Honorare in der Architektur und Architektur der Honorare: Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Im nachfolgenden Artikel wirft der Autor einen Blick auf die Geschichte der Honorarberechnung in der Architektur, macht auf Gefahren der aktuellen Situation aufmerksam und weist auf ein besorgniserregendes Urteil hin. Die Definition von Leistungen und deren Honorierung verlangen von den Akteuren grösste Aufmerksamkeit. Wer blind auf bestehende Instrumente vertraut, hat bereits so gut wie verloren. Ganz nach dem Sprichwort: Vertrauen ist gut. Kontrolle ist besser.
Wer den Obertitel des vorliegenden Artikels liest, dürfte sofort daran denken, dass es sich um einen Fehler handeln muss, und zwar entweder in der Formulierung oder in der Anordnung der Wörter. Jedoch handelt es sich eben nicht um einen Fehler. Gegenstand des vorliegenden Artikels ist tatsächlich die Architektur der Honorare. Es geht nicht nur um die Honorare in der Architektur- bzw. in der Planerbranche, sondern insbesondere um deren Gestaltung.
Es bietet sich deshalb an, bei einem solchen Thema einen Blick auf die Vergangenheit zu werfen, denn aus der Vergangenheit kann man fast immer wichtige Lehren ziehen. Freude ruft die historische Betrachtung keine hervor: Seit nun mehr als zwanzig Jahren geht es mit der Architektur der Honorare stetig bergab. Fasst man es kurz und knapp zusammen, so müsste man zu folgendem Urteil gelangen: Weder wurden die guten architektonischen Werke der Vergangenheit erhalten, noch wurden neue und spannende zeitgenössische Werke geschaffen. Plakativ formuliert: die absolute Negation der Baukultur bei den Honoraren. Es bröckelt seit Jahren, und dies nicht nur bei der Fassade, sondern insbesondere beim Fundament.
Bald ist es 150 Jahre her, seitdem die Leistungs- und Honorarordnungen des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA) geschaffen wurden. Sie entwickelten sich von der „Broschüre“ zum „Buch“. Vor 90 Jahren umfasste die damalige SIA 102 (Architektur) unglaubliche 8 Seiten. Heute zählt sie sage und schreibe 50 Seiten und hat dennoch an Selbstständigkeit eingebüsst. Denn um zu einer soliden Honorarberechnung und einem Leistungsbeschrieb zu gelangen, ist oft der Beizug weiterer Publikationen wie Verständigungsnormen, Leistungsmodellen und weiterer Normen unabdingbar.
Das Herzstück
Das Herzstück der Honorarordnungen war seit eh und je das Berechnungssystem, das auf den sogenannten honorarberechtigten Baukosten gründete. Dies zumindest bis zum Jahre 2001, als die Weko (die Eidgenössische Wettbewerbskommission) ebendieses Herz herausoperieren liess. Altes Herz raus, neues Herz rein: „Aufwandbestimmende Baukosten“ waren die Grundlage des neuen Berechnungssystems. Neu wurde das Honorar nicht mehr von den Baukosten, sondern vom für ein Werk durchschnittlich benötigten Zeitaufwand und vom Stundenansatz des jeweiligen Planers, dem sogenannten bürospezifischen Stundenansatz, hergeleitet. Den Ärzten gelang damals eine äusserst erfolgreiche Operation. Der zuvor totgedachte Patient wurde gerettet.
Leider konnte sich das neue System kaum an einem wirklich langen unbeschwerten Leben erfreuen. Ab 2018 mussten sich die Planer und die Auftraggeber mit einer Übergangslösung anfreunden, bis dann im Jahre 2020 eine „revidierte“ SIA 102 veröffentlicht wurde. Ganz ohne Herz, denn dieses wurde ersatzlos herausgerissen: Die Ärzte waren mit ihrem Latein am Ende. Das alte Honorarsystem gab es nicht mehr, und auf ein neues, den aktuellen Bedürfnissen und Entwicklungen der Baubranche gerechtes Honorarsystem warten die verschiedenen Akteure noch immer.
Die Gefahr
Die Honorarordnungen, insbesondere die SIA 102, wurden im Übrigen, abgesehen vom Berechnungssystem, seit 2001 kaum mehr aktualisiert. Lediglich im Jahre 2014 erfolgten einige wenige sanfte Änderungen. Dies führte dazu, dass sich die Branche selbst helfen musste bzw. durfte, manchmal zum Glück mit Unterstützung einiger Akteure aus Forschung und Lehre. Die Gefahr lauerte und lauert aber im Hintergrund, und wer einfach einzig und allein auf die Überreste eines früher glanzvollen Werks setzt, ohne sich selbst mit dem konkreten Sachverhalt auseinanderzusetzen, und die Anwendung der SIA 102 (welche Version auch immer) nicht im Rahmen einer entsprechenden massgeschneiderten Regelung vereinbart, geht immense Risiken ein. Dies zeigt auch das schmerzliche Beispiel einer Planerin, die vor weniger als zwei Jahren vor dem Zürcher Handelsgericht den Schwarzen Peter zog.
Das Urteil
Eine Planerin vereinbart mit der Bauherrschaft ein Honorar nach aufwandbestimmenden Baukosten, und zwar für einen Gesamtleistungsanteil von 90%, spezifiziert pro jeweilige Phase (vom Vorprojekt bis zur Inbetriebnahme).
Nach Kündigung seitens der Bauherrschaft macht die Planerin eine Honorarforderung von über CHF 20 000 geltend, was der Erbringung eines Gesamtleistungsanteils von 86,5% entspricht. Dies wurde von der Bauherrin prompt bestritten: Aus ihrer Sicht hat die Planerin maximal einen Gesamtleistungsanteil von 18% erbracht.
Daraufhin befand sich die Planerin in der unbehaglichen Lage, ihre Forderung substantiieren und beweisen zu müssen. Das Handelsgericht prüfte das für jede Teilphase akribisch, mit dem für die Planerin ernüchternden Ergebnis, dass aus den von ihr vorgelegten Beweisofferten (wie z.B. einem Kostenvoranschlag und einigen Plänen) für die Richter nur die Erbringung gewisser, nicht aber aller Leistungen hervorgeht. Das Gericht bemängelte insbesondere die fehlende Darlegung der konkreten Detailleistungen, die zu den entsprechenden Phasen gehören, bzw. inwiefern die Planerin diese auch erbracht hat. Daraus folgerte das Gericht schliesslich, dass es nicht in der Lage sei, eine prozentuale Gewichtung der einzelnen Leistungen bei den jeweiligen Phasen vorzunehmen. Es stellte abschliessend fest, dass der geltend gemachte Leistungsanteil nicht vollständig erfüllt wurde. Nur die von der Bauherrschaft anerkannten Leistungen werden vom Gericht als erbracht betrachtet. Nur diese seien zu honorieren.
Dr. Thomas Siegenthaler hat das Urteil eingehend kommentiert (BR/DC 3/2022) und auf die Offenlegung der grundlegenden Schwäche des Systems hingewiesen: Das Honorarmodell der aufwandbestimmenden Baukosten nimmt kaum Rücksicht auf die Frage der gerichtlichen Durchsetzbarkeit der Honoraransprüche, insbesondere aufgrund von Unklarheiten bzw. Widersprüchen in der SIA 102 hinsichtlich der Bezeichnung der Grundleistungen. Auch macht der renommierte Anwalt auf verschiedene Schwachstellen in Zusammenhang mit den Leistungsbeschrieben aufmerksam. Die Quintessenz seiner Analyse verdient es hier, zitiert zu werden: „Zusammenfassend ist es alles andere als einfach, vor Gericht ein Honorar nach den aufwandbestimmenden Baukosten zu erstreiten, wenn der Leistungsanteil in Prozenten strittig ist. Das beginnt schon mit der Unklarheit darüber, was in solchen Fällen konkret substanziiert werden muss. Die Leistungs- und Honorarordnungen des SIA werden vom SIA gegenwärtig überarbeitet. Dem Vernehmen nach ist per Frühling 2024 mit neuen Leistungs- und Honorarordnungen zu rechnen. Zugunsten der Planer und Planerinnen ist zu hoffen, dass dabei Honorarmodelle gefunden werden, die sich mit zumutbarem Substanziierungsaufwand gerichtlich durchsetzen lassen.“
Die Zukunft
In der Vergangenheit haben sowohl einige Praktiker als auch Professoren vor der mangelnden Aktualität der Leistungsbeschriebe insbesondere der SIA 102 gewarnt und auf die Notwendigkeit einer grundlegenden Revision aufmerksam gemacht. Das Fundament der Leistungen- und Honorarordnungen ist über zwanzig Jahre alt. Seit 2001, abgesehen von der Thematik der Honorarberechnung und von wenigen weiteren unbedeutsamen Änderungen im Jahre 2014, ist es in seinem Kern unverändert geblieben. Was tun? Planern und Bauherren ist grundsätzlich dringend zu empfehlen, beim Vertragsabschluss der Definition der Leistungen und deren Honorierung grosse Aufmerksamkeit zu schenken, um so böse Überraschungen zu vermeiden. Das war zwar schon immer so, aber in der aktuellen Situation gilt es, aufgrund der oben aufgeführten Tatsachen und des dargelegten Urteils noch mehr Vorsicht walten zu lassen.
Wie die Zukunft bezüglich Architektur der Honorare aussieht?
Die LHO des SIA geniessen immer noch Promistatus und stehen immer wieder im Mittelpunkt, wie diesbezügliche Interventionen aus verschiedenen Seiten (von der Weko bis zu besorgten Architekten und bis zu anderen Berufsverbänden) zeigen. Aus diesem Grund erscheint es naheliegend, den vorliegenden Artikel mit einem promiwürdigen Statement abzuschliessen. Wie Promiexpertin Flavia Schlittler in ihrer Show „Glamour & Gossip“ zu pflegen sagt: „Es bleibt spannend. Ich bleibe für Sie daran.“
Walter Maffioletti, Mitglied der Royal Institution of Chartered Surveyors (Rics) mit Spezialisierung im Bau- und Immobilienrecht an der Universität Fribourg und an der Universität Paris II Panthéon-Assas (ICLCM), ist als Rechtsanwalt bei Vialex Rechtsanwälte AG beratend und prozessierend tätig. Er unterrichtet und referiert an verschiedenen Ausbildungsstätten und bei diversen Organisationen.