Am Fusse des Uetlibergs bilden rund fünfzehn Bauten eine kleine Weilerzone im Reppischtal, die sich formal alle am landwirtschaftlichen Kontext ihrer Umgebung orientieren. Inmitten dieser Idylle und Homogenität bettet sich der Neubau des Architekten Boris Egli völlig selbstverständlich ein: In seiner äusseren Erscheinung an die Nachbarbauten angelehnt, verbirgt sich in dessen Innerem hingegen ein völlig unerwartetes Raumkonzept, das mit der Tradition klassischer Stockwerke bricht und den Wohnraum folglich zur erlebnisreichen Wunderkammer werden lässt.
Viel zu oft wird gradlinig gedacht; immer wieder begegnet man vereinzelten Querdenkern und ein gelegentliches Um-die-Ecke-Denken bereichert zwischendurch unser Leben. Doch nur wenige beherrschen das dreidimensionale Denken, die perfekte Kombination dieser drei Denkweisen, wie es der technische Zeichner, Luftfahrzeugtechniker und Buchautor Siegfried Wache auf den Punkt gebracht hat. Und genau jene Fähigkeit des kombinierten, räumlichen Denkens hat der neuen Wohnscheune im Reppischtal ihren ganz besonderen Charakter verliehen und sie auf den ersten Blich zur unscheinbaren Box voller Überraschungen letztlich werden lassen.
Auf die Nachbarschaft
Ganz ohne querzudenken lässt sich hingegen das Motiv der Wohnscheune erläutern: Denn um Neues in eine bestehende Struktur einzufügen, ohne dabei an Kohärenz einbüssen und komplett mit dem umgebenden Kontext brechen zu müssen, bedeutete für den Architekten Boris Egli, sich mit dem architektonischen Umfeld genauestens auseinandersetzen. Inspiration für seinen Neubau holte er sich somit von einer der benachbarten Holzscheunen, deren Archetyp der Scheune – wenn auch in einer Neuinterpretierung – in Anbetracht des ländlichen Motivs der gesamten Umgebung die passende Architektursprache eröffnete. Das neugebaute Einfamilienhaus fügt sich demnach mit einer absoluten Selbstverständlichkeit in den bestehenden Kontext der gebauten Landschaft sowie in das abfallende, unberührte Gelände des Hanges ein, in welches es ohne jegliche Abgrabungen und Aufschüttungen dem natürlichen Terrain folgt. So ergänzt der kompakte, formstarke Baukörper sehr respektvoll, aber dennoch mit einem gesunden Selbstbewusstsein das homogene Ensemble des Weilers am Fusse des Uetlibergs. Äusserlich geprägt von Einfachheit, einer simplen Geometrie und klaren Linien, eröffnet deren perfekte Kombination weitaus mehr Überraschungen als auf den ersten Blick gedacht und manifestiert wortwörtlich das räumliche Denken.
Einheitliches Bild
So zeigt sich die Liebe zum Detail auch erst beim zweiten Blick, kann hingegen jedoch bereits von aussen in der aus dunkelbraun lasiertem Fichtenholz bestehenden Aussenhülle wahrgenommen werden. Denn die Bretter des massiv wirkenden Holzkleides, das genau genommen verkehrt herum montiert wurde und demnach die grobe Innenseite der Holzbretter zeigt, wurden Stoss an Stoss an die Unterkonstruktion befestigt und dabei genau in diesen kaum wahrnehmbaren Fugen verschraubt, sodass von aussen keine Befestigungsmale erkennbar sind. Elegant und überaus unauffällig wurde im Weiteren auch die Dachentwässerung gelöst, und keine Standardfallrohre in die Fassade integriert, um das ebenmässige Erscheinungsbild des Wohnhauses in keiner Weise zu unterbrechen: Sowohl die Dachziegel als auch die Fassade gehen hierfür Ton in Ton über, wofür die Traufkante hinter der scheinbar schwebenden Regenrinne im ebenfalls gleichen Farbton verschleiert wird. Hierfür wurde ein einfacher Stahlträger zum ungewöhnlichen, aber voll funktionsfähigen, designstarken Abfluss umfunktioniert, der das Regenwasser in Richtung des vorbeifliessenden Baches ableitet, wo es ohne Fallrohr in einem Kiesbett versickert. Selbst für das eigenständige Garagengebäude wurde an einer unauffälligen Entwässerung getüftelt: Im Gegensatz zum Wohnhaus wurde dieses in Sichtbeton realisiert, es gräbt sich zur Hälfte ins abfallende Grundstück und präsentiert sich ebenfalls wie das Wohnhaus mit einem charakteristischen Giebeldach. Auch hier wurde auf eine klassische Regenrinne verzichtet und anstelle dieser eine Nische mit dem nötigen Gefälle direkt in die Dachfläche mitbetoniert und mit Flüssigkunststoff versiegelt – somit ist die Entwässerung lediglich durch einen Blick von oben auszumachen. Doch nicht nur in diesen kleinen, aber feinen Details sowie der ausdrucksstarken Dachform finden sich Analogien zwischen diesen Bauten, sondern trotz der unterschiedlichen Materialität auch in deren Optik: Hierfür wurde die frei stehende Sichtbeton-Doppelgarage mit derselben Holzschalung wie die Hausfassade geschalt, sodass die schwarzbraun beschichteten Betonflächen mit der gleichen Maserung versehen wurden.
Spuren hinterlassen
Das Spiel mit den beiden Materialien Holz und Beton ist jedoch nicht nur im äusseren Erscheinungsbild des Gebäudepaares ein Thema, sondern bekommt vor allem im Innenraum der Wohnscheune eine weitere, noch grössere Bedeutung und Präsenz zugeschrieben – wenn auch hier in eher umgekehrter Gewichtung das Holz zum schmückenden Element wird. Für den charakteristischen Verputz wurde projektspezifisch und interdisziplinär ein Gemisch aus Quarzsand, Kalk und Weisszement erarbeitet, welches mit mineralischen, grauen Pigmenten eingefärbt wurde und sich nun harmonisch mit den roh sichtbar belassenen Betonbodenplatten zusammenfügt. Um den nun sichtbaren und von Dynamik geprägten Effekt an den Wänden zu bekommen, wurde das Gemisch vom Gipser zweimal „Nass in Nass“ aufgetragen und ähnlich einer Freskotechnik verarbeitet und geglättet. Dabei wurden der zweiten Schicht unregelmässig von Hand mineralische, schwarze Pigmente beigemischt, wobei je nach handwerklicher Verarbeitung die Ergebnisse schlussendlich unterschiedlich ausfielen. Doch trotz ihrer besonderen Oberfläche stellen die verputzten Wände als farblich neutrale Präsentationsflächen die sorgfältig ausgewählten, alten Holzmöbel und Altholzeinbauten in den Vordergrund und wahrlich in Szene. Sodass in Kombination mit den bedacht, aber sparsam platzierten Möbelstücken nicht nur einmalige Akzente gesetzt wurden, sondern entgegen der Befürchtung, Einbussen hinsichtlich der wohnlichen Raumatmosphäre hinnehmen zu müssen, erst recht eine einladende Behaglichkeit in den Wohnräumen geschaffen wurde. Ein haptisches sowie farbliches Kontrastprogramm zu den einheitlichen Wänden setzen zudem die grob wirkenden, rahmenlosen Türblätter aus Altholz, deren Griff als gut getarnter Versatz in der Fläche integriert wurde, sowie die ebenfalls gleichen Küchenfronten.
Verschachtelt und gestapelt
Doch nicht nur hinsichtlich der kontrastreichen Materialwahl ist das Projekt von Gegensätzen geprägt: Wie schon erwähnt überrascht der von aussen sehr kompakte und simpel wirkende Baukörper mit einem komplett konträren Programm und ebensolcher Architektursprache im Inneren. Denn hier eröffnet sich dem Besucher scheinbar ein dreidimensionales Labyrinth aus Raumboxen, die vielmehr als Skulptur bzw. als positives Raumvolumen den geräumigen Luftraum im Gebäude bespielen. Denkt man nun die primäre Funktion der „Schüür“ als Lagerraum sowie als Arbeits- und Werkraum für die landwirtschaftliche Produktion weiter, so erscheint im übertragenen Sinne das Aufeinanderstapeln der einzelnen Funktionen als geschlossene Räume im Inneren des Neubaus auch weniger abwegig. Zugleich wird der Weg durch die aneinander- und übereinandergefügten Räume wahrlich zur räumlichen Entdeckungsreise, weniger über klassische Erschliessungsflächen von Raum zu Raum, wurde vielmehr in die Überschneidungen der Raumboxen integriert und hätte demnach nicht als Extrafläche zu der Wohnfläche addiert oder sogar von ihr subtrahiert werden müssen. Gleichzeitig sind die einzelnen Etagen durch ein Spiel mit verschiedenen Ebenen, Höhen und Niveaus geprägt, das damit das abfallende Terrain der Bauparzelle auch im Innenraum übernimmt und dadurch die Wechselwirkung zwischen innen und aussen in einer anderen Facette zum Thema werden lässt und die Dreidimensionalität der Skulptur im Inneren zusätzlich unterstreicht. Das vermeintliche Rückgrat der räumlichen Skulptur bildet das versteckte, minimal gehaltene Treppenhaus im Brennpunkt der Raumboxen, das sich ebenfalls in grauem Aufputz, ausgeleuchtet mit bündig in die Wand integrierten Lichtspots und mit gebogenen Bewehrungseisen als Handläufen zeigt. Dabei öffnet sich dieser kompakte Aufgang immer wieder, führt über kleine Stege zu den im grosszügigen Luftraum platzierten Raumkuben oder wird durch Aussparungen und Durchbrüche selbst zum inszenierten Aufenthalts- und Begegnungsort mit einmaligen räumlichen Qualitäten.
Qualität und Quantität
Diese bewusste Inszenierung rückt dabei bereits beim Betreten des Hauses in den Mittelpunkt und startet im gebäudehohen Eingangsbereich, von wo aus zu beiden Seiten der Weg weiter zu den offenen Wohnräumen führt. Steigt man so auf der rechten Seite wenige Treppenabsätze hinab, eröffnet sich erneut ein zweigeschossiger Raum, der die Küche mit einer Kücheninsel und einem einladenden Esstisch aufnimmt. Der eingeschlagene Weg gegen den Uhrzeigersinn rund ums Treppenhaus führt weiter ins Wohnzimmer, das erneut auf dem Niveau des Eingangsbereichs platziert ist – Innentüren sucht man dabei jedoch vergeblich. Im Schatten des Uetlibergs führt ein schmaler Korridor zurück zum Eingangsbereich, von wo aus der Weg eine Etage höher eingeschlagen werden kann. Im ersten Obergeschoss reihen sich dabei die privateren Rückzugsorte aneinander: Ein an eine Galerie erinnerndes, offenes Arbeitszimmer, ein Lesezimmer, das private Badezimmer mit begehbarer Dusche und das Schlafzimmer samt Ankleideraum und einer Badewanne mit einem freien Blick auf den Uetliberg orientieren sich jeweils in Richtung der Hausecken. Um auch hier die Kontinuität des Raumgefüges zu wahren, wurden Innentüren weitgehendst ausgespart bzw. als gut versteckte Schiebetüren – wie bspw. im Schlafzimmer – integriert sowie mit Wanddurchbrüchen und Öffnungen die Räume durch Blickbezüge in Beziehung miteinander gestellt. So gewährt unter anderem eine grosszügige Glasscheibe im Badezimmer spannende Ein- als auch Ausblicke und garantiert zudem eine zusätzliche Beleuchtung sowie ein grosszügiges Raumgefühl. Darüber hinaus kann von der ersten Etage aus auch das Familienleben in der Küche verfolgt werden sowie über ein negatives Volumen mit Oberlicht neben dem Bad der Sternenhimmel erspäht oder auch hinab in Richtung des Wohnzimmers geschaut werden. Eine weitere besondere Perspektive eröffnet sich im Ankleidezimmer, von wo aus kann durch eine Glasscheibe in derselben Flucht der Fassadenöffnung der Blick über die sanfte Landschaft geworfen und deren Idylle förmlich aufgesaugt werden kann. Ruhe und Behaglichkeit strahlt wie im Erdgeschoss ebenso die Materialkombination mit Altholz in diesem Stockwerk aus: Eine alte Werkbank wurde zum Waschtisch umfunktioniert, vereinzelte historische Bauernschränke zieren die Räume, bewusst gewählte Holzeinbauten setzen Akzente, und Fundstücke wie alte Turnringe finden als Handtuchhalter wieder Gebrauch. Diese gestalterischen Raffinessen ziehen sich dabei bis unter den Giebel fort: Ein letztes Mal führt die Treppe ein Stockwerk höher in einen einladenden Aufenthaltsraum, der mit architektonischen Details wie den als Rückenlehne genutzten schrägen Aussenwänden und ebenfalls einmaligen Aussichten begeistert. Während durch das südseitige, grosse Fenster der Blick über den Bach hinweg schweifen kann, kann auf der gegenüberliegenden Seite hinunter in den Eingangsbereich gespäht werden, wodurch man sich am Ende des Rundgangs in gewisser Weise doch wieder an dessen Anfang wiederfindet. All diese durchdachten und sorgfältig geplanten Kleinigkeiten ergänzen das Innenraumwunder von A bis Z zusätzlich und räumen neben dessen grosszügigen Lufträumen weitere Qualitäten ein. Letztere werden dabei viel weniger als verlorene Wohnfläche wahrgenommen, sondern eröffnen vielmehr versteckte Nischen und Kammern, die die räumlichen Attribute enorm durch Grosszügigkeit und Geräumigkeit aufwerten.
Tiefe Blicke
Abseits von all diesen räumlichen Besonderheiten lebt die skulpturale Raumkonfiguration vor allem von ihren unterschiedlichen Raumtiefen, die durch (Fenster-)Öffnungen, Schattenwurf und insbesondere durch ihre Beleuchtung unterstrichen werden und dadurch an zusätzlicher Lebendigkeit gewinnen. Unter anderem spielen eben hierin die sparsam, aber dafür umso bewusster platzierten, grossen und grösstenteils festverglasten Fensterfronten eine grosse Rolle: So öffnet seitens der Strasse als auch dem Wald zugewandt jeweils eine Fensterfront beinahe über die komplette Gebäudeseite die dunkelbraune Fassade und nimmt zugleich die Terrassenzugänge auf. Vor allem in Richtung der Zufahrtsstrasse begeistert der vorgelagerte Aussenraum mit einer enormen Grosszügigkeit, der dank grosser Schiebetore vom offenen Aufenthaltsbereich wortwörtlich zum eher geschlosseneren und privaten „Wohnraum“ mit Wintergarten-Charakter gewandelt werden kann. Selbst im geschlossenen Zustand gewährt die nicht komplett Stoss an Stoss gefügte Lattung der Schiebetore dabei von innen nach aussen dezente Ausblicke und lässt Lichtstrahlen einfallen, während in umgekehrter Richtung die Hülle komplett blickdicht erscheint. Auch bei den weiteren grossen Fensterflächen, die trotz verschiedener Ausmasse immer das gleiche Verhältnis in der Diagonale aufweisen, kommen die prägnanten Schiebetore als Sonnen- und Sichtschutz zum Einsatz und greifen dabei formal gleichzeitig optisch das Thema der „Schüür“ auf.
Schattenspiele
Neben den zahlreichen, einmaligen Blickbezügen in die Weite der umgebenden Landschaft, sind insbesondere jene im Inneren des Neubaus ein wesentliches, architektonisches Motiv, das mit einem exakt geplanten Beleuchtungskonzept unterstrichen wird. Denn abseits des natürlichen Schattenwurfs im Verlauf des Tages und je nach Beschattung bzw. Öffnung der grossen Fensterflächen, werden die geräumigen Lufträume von sehr dekorativen Lampen bespielt, die nicht nur sanftes Licht auf den Putz werfen sondern diesen zugleich mit einmaligen Schattenmustern bespielen. So entstehen geometrische Muster an den Wänden, die die Volumen neu erfahrbar werden lassen, weitere besondere Highlights schaffen und enorm zum Wohlfühlfaktor in den Innenräumen beitragen. Jedoch wurden diese Lampenschirme nur an ausgewählten Plätzen wie im Eingangsbereich oder der Küche platziert, während die Räume ansonsten über indirekten Lichteinfall von Spots oder integrierten Lichtleisten über die Wände beleuchtet werden und im gesamten Gebäude somit harter Schlagschatten umgangen wird.
Von Ecken und Kanten
Apropos umgangen: Beim ersten Besuch in der Wohnscheune kann es durchaus passieren, den einen oder anderen Weg doppelt zu beschreiten und das eigene räumliche Denken nochmals etwas schulen zu müssen. „Treppen sind sehr kompliziert, du könntest dich noch verlaufen. – In welche Richtung soll ich gehen, kann man für Treppen Karten kaufen?“ – Ein Songtext, der hier zum Programm wird und das Konzept des Raumplans in vollster Weise erfahrbar werden lässt. Verschiedene Raumhöhen, bewusst versetzte Fluchten, das kontrastreiche Spiel mit Licht und Schatten sowie Oberflächen und vor allem architektonischen Motiven bzw. Sprachen lässt das Einfamilienhaus im Reppischtal zur Wunderkammer werden. „Out of the box“ wird hier wie um die Ecke denken beim Wort genommen, spiegelt nicht nur den Gestaltungsansatz wider, sondern wird dabei voll und ganz gelebt.
© Vito Stallone
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