Von der Idee in die Realität: Mit dem Konzept der Stapelung unterschiedlichster Wohneinheiten leisten Bauart Architekten und Planer einen wichtigen Beitrag zur Belebung und Attraktivierung des Quartiers entlang der Berner Eigerstrasse. Hierfür haben sie am westlichen Brückenkopf der Monbijoubrücke das ehemalige Bürohaus des Gaswerkareals in ein designstarkes Wohnhaus mit Kleinwohnungen verschiedenster Grössen sowie Lofts umgewandelt. Zudem konnte dank der umfangreichen Sanierung der markante zwölfstöckige Bau grossteils erhalten bleiben, zieht jedoch mit seinem neuen, modernen Farbkonzept die Blicke auf sich und präsentiert sich neuerdings als mondäne Schnittstelle verschiedener Quartiere in Zentrumsnähe.
Bereits seit 1964 markiert der zwölfstöckige Betonbau den westlichen Brückenkopf entlang der Berner Verkehrsachse über die Monbijoubrücke – sowohl auf horizontaler als auch vertikaler Ebene. Denn abseits der Kantonsstrasse spielt dieser Ort aufgrund der dortigen Liftanlage auch für Fussgänger und Velofahrer eine bedeutende Rolle, die einen barrierefreien Zugang zum Niveau der darunter verlaufenden Aare und von deren Naherholungsgebiet ermöglicht. Doch trotz dieser besonderen Lage mit der unmittelbaren Nähe zum grünen Stadtraum säumten bis im Herbst 2019 lediglich Bürokomplexe die Eigerstrasse. Demnach beherbergte auch das Gebäude Eigerstrasse 73 bis zu diesem Zeitpunkt die Räumlichkeiten des kantonalen Amts für Migration und Personenstand und schöpfte dabei bei weitem seine architektonischen sowie gesellschaftlichen Qualitäten nicht aus. Eben jene Vorzüge wollten die Eigentümer, ein Geschwistertrio aus Bern, nutzen und in einem neuen Konzept für das bestehende Gebäude zur Geltung bringen – ein Vorhaben, das sie als Direktauftrag in die Hand der lokalen Architekten von Bauart gelegt haben. Bereits 2014 wurden diese eingeladen, um an einer Testplanung des gesamten Gaswerkareals mitzuwirken. Dabei beinhaltete deren Idee bereits die Umnutzung des Brückenkopfbaus – weg vom Gewerbebau hin zum Wohnhochhaus mit 19 verschiedenen Wohntypologien –, um letztlich eine verbesserte Quartiervernetzung zu etablieren. Bevor jedoch endgültig mit der Revitalisierung gestartet werden konnte, musste der Umgang mit dem Baubestand geklärt werden. Hierfür wurde die Fassade partiell demontiert und deren Zustand gemeinsam mit einem Bauphysiker umfangreich analysiert. Schlussendlich musste die Fassade aufgrund ihrer schlechten Beschaffenheit einer neuen Gebäudehülle weichen. Demzufolge wurde der typische Stützen-/Plattenbau auf seinen Rohbau zurückgebaut, mit einer neuen Fassade umhüllt, im Inneren mittels Leichtbau umgebaut und die 60er-Jahre-Architektur über die frei gestellten Stützen sowie die frei stehenden, nicht tragenden Wände beibehalten.
Auf ganzer Linie
So erfuhr der Bau im Zuge der Umnutzung gleichzeitig eine Umgestaltung, die sich sowohl innen als auch aussen zeigt. Angelehnt an die vorherige Gestaltungssprache – die heute im gegenüberliegenden Gebäude immer noch zu finden ist –, lebt die neu gestaltete Fassade ebenso von markanten Farbfeldern, rhythmisierenden Rahmenelementen sowie von einer klaren Struktur. Dabei wurde das vorherige Dunkelgrün der Brüstungen gegen ein elegantes Dunkelviolett für die Stoffstoren ausgetauscht, die von einem goldfarbenen Pfosten-Riegel-System aus anodisiertem Aluminium umrahmt werden. Kontrast hierzu bieten die beweglichen Fassadenelemente in einem dunkleren Kupferton sowie die horizontalen Bänder aus einem silber schimmernden Zickzackblech. Letztere sind mit zunehmender Gebäudehöhe schmaler ausgeführt: Mit den insgesamt drei verschiedenen Brüstungshöhen beziehen die Planer die Umgebung und die Lage in ihren Entwurf mit ein und reagieren mit diesen scheinbar feinen Anpassungen auf Anforderungen hinsichtlich Lärm- oder auch Sichtschutz. Entsprechend dieser gestalterischen Massnahme betont die Neugestaltung der Gebäudehülle nun vielmehr die Horizontalen, während die bisherige vertikale Gliederung die kleinteilige Raumaufteilung der Büroflächen widerspiegelte.
Innen wie aussen
Demzufolge lassen sich der Strukturwandel sowie die neue Nutzung von aussen bereits erahnen: Seit der Revitalisierung des Baus aus den 60er-Jahren bespielen nun grossflächigere Räumlichkeiten die Geschossflächen. Dabei wurde nicht nur in den sechs Obergeschossen Wohnraum geschaffen, sondern auch grosszügige Wohneinheiten unterhalb des Niveaus der Eigerstrasse realisiert. So befinden sich neuerdings in den fünf – vermeintlich unterirdischen – Geschossen in Richtung des Sulgenau-Zugangs und angrenzend an die fünfstöckige Garage sechs grosse Lofts für Ein- und Zweipersonenhaushalte mit einer Fläche von 110 bis 130 m2. In diesen fünf Etagen wurde zugleich die Fassade um 2,5 m zurückversetzt, sodass sich zwischen den bestehenden Betonpfeilern und der neuen Gebäudehülle private Loggiaflächen eröffnen. Einen Übergang zwischen den offenen Loftwohnungen und sozusagen oberirdischen Wohnungen oberhalb des Brückenniveaus schafft das Erdgeschoss auf der Höhe der Eigerstrasse, das darüber hinaus einen Bruch mit der Wohnnutzung des Gebäudes und eine Auflockerung des Nutzungsprogramms erzeugt. Dort nimmt der Bau neben einem Architekturbüro auch ein öffentliches Gastronomielokal inklusive Co-Working sowie einen weiteren Gewerberaum auf und soll den Austausch sowie das Leben im Quartier zusätzlich ankurbeln. In den darüber liegenden sechs Etagen des ehemaligen Bürokomplexes finden sich neuerdings 13 Studiowohnungen, die bis ins sechste Stockwerk mit grösseren 2,5- bis 3,5-Zimmer-Wohnungen ergänzt werden – ein breites Angebot von 33 bis 93 m² Wohnfläche steht somit zur Wahl. Doch nicht nur die Wohnfläche der über 50 Wohneinheiten nimmt nach oben hin zu, sondern dank unterschiedlicher Ausrichtung und Verortung können diese auch mit verschiedensten Aussichten und Qualitäten glänzen. So ist in den unteren Geschossen das urbane Treiben deutlicher zu spüren, während die oberen Etagen mit einer bestechenden Weitsicht vom Bundeshaus über die Berner Alpen bis hin zum Gurten bestechen.
Alles in Form
Der Haupteingang des neu gestalteten Gebäudes befindet sich direkt an der Eigerstrasse, wo die rückversetzte Glasfassade sich im abgetrennten Foyer fortsetzt. Analog zur äusseren Kubatur ist auch der Windfang mit den Briefkästen rechteckig ausgebildet, sodass das angrenzende, offene Atrium im Zentrum des rechteckigen Baus einen unerwarteten Wandel in der Formensprache präsentiert. Ganz nach dem Motto „das Runde muss ins Eckige“ windet sich neben der zentralen Liftanlage das neu gestaltete Treppenhaus nach oben und wird zuoberst wortwörtlich vom kreisrunden Oberlicht abgerundet. Dabei wurde die Erschliessung samt Oberlicht nicht völlig willkürlich gesetzt, sondern ist dem beinahe quadratischen Raster des Grundrisses geschuldet. Während dieses Schema im Querlauf etwas schmaler ist, lässt sich darin folglich ein Kreuz ausmachen, in dessen Vierung das Atrium gesetzt wurde. Natürlich ausgeleuchtet vom Tageslicht, bricht das offene Atrium alle Stockwerke auf und erlaubt somit Blickbeziehungen – beinahe ungehindert – vom Erdgeschoss bis in das Dachgeschoss. Ein architektonischer Eingriff, der die Planer brandschutztechnisch vor Herausforderungen stellte: Um das offene Treppenhaus in diesem Hochhaus umsetzen zu können, musste hierfür die bestehende Treppe ab dem Parterre entfernt und in die Gebäudemitte versetzt wieder neu eingebaut werden. Diese vermeintlich gestalterische Notlösung generierte vermietbare Flächen an der Fassade, schuf die notwendigen Brandabschnitte sowie Fluchtwege und führte dabei unweigerlich zu dem unverkennbaren Atrium. Eindruck hinterlassen in diesem roh belassenen Innenraum zudem die dunkelblaue Tapete mit feinen, geometrischen Mustern im Treppenhaus sowie die mit einer schwarzen Vinyltapete gestaltete Liftanlage – farbige Akzente zur ansonsten hellen Betonmauer im Inneren.
Materialität in den Wohnungen
Dieser abgestimmte, klare und vor allem starke Designwille setzt sich auch innerhalb der Wohnungen fort: Moderne und dennoch elegante Farbvarianten, weitgehend roh belassene Materialien, die gut durchdachten Grundrisse sowie die frei gestellten Betonsäulen bieten innerhalb der über 50 unterschiedlichen Wohnungen ein urbanes Lebensgefühl. Farbige Küchenfronten in dezenten Grau-/Blautönen sowie auffallende Lampen und diverse Kunstobjekte umspielen die rohen Sichtbetonwände und unterstreichen den Loftcharakter der Wohnungen. Für ein harmonisches Wohngefühl in diesen – sowie für einen haptischen Kontrast zu den Betonwänden – sorgen hier nicht nur die verbauten Holzelemente im gesamten Wohnbereich, sondern auch die hölzernen Abdeckungen und Vorhangschienen der grossflächigen Fensterbänder. In den oberen Geschossen können diese zugleich als zusätzliche Sitz- und Abstellfläche genutzt werden. Gleichzeitig gewährleistet die kluge Raumteilung und -aufteilung, die mittels platzsparender Schiebetüren und eines Einbauschranks geschieht, eine überaus grosszügige Raumatmosphäre. Mit diesem Entwurfskonzept schaffen die Architekten im Grundriss eine Art Rundgang durch die Wohnungen, die dank der fast 3 m hohen Wohnräume zusätzlich an Weite gewinnen. Etwas anders wurde die Raumtrennung in den grossen Loftwohnungen umgesetzt: Anstelle von Holztrennwänden grenzen hier lediglich Polycarbonatplatten die Sanitärräume auf der Rückseite der zentralen Küchenzeile ab. Dabei garantieren sie aufgrund ihrer diffusen Transparenz einerseits genügend Privatsphäre und ermöglichen andererseits eine dezente Ausleuchtung des umliegenden Aussenraums sowie spannende Licht-und-Schatten-Spiele. So wird hier im wahrsten Sinne des Wortes aus dem klassischen Schwarz-Weiss-Denken ausgebrochen – ein Kontrast, der auch an den hell gestrichenen Wänden der Lofts zu finden ist. Demnach setzen schwarze Steckdosen sowie Lichtschalter punktuelle Akzente an den hell gestrichenen, dennoch unverputzten Wänden.
Erweiterte Lebensqualität
Auch in Bezug auf die Differenzierung zwischen Meins und Deins sollte mittels zwei neuer, öffentlicher Treffpunkte für die Mieterschaft dieses klassische Schwarz-Weiss-Denken abgeschwächt und der Austausch untereinander gefördert werden. Während auf der gemeinschaftlichen Dachterrasse mit eigener Outdoorküche, Loungebereich sowie der Möglichkeit für Urban Gardening gelacht, gelebt und gefeiert werden kann, bietet zudem der mit Tageslicht ausgeleuchtete Waschsalon am unteren Sulgenau-Zugang einen Ort der Begegnung. Umrahmt wird das urbane Wohnangebot zusätzlich von den unzähligen Freizeitmöglichkeiten direkt vor der Haustür bzw. vielmehr direkt neben der Wohnung. Nicht nur die Nähe zur Innenstadt, zum grünen Naherholungsgebiet entlang der Aare oder auch die gute Verkehrsanbindung, sondern obendrein das bestehende Angebot eines Lebensmittelladens sowie eines Fitness-, Tanz- und Bowlingscenters – ohne dafür den Gebäudekomplex verlassen zu müssen – sprechen für das Projekt „Brückenkopf“. Eine Marke, die künftig weiter etabliert werden und den ersten Schritt in Richtung des „Urban Living“-Konzepts machen soll. „I want a big city life with small town stories“ beschreibt wohl das gross gedachte Vorhaben im Schnittpunkt kleinteiliger Strukturen am besten.
©Ruedi Walti