Der „Panton-Tunnel“ in Basel: Ein Tauchgang durch Farben, ein Gang durch die Geschichte. Ein grosses, begehbares Kunstwerk von Verner Panton, einem der bedeutendsten Künstler der Designgeschichte, liegt im Untergrund des Universitätsspitals Basel. Weil das Werk lange verkannt war, muss es bald einem neuen Spitalbau weichen.
Ausgehend vom City-Parkhaus tauchen wir ab in Pantons „Unterführungswelt“. Erster Eindruck: Sehr rot. Wir werden umfangen von einem strahlenden, orangenen Rot, das sich schon nach den ersten Schritten auflöst, einem gestreiften Muster in drei verschiedenen Rot- und Orangetönen weicht, stetig höher und allmählich durch Blautöne durchbrochen wird. Ein Blick in die Tiefe des Tunnels ist somit ein Blick ins Blaue. Begleitet von Verner Pantons Farben und Formen, gehen wir durch diese Passage, die in ihrer Verspieltheit an ein kunterbuntes Daumenkino erinnert.
„Bei der Gestaltung eines Milieus ist die Farbgebung von entscheidender Wichtigkeit. Es genügt nicht zu sagen, dass Rot rot ist und Blau blau. Ich selber arbeite normalerweise mir Parallelfarben, deren Töne im Spektrum aufeinanderfolgen. Dadurch kann ich den Kälte- und Wärmecharakter des Raums beherrschen und so die gewünschte Stimmung schaffen.(Verner Panton)
Wir unterbrechen unseren Tauchgang durch die Passage, um die Geschichte dieses Kunstwerks zu erzählen, die paradoxerweise mit einer Bausünde – einem „Loch“ – beginnt. Die Passage verläuft im dritten Untergeschoss des heutigen „Klinikums II“ und verbindet das Parkhaus im Osten mit der Altstadt im Westen. Gebaut hat hier eines der damals grössten Basler Architekturbüros, Suter + Suter. Es musste ein Verbindungsweg her vom Parkhaus, das sich unter dem Garten des Spitals befindet und der Altstadt auf der anderen Seite des Klinikums. So entstand ein Tunnel im dritten Untergeschoss, gut 80 Meter lang, bis zu 2.6 m breit und maximal 3.8 m hoch. In seiner Mitte befindet sich ein doppelter Knick – dass die Passage nicht einfach geradeaus führt, ist wohl auf einen Planungsfehler zurückzuführen, denn übersichtlicher wurde die Unterführung damit jedenfalls nicht. Nach der Eröffnung des „Klinikums II“ und der Passage im Jahr 1974 wurde allmählich klar, welch ein Unort hier gebaut worden war: Eine triste graue Betonröhre, in der angeblich nachts sinistre Gestalten herumlungerten und den Passant:innen Angst machten. Es brauchte also eine deutliche Verbesserung für dieses «Loch» und so kam Verner Panton ins Spiel, der für seine ausserordentlich durchdachte Farbgestaltung bekannt war und in Basel lebte.
„Farben zu verwenden ist wie das Leben. Man muss ein Ziel haben.“ (Verner Panton)
Doch tauchen wir erstmal wieder in den Tunnel ein. Wer heute durch die Passage geht, bemerkt schnell: Der Gang in die Unterwelt hat nichts Bedrohliches, sondern vermittelt ein Gefühl von Freude und kindlichem Spass ebenso wie eine Art Gelassenheit. Die durch den Knick in zwei Bereiche geteilte Unterführung erfahren wir dank Pantons Farbgestaltung als ein zusammenhängendes Ganzes. Denn die Räume werden durch die Wiederholung aufeinander Bezug nehmender Farben, Formen und Muster rhythmisiert. Die acht Farben – Dunkelrot, Hellrot, Orange, Aubergine, Lila, Violett, Blau und Türkis – finden wir in insgesamt acht räumlichen Sequenzen. Unterbrochen werden die in starken Farben und Mustern gehaltenen Abschnitte der Unterführung von Abschnitten in sanften Grautönen. Dies lässt unserem Auge etwas Ruhe nach – und vor – den „Farbexzessen“.
„Die Relation zum Millieu ist viel wichtiger als ein einzelner Stuhl oder ein anderer Gegenstand. Raum, Farben, Möbel, Textilien und Beleuchtung müssen gemeinsam durchdacht und erlebt werden. Ein attraktives Milieu kann nur gestaltet werden, wenn man die Ganzheit wirklich voll beherrscht.“ (Verner Panton)
Zurück zur Geschichte des Tunnels. Pantons Anspruch an Räume war grundsätzlich ein ganzheitlicher. Sein grosser Wille, Räume durchgehend zu gestalten, zeigte sich bereits in seinem ersten grossen Projekt Ende der 1950er-Jahre – ein Traum in Rot, ein Totaldesign, das für viel Aufsehen sorgte. In weiteren Kooperationen entstanden auch Textilien und vielfältige geometrische Muster in den starken „Panton-Farben“, die unterschiedliche Töne der Spektralfarben von Rot über Orange, Gelb und Blau bis Violet aufgreifen. Darauf griff Panton nun für seinen Auftrag im Basler Untergrund zurück.
Farben und Muster waren also gesetzt. Doch deren Anordnung im 80 Meter langen Gang sollte noch ausgetüftelt werden. Es war ein mathematisches Problem, den richtigen Rhythmus zu finden. Gelöst wurde das Problem mit Berechnung und Experiment: Es entstanden Skizzen, Pläne im Massstab 1:1 und Modelle. Verner Panton wollte die Farben und Muster „all over“ einsetzen – sie sollten sich über Wände, Decke und auch den Boden erstrecken. Doch dies war den Auftraggebern dann wohl doch zu viel. Schliesslich erhielt der Boden einen Anstrich in Olivgrün.
Kurzweil und Frohsinn dominieren letztlich den Raum. Wo zuvor ein bedrohliches „Loch“ sich durch den Untergrund des Spitals gezogen hatte, ist ein Farben- und Formenspiel entstanden, das mit den Passant:innen interagiert. Das Farbenbad der Passage wirkt auf unser Raum- und Zeitempfinden und erzeugt wechselnde Stimmungen und Emfpindungen – von der pulsierenden Hitze und Dramatik der Rottöne bis hin zu kühl-blauer oder spacig-grauer Gelassenheit. Der Tauchgang durch die Unterführung wird so zu einem metaphorisch erfahrbaren Übergang in eine andere Welt, in der wir kindlich-fröhlich ankommen.
1980 wurde aas Kunstwerk wurde 1980 eingeweiht und der Unort entfaltete somit seine Wirkung – seit nun mehr als 20 Jahre. Doch Anfang der 2000er-Jahre gab es einen ersten massiven Eingriff: Die Parkhausverwaltung wollte mehr Werbefläche in der Passage. Plakatwände hatte es hier von Anfang an gegeben. Panton hatte diese in das Kunstwerk wohlüberlegt integriert, und zwar ausschliesslich auf den uni grauen Bereichen als Ergänzung zu den Vitrinen. Doch nun liess das Parkhaus erstens einen Teil der Vitrinen entfernen. Diese waren offenbar nicht so leicht zu vermieten wie Plakatwände. Und zweitens wurden nun auch auf farbigen Flächen Plakate angebracht. Pantons starke, künstlerische Grafik stand danach in direktem Kontrast mit mehr oder weniger ansprechender Werbegrafik.
Wenig später, im Jahr 2005, stand ein noch massiverer Eingriff an, ja es drohte damals schon die völlige Zerstörung des Werks. Die Bauvorschriften hatten sich geändert und die Passage sollte nochmals „sicherer“ werden, sodass vor allem mehr Licht her musste. Darüber zu entscheiden hatte der Kanton und der sich für die vollkommene Neugestaltung der Passage entschied – Pantons Kunst sollte weg. Doch dann schaltete sich die kantonale Denkmalpflege ein, die als Kulturbehörde dazumal noch zum Erziehungsdepartement gehörte. Der Denkmalpfleger Alexander Schlatter hielt ausserdem fest, dass Pantons Kunstwerk unter das Denkmalschutzgesetz falle, auch wenn es nicht explizit geschützt sei. Und er hielt fest, dass er bei den weiteren Planungen mitreden wollte. Was folgte, war ein Kompromiss: Das Wichtigste, die Bemalung blieb erhalten, fast alles andere jedoch nicht. Auch die letzten Vitrinen mussten weichen, der Boden wurde heller gestrichen und das Licht im unteren Bereich der Passage wurde grundlegend verändert – Pantons Leuchten kamen weg. Immerhin verschwanden auch die Plakatwände auf den farbigen Flächen wieder.
Nach einer erneuten Begehung der Passage im Dezember 2006 wurde es still um diesen kunstvollen Ort. Zu still. Sorgen um das Kunstwerk machte sich seither offenbar niemand mehr. Es wurde nicht in das Inventar schützenswerter Bauten des Kantons aufgenommen und erst recht wurde es nicht unter effektiven Schutz gestellt. Anzumerken ist noch, dass der Denkmalpfleger Alexander Schlatter im Jahr 2010 pensioniert wurde und leider wenige Jahre später verstarb. Die Panton-Passage verlor damit ihren vehementesten Fürsprecher.
Lucius Müller, Basel, 2022 / © Verner Panton Design AG
Autor: Textfaktur Ampère – Anne Krier und Remo Vitelli