In der Gemeinde Frutigen im Berner Oberland bereichern altbäuerliche Wohn- bzw. verschiedene Holzbausubstanzen mit ihren typischen stilprägenden Elementen das Ortsbild. Auch der Fleckenbau, den das Thuner Architekturbüro „1899 Architekten“ im Sockelgeschoss umgestaltet und mit einem Holzannex sublim erweitert hat, erzählt von vergangenen Zeiten, von traditionellen Holzbauweisen, die einst in der Region angewendet wurden.
Geschichte (weiter-)schreiben
1938 erbaut, verfügt das Bestandshaus noch heute über die typischen feinen Verzierungen, und über ein weit ausladendes Satteldach. Im massiven Sockelgeschoss betreibt die Bauherrschaft eine Bildhauerei, ein Familienunternehmen in vierter Generation. Wohnen, Atelier, Werkstatt gehen hier über das gesamte Innere Gefüge räumlich einher. Geschichte atmet das Haus – es versprüht Bescheidenheit und Leben.
Verdichtung mit Mehrwert
Antrieb für den Um- und Anbau ist das soziale Engagement der Bauherrschaft. An die Architekten ist tritt sie mit dem unüblichen Bedürfnis heran, ihr Zuhause räumlich zu reduzieren, um den so gewonnenen Raum für Menschen, die kurzfristig eine Bleibe brauchen, nutzen zu können. Dass eine Familie die Qualität des Wohnens über Raumquantität stellt, hat den Architekten besonders gefallen: „Verdichtung mit Mehrwert – ist auch in kleinen Substanzen möglich“, betont Daniel C. Suter, der zusammen mit Bruno Stettler das Team von Architekten und Planern leitet.
Optimierte Gliederung
Die geschickt in den vorhandenen Grundriss integrierte bzw. in die bestehende Struktur eingepasste Einliegerwohnung bedingte vorab eine präzise ausgelotete Eingriffstiefe und viele Speziallösungen, um die Qualität im gesamten Geschoss – insbesondere auch mit sorgfältig entwickelter Raumfolge zwischen Bestand und Neuem – zu erhöhen. Neben der räumlichen Optimierung, Umgestaltung und Sanierung umfasst das Gesamtkonzept fürs Parterre auch die Wohnraumerweiterung mittels Annex. Dieser ersetzt den vormals angebauten Wintergarten und erhöht zugleich die Nutzbarkeit des Aussenraumes. Mitunter durch seine feindifferenzierte Befensterung und flächigen Raumgliederungen entsteht – trotz verhältnismässig kleiner Fläche – ein leichtes und grosszügiges Raumgefühl. Raumhöhe und Helligkeit des Anbaus verstärken und vermitteln dieses Gefühl auch im bestehenden Parterre.
Wohnkomfort
Mehr Wohnlichkeit war eines der Kriterien, welches den Entwurf geleitet hat. Davon zeugen etwa die Sitzfenster im Anbau. Über eine gemeinsame Diele erschliessen sich neben dem Büroraum die zwei Wohnteile für die beiden nun Platz findenden Wohnungen. Ihnen gemeinsam andienend ist auch der Putz- und Materialschrank. Der bauliche Fussabdruck des Fleckenbaus blieb durch den Eingriff unverändert. Einzig die Terrasse hat sich vergrössert zugunsten des klarer gestalteten Aussenraums und bietet der Bauherrschaft nun ein schönes „Sonnendeck“.
Innere Verdichtung
Im Holzanbau kulminiert die innere Verdichtung bzw. räumliche Komprimierung – zugleich erzählt er das neuste Kapitel in der Liegenschaftsgesichte nach aussen weiter. Durch seine Gartenposition tangiert er die ortbauliche Wirkung kaum und die Sockelbauten der gebauten Umgebung verbergen ihn zusätzlich. Um so mehr war den Architekten die volumetrische Einpassung in diesem beschränkten Raum wichtig. Volumen- und Strukturmodelle gaben Antworten innerhalb der typologischen Auseinandersetzung mit Frutigen. Was zeichnet die guten ortsprägenden Bauten aus?
In Holz gedacht
Wie auch der Haupt- oder Fleckenbau ist der Annex eine zeitgenössische Holzbauart. Jedoch entzieht er sich einer klaren bautechnischen Einordnung, ist vielmehr konstruktiv und statisch ein „Einzelprotagonist“ und konstruktiver Hybrid zwischen Rahmen-, Ständer- und Elementbau. Die Architekten denken ihn als „Möbel“, bewusst haben sie auf eine Weiterführung des Fleckenbaus verzichtet, aus konstruktiven Gründen und um die vorhandene Fassadenproportion nicht zu beeinträchtigen. Dennoch tritt der Anbau dialogisch mit dem Chalet zusammen auf. Einerseits verstärken die Fenster durch Lage und Dimension den Gesamtausdruck, andererseits über die Fassadenhaut, welche mit seiner dunklen „Yakisugi“-Fassadenhaut die von Sonne, Wind und Wetter gegerbte Chaletfassade vorwegnimmt. Bei der traditionellen japanische Methode der Holzkonservierung „Yakisugi“ wird durch leichtes Verkohlen der Holzoberfläche das Holz, ohne es zu verbrennen, durch die Karbonisierung wasserabweisend und ist somit haltbarer. Die karbonisierte Schicht schützt auch vor Insekten- und Pilzbefall. Diese Lösung erwies sich im späteren Verlauf des Entwurfs als die sinnvollste. Dabei wichtig: Dass trotz dunkler Fassade eine Fröhlichkeit wirkt – erzeugt durch die Feinheit, die Spiegelungen, durch die Einblicke ins „holzige“ Innen. Das feine, vorspringende Dach deckt die textilen Verschattungen und lässt den Anbau leicht erscheinen. Die Architekten lassen Chalet und somit gesamter Ort würdig in einem nächsten Kapitel weitergedeihen und zeigen damit das auf, was sie unter Architektur auch verstehen, das „Weitererfinden von Geschichte“.
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Text: Lukas Bonauer