Von Zwillingen, Schützen und Wassermännern

Identisch und dennoch anders präsentieren sich die Zwillingsbauten von Wir Architekten am Südhang des Dorfes Hornussen. Gekonnt bewusst in das steile Terrain der Bau-
parzelle inszeniert, komplementieren die beiden Massivbauten nicht nur die Siedlung
am Hang der Oberen Bachdellenstrasse, sondern verdichten zugleich das dortige
Wohngebiet. Dabei zeigen beide Bauten zudem vor allem eines – das Leben im
Inneren zeichnet die Architektur. Denn egal wie gleich die Hülle auch erscheinen mag,
die inneren Werte prägen die gebaute Landschaft massgeblich.

Umgeben von den bewaldeten Hügeln des Tafeljura, liegt das Dorf Hornussen im oberen Fricktal und hat sich dort entlang der Hauptstrasse entwickelt. Nun entstand am Südhang der kleinen Aargauer Gemeinde, genauer gesagt an der Oberen Bachdellenstrasse, ein Zwillingsbau, der sich in diesen stark abfallenden Hang eingräbt. Dabei nehmen die neuen Massivbauten mit ihrer abgestuften Geometrie gleichzeitig die markante Topografie der Baufläche auf – eine prägnante Landschaftsform, die selbst nach den Bauarbeiten wie zuvor erscheint. Doch ebenso wie die Bauten in den Hang eingepasst wurden, grenzen sich die geometrischen Volumen gleichermassen von der fliessenden Landschaft ab: Ein umlaufender Brüstungsgürtel begrenzt die strassenseitigen Terrassen und bildet zugleich einen Sockel für die hangseitig positionierten Häuser. Doch nicht nur die Hanglage spielte in der Setzung der Neubauten eine Rolle, sondern auch auf die urbane Situation im kleinen Massstab wurde mit der Positionierung zu den Nachbarhäusern Bezug genommen. Schlussendlich bestimmten somit die äusseren Rahmenbedingungen den Grundriss der beiden Punkthäuser, welcher den minimalen Abstand zu den Grundstücksgrenzen ausreizte und so den maximalen Bauperimeter garantierte. Der Brüstungsabsatz über der zentrischen Achse der Garage zeichnet einerseits das Querprofil des Strassenverlaufs wie auch den Höhenversatz der Häuser ab. Ebenso steht der Versatz für eine erkennbare Zäsur der beiden Parteien und bildet die statische Sollbruchstelle des Zusammenbaus.

Harte Schale
Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, Vielseitigkeit sowie auch Oberflächlichkeit werden dem Charakter des Zwillings zugeschrieben – sofern man den Eigenschaften des gleichnamigen Sternzeichens glaubt. Betrachtet man nun das Gebäudepaar von aussen, können bereits zwei dieser Besonderheiten auf die Architektur bezogen werden: So wird mit ihrer terrassierten Gestaltung nicht nur die An- und Einpassung an das abfallende Gelände garantiert, sondern zudem mit ihrer klaren und reduzierten Erscheinung ein starker Fokus auf die Thematik der Oberflächen, hier nun im konkreten Sinn, gelegt und auf den ersten Blick schon ein Statement gesetzt. Vom Hang vorgegeben, prägt demnach eine unbehandelte Betonhülle das prägnante Gebäudevolumen, das strassenseitig mit Glasfronten und hellgrünen Wellplatten aus Faserzement ergänzt und geöffnet wurde. Rückseitig ergänzen zwei quaderförmige Wasserspeier den kompakten Baukörper und nehmen die Entwässerung des Flachdaches auf und sollen durch das heruntertropfende Wasser eine unwillkürliche Patina auf der rohen Hauswand entstehen lassen. Sinnbildlich passend zum Element des Wassers, wurden beide mit dem Symbol des Wassermanns geschmückt, dessen Eigenschaft der Individualität nicht nur die Eigenheiten der unterschiedlichen Hausbewohner aufgreift, sondern auch in der durch das Regenwasser geschaffenen Patina an der Fassade zu finden ist. Doch nicht nur von diesen Mustern wird die rohe Oberfläche der Aussenhülle unterbrochen, denn die metallenen Fensterrahmen aus eloxiertem Aluminium setzen zudem Akzente im einheitlichen Gebäudekleid. Neben der Materialität durchbrechen darüber hinaus seitenübergreifende Fensterelemente die seitlichen Betonschotten, lösen diese zu Segmenten auf und lockern zugleich die Massivität des Gebäudepaares auf. 

Verbindend
Im Gegensatz zum Auflösen verbinden unter anderem gestalterische und auch räumliche Gemeinsamkeiten das Zwillingspaar: Insbesondere macht die gleiche äussere Erscheinung beider Bauten diese zu einem scheinbar eineiigen Zwilling: Die gleiche Kubatur, ein beinah identischer Grundriss sowie die einheitliche Gebäudehülle lassen die beiden Einfamilienhäuser schon von weitem als Paar ausmachen. Ihre prägnante Geometrie mit der klaren und meist geraden Linienführung macht die zwei Wohnhäuser dabei zu markanten und auffälligen Landmarken im südlichen Hang von Hornussen. Daneben werden die beiden Punkthäuser von der vorgesetzten Garageneinheit, mit insgesamt sechs Stellplätzen, zusammengeschlossen, diese nimmt über den grosszügigen Vorplatz zur Oberen Bachdellenstrasse hin die Erschliessung beider Wohneinheiten auf. Den Auftakt zu den individuellen Hauszugängen bildet zu beiden Seiten der Garagenzeile jeweils ein Atrium mit kreisrundem Deckenausschnitt, welches den Eingangsbereich und das angrenzende Studio im Untergeschoss belichtet und Blickachsen zu den oberen Geschossen und deren Raumzellen formt. Neben dem Tageslichtanteil in der untersten Etage schafft dieses Oberlicht einen Schattenwurf mit einer markanten Silhouette, lässt den Kreis als Grundform zum immer wiederkehrenden Thema werden und wird somit zum identitätsstiftenden Element. So zeichnet sich die runde Form nicht nur im Licht- und Schattenspiel ab, sondern wird auch bei Regen aufgrund der fehlenden Überdachung am Boden sichtbar und lässt demnach auch während der Wintermonate den Schnee als runden Abdruck auf dem Boden zurück. Symbolhaft schmückt auch ein dezenter Abdruck im Atrium den Zugang zum rechten Gebäude: Die Silhouette des Schützen ist hier in der Wand abgebildet, stellt einen privaten Bezug zu dem Bau her und verleiht darüber hinaus dem dazugehörigen Gebäude seine eigene Identität und Geschichte.

Aufgeteilt
Eigenständig und individuell präsentiert sich zudem das Untergeschoss im Allgemeinen: Das dort untergebrachte Studio samt Nasszelle und optionaler Teeküche kann in Kombination mit dem Vestibül und dem Garagenzugang als autonome Einheit gehandhabt werden. Gleichzeitig ergänzen die Räumlichkeiten im Strassenniveau das Raumprogramm der beiden darüberliegenden Geschosse zu einem 6.5-Zimmer-Haus. Dabei führt das zentrale, zur Hangseite positionierte Treppenhaus mit Oberlicht durch die Stockwerke und garantiert zugleich freie Fassaden für die oberirdischen Wohn- und Nebenräume. Mittig vorgelagert und gemeinsam mit den Treppenhäusern im Zentrum des Grundrisses angeordnet, sind jeweils die Nasszellen, welche dank des grosszügigen Bullauges von der Badewanne aus einen Ausblick auf die Gemeinde Hornussen und das Fricktal bieten. Dadurch wird das Erdgeschoss in zwei grosszügige Raumeinheiten mit Südost- und Südwest-Ausrichtung gegliedert und nimmt das Wohnen sowie den Ess- und Kochbereich auf. Diesen Räumen vorgelagert, erweitert die Terrasse optisch den Innenraum und lässt auch haptisch die Grenze zwischen innen und aussen aufgrund desselben Bodenbelags wie in den Wohnräumen verschwimmen. Dort erlaubt der Deckendurchbruch des Atriums spannende Blickbeziehungen von der Terrasse in das Untergeschoss sowie den Eingangsbereich, wobei gleichzeitig eine angemessene Distanz zur Quartierstrasse und zu den gegenüberliegenden Häusern mit der Terrassierung geschaffen wird. 

Innere Werte

Gleich, aber dennoch individuell beschreibt Zwillinge sehr treffend: Denn so ähnlich sich nun ein Zwillingspaar im Allgemeinen auch optisch sein kann, umso differenzierter sind meist die Charaktere dieses Duos. Ebenso ist bei dieser Tatsache festzustellen, wo die inneren Werte den entscheidenden Unterschied des Doppelbaus ausmachen. Während sie sich in ihrer Raumaufteilung, Grundrissplanung sowie äusseren Erscheinung stark ähneln, machen den grössten Unterschied deren Farbgebung und Innenausstattung aus. Stringent durchgezogen und willkürlich akzentuiert und dennoch bewusst minimalistisch zeigen sich die Gestaltungsthemen rund um das Farb- und Materialkonzept im Wohnhaus des Architekten auf der rechten Seite. So spielt hier insbesondere die Farbe Grün eine wesentliche Rolle im gesamten Erscheinungsbild: Die Türen – Türblatt samt Blenden – wurden in British Racing Green umgesetzt und die Kücheninsel ähnlich zur Fassadenverkleidung in einem Hellgrün realisiert. Die Innenseiten der Fenster, die Blockrahmen der Türen sowie die Griffleisten, die Handläufe und die Anleimer von Simsen und Vorhangbrettern leuchten hingegen in geöltem Kiefernholz hervor, wodurch die Kanten und Kubaturen zusätzlich betont werden. Noch mehr Leuchtkraft erhalten die hellen Holzakzente durch die dunkle, beinahe schwarze Küchenrückwand, die Stauraum, den Kühlschrank und Arbeitsflächen aufnimmt. Auch hier strukturieren Kiefernholzleisten die grossflächige Schrankwand und greifen erneut das Spiel mit dem Hell-Dunkel-Kontrast auf und verleihen dem Interieur zugleich einen einfachen Charme. Und dennoch sind alle Möbel präzise gewählt und mit viel Liebe zum Detail umgesetzt worden: In Zusammenarbeit mit dem Schreiner wurden für diese Möbeleinzelstücke selbst die Griffe der Schränke speziell erarbeitet und passend zum Rest aus dem weichen Kiefernholz hergestellt – mit der Absicht, diesen über die Jahre eine Patina zu verleihen. Spuren zeigen auch die Wände und Decken in diesem Haus: Bewusst wurde darauf verzichtet, die Zeichen der einzelnen Arbeitsschritte  zu korrigieren, sodass die hellgelben Flecken des Schalungsöls, die Bindlöcher der Betonschalung oder auch die Katzenpfoten im Gussboden der Treppe zu finden sind. Insbesondere die rostfarbenen Rückstände des Schalungsöls und der Rostnägel wirken markant und bilden mit der Farbigkeit der Kiefer ein harmonisches Ganzes. Zudem wurde das Mauerwerk im Entree des Untergeschosses sichtbar belassen, wurde demnach nicht verputzt und schafft ein abwechslungsreiches Spiel mit Oberflächen in den Innenräumen. Diese konsequente Materialehrlichkeit – insbesondere im Architektenhaus – ist auf den Gestaltungswillen der Badener Architekten zurückzuführen, die hier die Kosten für Putz- und Ausbesserungsarbeiten möglichst gering halten wollten, um dafür in einen hochwertigen Innenausbau investieren zu können, ohne das Budget  aufstocken zu müssen. 

Feine Unterschiede
Im Gegensatz zu der akzentreichen Kombination von Grün und Naturholz ist das Nachbarhaus von einer dezenteren Kombination geprägt und konzentriert sich vor allem auf einen Schwarz-Weiß Kontrast. Weisse Türblätter werden von schwarzen Leisten umrahmt, die Fensterinnenseiten wurden ebenfalls dunkel ausgeführt, der Gussboden mit schwarzen Pigmenten eingefärbt und auch das Mobiliar in Küche und Bad bewusst anders ausgewählt. Doch auch kleine, bauliche Unterschiede sind insbesondere in der Ausführung des Atriums und der Terrasse zu finden: Demnach wurde hier der kreisrunde Deckenausschnitt des Atriums verglast, um einen geschützten Zugangsbereich zu erhalten und zugleich auf der darüberliegenden Terrasse nicht an Nutzfläche einbüssen zu müssen. Zudem wurden die Innenwände dieses Einfamilienhauses sauber gereinigt und somit jegliche Spuren der Bauarbeiten versteckt. Darüber hinaus sorgen auch jeweils differenzierte Dekoelemente für ein anderes Raumgefühl: So schafft beispielsweise der kreisrunde, doppelseitige Spiegel im Architektenhaus zuerst eine optische Täuschung, wenn man über die Treppe ins Obergeschoss kommt und er nicht direkt als Spiegel oder Fenster eingeordnet werden kann. Erst auf den zweiten Blick wird einem dessen spezielle Positionierung bewusst, die Sichtachsen in alle weiterführenden Räume gewährleistet und zugleich dem schmalen Korridorbereich Weite und Offenheit verleiht. Ein weiterer Unterschied lässt sich im Detail finden: Demnach findet sich im rechten Zwillingsbau das Kreismotiv selbst in den Lehni-Leuchten von Georg Gisel wieder, die passend zu dem wiederkehrenden formalen Thema einen ebenso runden Schattenwurf auf den Decken und Wänden gewährleisten. 

Symbolisch
Die Vielfalt im Gleichen zeigt somit der Zwillingsbau im Fricktal auf und bestätigt damit, dass die inneren Werte eine übergeordnete Rolle spielen. Wenn auch dem gleichnamigen Sternzeichen eine gewisse Oberflächlichkeit nachgesagt wird, ist gerade hier ein Blick hinter die Fassade definitiv zu empfehlen und diese Eigenschaft somit lediglich auf die Kombination verschiedener Materialien umzumünzen. Zugleich wird bei ebenjenem direkten Vergleich nur zu gut ersichtlich, dass Architektur mehr als die gebauten Wände umfasst und vor allem der Einfluss von Farben und Materialien sowie der Bewohner die endgültige Wirkung mitbestimmt. Denn selbst wenn gewisse Rahmenbedingungen vorgegeben sind und werden, können bereits kleine Änderungen im Detail sowie feine Nuancen letztlich einen grossen Einfluss auf die Wahrnehmung haben. Ob vielseitiger Zwilling, individueller Wassermann oder vor Kraft strotzender Schütze – in vielerlei Hinsicht ist hier alles passend und ist dabei zugleich eine Sache der individuellen Auslegung. Genauso wie es sich mit der Interpretation von Sternzeichen verhält.

© Archibatch

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