So spannend eine „vertikale Fabrik“ auch ist, umso seltener wird sie wohl auch umgesetzt. Als wohl eines der ersten, konsequent vertikal und nach Prämissen von Industrie 4.0 konzipierten, Produktionsgebäude der Schweiz zeigt das Projekt von Graber & Steiger Architekten für die Erweiterung des Hauptsitzes von Komax AG in Dierikon, eine unabdingbare Verdichtung auch in Industriearealen umgesetzt werden kann.
So zeigt das Komax-Gebäude bestens, wie mit räumlicher Offenheit flache Hierarchien geschossübergreifend und innovationssteigernd wirken können. Das Gebäude ist als ganzheitlich gedachtes System zur Steigerung der Nachhaltigkeit angelegt. Neben einer entsprechend ausgelegten Gebäudestruktur trägt eine technikfreie, raumhaltige Fassade wesentlich zu diesem Umstand bei. Die Produktion von High-Tech-Erzeugnissen findet in Low-Tech-Architekur eine zeitgemässe Heimat.
Vernetzter Baustein
Der Neubau von Graber & Steiger Architekten prägt durch seine stattliche Grösse und seine prominente Lage die weitere bauliche Arealentwicklung des Firmengeländes. Dementsprechend verankert er auch eine zukünftige Unternehmens- und Produktionskultur und übernimmt eine identitätsbildende Rolle. Ein mehrgeschossiges kubisches Volumen entwickelt sich in die Höhe und zeigt sich als neuen Hauptbaustein in der Gesamtanlage. Das nicht unerhebliche Raumprogramm, welches auf einer limitierten Grundfläche untergebracht werden musste, bestimmt im Wesentlichen die Dimension des Entwurfs. In seiner Höhenentwicklung, die den Bestand überragt, markiert das Volumen im Quartier und zum benachbarten Gleisfeld Präsenz.
Klimaunterstützender Low Tech-Ansatz
Gebäudegeometrie, räumliche Formulierung und Konstruktion des Neubaus sind so angelegt, dass sie energetischen und klimatischen Themen wie natürlicher Belüftung- und Belichtung, sommerlichem Wärmeschutz oder Nachauskühlung primär mit räumlich-architektonischen Mitteln Rechnung tragen. Diese vorteilhafte Ausgangslage ermöglichte einen angemessenen und zurückhaltenden Einsatz von Gebäudetechnik. In der Grundkonstellation des Gebäudes sind hierfür die massive Grundstruktur und der Innenhof von zentraler Bedeutung. Als grosser Lichtspender beleuchtet dieser die üblicherweise dunklen Innenzonen und einem grossen Kamin gleich kurbelt er die natürliche Belüftung an. Insbesondere stellt die auf einem Low-Tech-Ansatz basierende, 2-schichtige, begehbare Fassade einen wesentlichen Beitrag zur Nachhaltigkeit bei.
Wandelbarer Werkplatz
Neben ortsbaulichen Überlegungen sind in hohem Masse inhaltliche und funktionale Aspekte für die räumliche Gliederung des Entwurfs verantwortlich. Inhaltliche Themen wie die Förderung der täglichen Zusammenarbeit und der Austausch unter den Mitarbeitern in Produktion, Forschung, Entwicklung und Vertrieb stehen im Zentrum der architektonischen Recherche. Anforderungen an eine hohe Nutzungsflexibilität der einzelnen Räume, der Wunsch nach möglichst frei anpassbaren Medienerschliessungen sowie nach leistungsfähigen Horizontal- und Vertikalverbindungen für den Waren- und Personenfluss sind entwurfsbestimmende Faktoren. Eine robuste Primärstruktur mit aufeinander gestapelten, nahtlos zusammenhängenden Geschossflächen, grosszügigen Spannweiten und kräftigen, vertikalen Kernzonen bildet die Basis des Entwurfs. Die Geschossplattformen können unterschiedlichste Nutzungen für Produktion, Entwicklung, Forschung und Administration aufnehmen. Ein Dutzend stützenfreier Hallen von ca. 12m x 54m Ausdehnung ermöglichen eine äusserst hohe Flexibilität in der Anordnung von Produktionsstrassen, Open-Space-Büros und Spezialräumen. Der Einbau von kleineren Räumen wie Werkstattbüros, Besprechungsräume etc. erfolgt in einer Sekundärstruktur, die die langfristige Nutzungsflexibilität des Gebäudes nicht beschneidet.
Im Herzen des Gebäudes eingeschrieben, liegt ein grosszügiges Atrium, das als innere Lichtung das Gebäude strukturiert und es mit natürlichem Licht versorgt. In seiner geschossübergreifenden Vertikalität verbindet es die Produktions- ebenen räumlich miteinander, womit hohe innere Transparenz und Porosität erreicht wird. Der Austausch und die Kommunikation unter den einzelnen Abteilungen werden auch über Stockwerke hinweg massgeblich gefördert, die parallel auf unterschiedlichen Geschossen laufenden Prozesse werden sichtbar gemacht. Kräftige, baumartige Kerne beherbergen Hebemittel für den effizienten Warenfluss und bilden gleichsam die Wirbelsäulen für die Medienerschliessungen.
Raumwirksame Tragstruktur
Die Tragstruktur folgt der Logik der Raum- und Infrastruktur. Das ca. 55 m lange und ca. 50 m breite Gebäude weist eine robuste und nachhaltige Tragstruktur in Massivbauweise auf, welche ein langlebiges Gerüst für die sich mit den betrieblichen Entwicklungen stetig wandelnden Ein- und Ausbauten darstellt. Die beiden in Gebäudelängsrichtung mittig angeordneten Kernreihen bilden das Rückgrat der Tragstruktur und sind zusammen mit den an den Fassadenrändern angeordneten Stützen verantwortlich für die Abtragung der vertikalen Kräfte aus Eigenlasten und vergleichsweise sehr hohen Nutzlasten von bis zu 20 kN/m2. Sowohl aus den Kernen als auch aus den Randstützen entwickeln sich an der Deckenuntersicht massive Betonkonsolen, welche zur Erleichterung der Führung der Gebäudetechnikleitungen von der Decke abgesetzt sind und lediglich an ihren Enden punktuelle Auflagernocken aufweisen. Damit wird trotz erheblichen Raumbreiten von 12 m eine Reduktion der Deckenspannweiten auf wirtschaftliche 8.5 m erzielt. Die Platten des sechsstöckigen Gebäudes werden kostenneutral vorgespannt.
Fassade als Hängewerk
Das bauartige Tragwerk der Primärstruktur verästelt sich nicht nur gegen die Innenräume, sondern greift im Dachgeschoss auch nach aussen aus. Von diesen Konsolen sind die Veranda-Fassaden als Hängewerke abgependelt. Zum einen kann dadurch die Lastabtragung über feine Zugelemente erfolgen, welche den Ausblick ins Freie und den Lichteintrag maximal halten. Zum anderen kann das Erdgeschoss im Bereich des Warenumschlages vollständig stützenfrei gehalten werden, womit die LKW’s ungehindert manövrieren und andocken können. Auch über der Terrasse im 1.OG entsteht ein stützenfrei überdeckter Aufenthaltsbereich, der flexibel genutzt werden kann.
© Dominique Marc Wehrli