Dr. Urs Wiederkehr ist Bauingenieur und Verantwortlicher für Digitale Prozesse auf der Geschäftsstelle des Schweizerischen Ingenieur- und Architektenvereins (SIA). In dieser achtteiligen Kolumne besucht er Orte, an denen man in der Regel vorbeifährt und die man selten bewusst besucht. Eindrücke aus Besuch am 17.08.2019.
Das Geschehen im Schweizer Mittelland: Ganz unspektakulär
11 Brände sind auf dem Gugelmann-Areal zwischen Olten und Langenthal gezählt worden. Wenige Industriebauten, ein grosser Parkplatz und eine Halle mit der grössten Indoor-Kartbahn Europas erinnern an die ehemalige Blütezeit der Textilfabrik. Die Denkmalpflege des Kantons Bern bedauert die Rückbaubewilligung durch den Gemeinderat Roggwil für fast alle übrig gebliebenen Bauten. Angrenzend, quasi im Niemandsland zwischen Roggwil und Wynau, befindet sich die Station an der alten Bahnlinie Olten – Bern: mein Ausgangspunkt. Davor kreuzt die seit 2006 bestehende SBB-Neubaustrecke Olten – Mattstetten die Stammlinie und führt parallel an der Station vorbei. Eine breite Personenunterführung ermöglicht den Zugang zur Bahn und die Verbindung zwischen Roggwil und Wynau. Auf der obersten Ebene überbrückt die Hauptstrasse Nr. 1 Zürich – Bern die anderen Verkehrsträger.
Wynau, im Norden auf einer Terrasse über der Aare gelegen, zeichnet sich durch eine lockere Überbauung entlang der Hauptstrasse aus. Oberhalb des Steilufers zur Aare ist die reformierte Kirche mit diversen Wandmalereien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu finden. Das zugehörige Pfarrhaus zeichnet sich durch ein imposantes Walmdach aus – wie viele Bauten im Ort – und einer angebauten Scheune. Die Flussfähre führt in die Solothurner Gemeinde Wolfwil. Ein Flösserpfad ermöglichte bis zur Inbetriebnahme der Eisenbahn 1857 das Aufwärtsziehen der Schiffe mit Pferden gegen die Aare-Strömung. Selbstredend ist die Tatsache, dass das Elektrizitätswerk Wynau vor über 125 Jahren zuerst für Auswärtige Strom erzeugte, bevor zehn Jahre später die Gemeinde angeschlossen wurde.
Roggwil – von der Station südlich gelegen – ist durch die Bahnhofstrasse erreichbar. Die Staustufe des Bachs Langete wird durch eines der ersten Kleinwasserkraftwerke der Schweiz genutzt. Eine Fischtreppe ermöglicht das Laichen im Oberlauf. Der Kulturspycher und die Stiftung Tauernhaus nutzen alte Gebäude für regelmässige kulturelle Veranstaltungen. Überrascht hat mich das Vogelkunde-Museum am Bergweiher mit seinen diversen Volieren. Am südlichen Ortsrand Richtung Luzern sind einige Industriebetriebe angesiedelt und viele Neubauten.
Fazit: Die ganze grosse Sehenswürdigkeit habe ich auf meiner Samstagmorgen-Tour im Oberaargau nicht gefunden. Ich habe sie auch nicht erwartet. Es ist faszinierend, die von Benedikt Loderer – Gründer und Chefredektor von «Hochparterre» – sogenannte und verteufelte Hüsli-Schweiz zu beobachten: Der Gartenzaun wird neu gestrichen oder die Hecke geschnitten oder das Auto gepflegt. Nur die wenigsten Leute sind zu Fuss unterwegs, wenn denn mit Hunden. Andere fahren zum Einkauf, viele mit dem E-Bike. Viele Gasthäuser sind geschlossen. Vorübergehend? Rund um das Pontonierhaus von Wynau bereiten sich die Vereinsmitglieder auf die Schweizermeisterschaft der Jungpontoniere vor. Und vor dem Produktionsbetrieb von «Swisskebab» stehen die Türen des Lieferwagens für das Einladen von Kebab-Spiesse offen. Hier findet nichts Spektakuläres statt, ausser das ganz normale Leben in der Schweiz.