Kolumnistin Brigitta Schild meldet sich in jeder Ausgabe mit einem Brief bei einem Protagonisten der Architekturgeschichte. In der Ausgabe 03/2019 schreibt sie Hugo Alvar Henrik Aalto, einem der bedeutendsten finnischen Architekten und umtriebigen Promotor der nordischen Moderne.
Lieber Alvar,
Habe grad in deiner Savoy Vase orange-purpur geflammte Tulpen arrangiert. Frisch schmiegen sie sich nun in die gläserne Wellenform und signalisieren: Frühling! – zumindest ein paar Tage lang. Danach wird das langsame Verwelken beginnen. Das tun Tulpen allerdings stilvoll. Wenn ich schon bei der Vergänglichkeit bin: Erinnerst Du Dich noch an den Baum in meinem Hof, an diesen herrlich ausladenden Schattenspender? Der musste leider radikal zurückgeschnitten werden. Nun stapelt sich das Brennholz unter der Treppe, während ich mir vom Strunk und seinen Stummelästen neues Leben erhoffe…
Aber Dir, dem Finnen, muss ich ja nichts von Wäldern, Bäumen oder Holz erzählen. War doch allgemein im Norden, in mythischer Vorzeit, der Wald ein Reich der ungeheuren Kräfte. Ohne rituelle Vorbereitung durfte man ihn denn auch nicht betreten. Der dunkle Waldrand war die grosse mythische Grenze, der einzelne Baum im Hof der Vermittler zwischen Leben und dem Reich der Vorfahren. Vielleicht ist von dieser intensiven Verbindung zur Natur noch etwas sichtbar im „Mökki“, dem traditionellen, rudimentär ausgestatteten Ferienhäuschen mit Sauna. Diese kargen Blockbauten inmitten der Natur, fernab der Zivilisation, sind ja auch heute noch weit verbreitet. Jedenfalls war es wohl nicht zufällig, dass Du Möbel stets aus Holz und in organischen Formen entworfen hast, während die anderen Verfechter des Neuen Bauens Stahlrohr und den rechten Winkel vergötterten.
1935 hast Du dann, zusammen mit deiner Frau Aino, Nils-Gustav Hahl und Maire Gullichsen -Kunstsammlerin und Mäzenin – die Möbelfirma Artek gegründet. Damit habt ihr den Grundstein für die Verbreitung des skandinavischen Designs gelegt. Bei Deinen Möbelentwürfen zählte aber nicht nur die schöne Form, sondern dir waren vor allem die Bedürfnisse der Menschen und die praktischen Aspekte wichtig. Das war beim Bauen nicht anders. Villa Mairea, für die Familie Gullichsen 1939 in Noormarkku gebaut, ist dafür ein wunderschönes Beispiel. Ein Ferienhaus der Superlative, das durch den grosszügigen offenen Grundriss und die verschachtelten, unterschiedlich materialisierten Kuben besticht.
Lieber Alvar, die beiläufige Eleganz dieser Architekturikone im Kiefernwald fasziniert mich immer wieder neu. Einzig die weisse Wand mit schräg aus der Fassade ragenden Fenstern zeigt die Moderne. Die darum herum arrangierten Holzvolumen orientieren sich mehr an Tradition und Umgebung. Dazu kommt eine Vielfalt an Materialien: Rohbelassene schlanke Baumstämme, dunkles und rötliches Holz, eine blaue Majolika-Wand, rudimentäre Geländer und zaunartige Brüstungen, Natursteine, Schiebeglastüren und mit Rattan zusammengebundene dreiteilige Stützen… – verständlich, ist die Villa als Architektur-Collage bekannt geworden. Diese Villa ist Teil ihrer Umgebung. Das Saunagebäude aus Holz, das „Mökki“, ist sehr einfach, nur mit Grasmatten bedeckt und die Gerüste für Kletterpflanzen sind inzwischen grossflächig überwuchert.
Die Verwitterung zeigt eine Patina, Moos und Flechten haben sich festgesetzt – Hast Du diesen Bau, ähnlich wie die Möbel, als etwas Biologisches betrachtet, als etwas, das sich stetig verändern kann und auch muss? Sowohl innen wie aussen? Jedenfalls wirkt diese Villa erfrischend. Denn hier hat es sicher Platz für: Spielzeug, Blätter aus dem Wald, Kunstbände, Zeitungen, eine Katze, echte Bilder und Skulpturen und Kinder in dicken Socken vor dem Cheminée… Solche Vorstellungen lassen Architekturikonen eigentlich nicht zu. Sich verschmutzte Gummistiefel in der Villa Tugendhat, Vogelnester in der Villa Savoye oder Kindergeschrei rund ums Farnsworth House vorzustellen, fällt jedenfalls schwer. In Noormarkku dagegen lassen sich alle Facetten des Alltags durchleben – mit oder ohne schmutzige (kleine) Gummistiefel. Stilvoll bleibt diese Villa immer. Danke Alvar! Danke Aino!
Herzlich grüsst,
Brigitta