Dr. Urs Wiederkehr ist Bauingenieur und Leiter Dienstleistungen und SIA-Form auf der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). In dieser achtteiligen Kolumne besucht er Orte, an denen man in der Regel vorbeifährt und die man selten bewusst besucht. Eindrücke vom Besuch vor Ort am 18.05.2019.
Die Garten- und „Literatour“-Stadt
Sechs Eisenbahnlinien führen in den Bahnhof und machen Olten zum zentralen Bahnkreuz der Schweiz. Kein Wunder, dass viele diesen Inselbahnhof vom Umsteigen oder wegen des legendären Bahnhofbuffets kennen. Wer hat aber schon die Altstadt oder andere Teile dieser Gartenstadt besucht?
Die Bahnhofanlage ist von der privaten Gesellschaft Centralbahn 1856 auf der rechten Seite der Aare erbaut worden – auf Land, das die Stadt der Gesellschaft kostenlos zur Verfügung gestellt hat. Nebenan befinden sich die Zentralwerkstätte und die Betriebszentrale „Mitte“ der SBB. Den schmalen Landstreifen zum Fluss nutzen Post, Swisscom und die Elektrizitätsgesellschaft Alpiq, die frühere Atel, für ihre Verwaltungsgebäude. Ennet Aaren beherbergt auch das ehemalige Zollhaus mit Walmdach und das Distelihaus. Die imposante Holzbrücke aus dem Jahr 1803 wird zurzeit wegen eines 2016 entstandenen Glimmbrands saniert. Der vorherigen Brücke ist es noch schlimmer ergangen: Im Jahr 1797 haben die Berner die Brücke gegen den Willen der Oltener Bevölkerung in Brand geschossen.
Die Brücke führt zur kreisförmigen Altstadt, die auf einem Felssporn über dem Fluss thront. Diverse Herrschafts- und Gasthäuser sowie der freistehende Stadtturm säumen die Altstadtgassen. Am Rand befinden sich das moderne Stadthaus und die christkatholische Kirche – in Olten hat der Kulturkampf innerkatholisch gewütet. So besitzt der Altar der St. Martin-Kirche aus dem Jahr 1910 einen imposanten Baldachin als Zeichen des wiedererstarkten Katholizismus.
Weil auf der Bahnhofseite der Platz fehlte, wurden das Stadttheater, der Walter-Verlag, heutiger Sitz der Alternativen Bank, sowie das Amtshaus, früher das Buchzentrum Olten, auf der anderen Flussseite gebaut. Sowieso, Literatur spielt in Olten eine grosse Rolle. Davon zeugen die Schriftstellerwege und die jährlich stattfindenden Oltener Kabarett-Tage, mit Vergabe des „Prix Cornichon“. Die Trägerinnen und Träger sind am Quai Cornichon an der Aare mit Metalltafeln verewigt.
Die Oltener hatten stets ein gespanntes Verhältnis zur Macht und zu Solothurn. Das führte wegen falscher Parteinahme im Bauernkrieg zum Verlust des Stadtrechts. Trotzdem, in den ersten Bundesrat schickte der Kanton nicht eine Persönlichkeit aus dem Hauptort, sondern den Oltener Martin Josef Munzinger, der jede Gelegenheit wahrnahm, aus der Rivalität von Stadt-Land und konservativ-liberal Profit zu schlagen.
Im offiziellen Stadtführer unerwähnt ist jenes Element der Stadt, das mir am meisten gefallen hat: Olten als Gartenstadt. Auf beiden Flussseiten säumen zweigeschossige Gebäude, zum Teil Doppelhäuser, zum Teil in Reihenanordnung, die Fläche von der Ebene bis zum Waldrand hinauf. Das fällt nicht nur am Weg vom Bahnhof zum weitläufigen Friedhof Meisenhard auf, der einer der schönsten Waldfriedhöfe der Schweiz sein soll.
Auf jeden Fall werde ich mir bei der nächsten Heimfahrt aus der Westschweiz einen erneuten Reiseunterbruch leisten. In Olten gibt es noch viel zu sehen.