaufteilung einigt. Im Ergebnis ist dieses Vorgehen meist kostengünstiger als der Weg über das Gericht. Möglich ist das aber nur, wenn beide Parteien mitwirken.

Schiedsgutachten
Gleich wie beim gemeinsamen Gutachten vereinbaren die Parteien, dass sie miteinander einen Experten beauftragen, bestimmte Fragen zu beantworten. Im Unterschied zum gemeinsamen Gutachten vereinbaren sie überdies, dass die Befunde aus dem Gutachten verbindlich sind. In einem nachfolgenden Zivilprozess ist es nur unter restriktiven Bedingungen möglich, ein Obergutachten durchzusetzen. Im Prinzip muss sich der Richter an die Ergebnisse des Schiedsgutachtens halten. Auch dieses Vorgehen ist schneller und kostengünstiger als der Weg über das Gericht. Der Wahl des Experten kommt hier aber ganz besondere Bedeutung zu. Nur ein wirklich kompetenter, integerer und schreibgewandter Experte sollte mit der Erstellung eines Schiedsgutachtens betraut werden. Die Parteien liefern sich ein Stück weit dem Experten aus.

Gerichtliche Befundaufnahme nach Art. 367 Abs. 2 OR
Dieses Vorgehen setzt ein Gesuch an den zuständigen Richter voraus. Es ist nur möglich für Fragen im Zusammenhang mit Mängeln (nicht etwa bei Abrechnungsstreitigkeiten). Grundsätzlich muss die gesuchstellende Partei die Fragen formulieren und einen Experten vorschlagen. Die Gegenpartei kann dazu Stellung nehmen und Änderungen oder einen anderen Experten beantragen. Letztlich formuliert aber der Richter die Fragen und ernennt einen Experten. Dabei erlebt man nicht selten Überraschungen, wenn ein Richter Fragen plötzlich anders formuliert als gewünscht oder bestimmte Fragen überhaupt nicht zulässt. Dieses Vorgehen erfordert viel Zeit, es kostet viel Geld, und nicht selten gehen die Abklärungen in eine andere Richtung als von der gesuchstellenden Partei gewünscht. Diese ist überdies allein kostenvorschusspflichtig. Der Vorteil liegt darin, dass einem solchen Gutachten im Zivilprozess Beweisqualität zukommt. Nur wenn das Gutachten unvollständig oder widersprüchlich ist, wird der Richter ein Obergutachten anordnen.

Vorsorgliche Beweisaufnahme nach Art. 159 ZPO
Die Zivilprozessordnung (ZPO) sieht vor, dass eine Partei auch ausserhalb eines hängigen Zivilprozesses Beweise vorsorglich erheben lassen kann. Dies ist insbesondere zulässig zur Abschätzung von Prozessaussichten. Eine vorsorgliche Beweisaufnahme kann zu beliebigen Sachverhaltsfragen (nicht nur zu Mängeln) beantragt werden, und es kommen nicht nur ein Gutachten, sondern auch andere Beweisabnahmen infrage (etwa Zeugeneinvernahmen). Auch dieses Vorgehen erfordert ein Gesuch an den zuständigen Richter. Es gelten die gleichen Spielregeln wie bei der Befundaufnahme. So kann auch ein solches Vorgehen viel Zeit und Geld kosten.

Fazit
Gutachten können dazu beitragen, einen Streit aussergerichtlich beizulegen, weil eine Drittperson eine Meinungsäusserung zu einem strittigen Sachverhaltsthema abgibt. Die Parteien sind gerade in Baustreitigkeiten stets gut beraten, den Konflikt einvernehmlich beizulegen. Wenn ein Vergleichswille vorhanden ist, bietet sich das gemeinsame Gutachten als einfache, schnelle und kostengünstige Lösung an. Wenn es dafür keinen Konsens gibt, kann ein gerichtliches Gutachten helfen, die Grundlage für Vergleichsgespräche zu schaffen.

Text: Christoph Locher

Christoph Locher, Fachanwalt SAV Bau- und Immobilienrecht, St. Gallen.

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