Eine heisse Spur in Bern: das Haus der Kantone

Dr. Urs Wiederkehr ist Bauingenieur und Leiter des Fachbereichs Digitale Prozesse auf der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). Für diese 6-teilige Kolumne fokussiert Dr. Urs Wiederkehr 2023 auf die Lokaltermine der Schweiz 1848.

Das Verlassen auf andere Quellen bezüglich meiner Suche nach dem Rütli der modernen Schweiz hat noch nicht zu befriedigenden Ergebnissen geführt, wie ich in meiner letzten Kolumne gezeigt habe. Also werde ich nun die Erhebungsmethode wechseln. Denn abrupte Übergänge bei Handlungen sind selten, insbesondere über alle Dimensionen betrachtet. Es findet eher eine Evolution als eine Revolution statt. Politisch betrachtet waren vor der neuen Bundesstaatsgründung die Tagsatzungen wichtig. Sind sie der Schlüssel, um meine Suche zu beenden?

Bevor Bern 1848 zur Bundeshauptstadt erklärt worden ist, hat die Tagsatzung abwechslungsweise in einem sogenannten Vorort getagt, also in der Hauptstadt des Kantons, der zum Zeitpunkt der Zusammenkunft den Vorsitz über die Kantone gehabt hat. Rund zwei Duzend Schweizer Städte konnten sich als Tagsatzungsort bezeichnen. Der Begriff Tagsatzung leitet sich von „einen Tag setzen“ ab und bedeutet die Vereinbarung eines Termins, um „Recht zu setzen“, weiss das „Historische Lexikon der Schweiz“. Die Tagungsorte benötigten eine leistungsfähige Infrastruktur und eine gute Anbindung ans Verkehrsnetz, damit sie die mehrtägigen Veranstaltungen durchführen konnten. Der häufige Wechsel des „Vororts“ machte es auch Kaisern und anderen Korrespondenzpartnern nicht einfach, mit den Eidgenossen Kontakt aufzunehmen. So adressierte Kaiser Maximilian von Habsburg im Jahr 1490 seine Korrespondenz an die „Aidgenossen“, wo sie „zu Tagen versamlet sein werden“.

Von 1803 bis 1848 wechselten sich Zürich, Bern und Luzern im Zweijahresrhythmus als „Vorort“ ab. Vor der Bundesstaatsgründung waren das 1843/44 Luzern, 1845/46 Zürich und 1847/48 Bern. So drängt es sich auf, einen der „Vororte“ genauer unter die Lupe zu nehmen. Wobei Bern eine naheliegende Wahl ist.

Die Suche in Bern liefert ein interessantes Ergebnis: das Haus der Kantone. „Seine zentrale Lage in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs Bern macht das Haus der Kantone zum idealen Sitzungsort in der Bundesstadt. Hier treffen sich Vertreterinnen und Vertreter der Kantone in Bern“, steht auf der zugehörigen Website. Zudem: „Als Sitz von Regierungs- und Direktorenkonferenzen und weiteren interkantonalen Institutionen fördert das Haus der Kantone die Zusammenarbeit und den Dialog zwischen den Kantonen und dem Bund.“ Leider ist das Haus der Kantone eine Fehlanzeige: Das Gebäude an der Berner Speichergasse 6 ist erst 2008 eröffnet worden, 160 Jahre nach der Verabschiedung der Bundesverfassung und 151 Jahre nach dem Anschluss von Bern ans Eisenbahnnetz. Vorher ist in diesem von den Badener Architekten Otto Dorer und Adolf Füchslin im Jahre 1891 gebauten Gebäude die Eidgenössische Telegraphendirektion und das Eidgenössische Patentamt untergebracht gewesen. Ein gewisser Albert Einstein hat auch dort gearbeitet und in der entsprechenden Zeit die wichtigen Grundlagen für seine Relativitätstheorie erarbeitet. 

Zwar habe ich einen interessanten Ort für einen Lokaltermin gefunden, einen Bezug zur Zeit vor der Bundesverfassung konnte ich aber nicht herstellen. Trotzdem hat es sich gelohnt, die Sache bis zum Ende zu verfolgen und die gemachten Erkenntnisse zu dokumentieren. Oder ist Ihnen alles bekannt gewesen, was ich hier beschrieben habe?

Wenn schon nicht das Rütli der modernen Schweiz, so ist das Haus der Kantone das Rütli der modernen Physik: Albert Einstein hat hier die Relativitätstheorie erarbeitet.

 

Tipps

Haus der Kantone 

Andreas Würgler: „Krieg und Frieden organisieren“, in „Berner Zeitschrift für Geschichte“, 74/2012, e-periodica.ch

Historisches Lexikon der Schweiz

Bauinventar Stadt Bern

 

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