Entlang des namensgebenden Sulzerbaches hat sich das Dorf Sulz im Nordosten der Region Fricktal und in nächster Nähe zur deutschen Grenze entwickelt. Inmitten des Ensembles typischer Juragiebelhäuser positioniert sich neuerdings der Ersatzneubau von Oliver Christen Architekten und vermittelt dabei den Anschein, von jeher ein Teil des bereits bestehenden Quartiers Klystadt zu sein. So geht dieses Mehrparteienhaus als bestes Vorbild voran und macht ersichtlich, wie sich baukulturelle Elemente
mit modernen Gestaltungsgesten in einer gemeinsamen Architektursprache vereinen lassen.
Als Ausgangslage zeigte sich ein baufälliges Bestandsgebäude im Nordosten des Aargauer Fricktals, das den Strassenraum mit seiner Setzung und Volumetrie platzähnlich dominierte und dem Quartier dabei passend zum Namen Klystadt – wenn auch im kleinen Massstab – einen urbanen Charakter verlieh. Die städtebauliche Bedeutung des Gebäudes wurde insbesondere von der Hauptstrasse ersichtlich und galt es, als charakteristische Qualität im Neubau weiterhin zu erhalten. Um dieses atmosphärische Gesamtbild auch künftig zu garantieren, wurde der gestalterische Fokus somit auf die Nähe zum Strassenraum, die Wohnnutzung an der Gebäudeecke sowie die überhohe Fassadenpräsenz des alten Baus im Neuentwurf beibehalten. Mit ebenjenen Gesten in der Gestaltung konnte sich das Badener Architekturbüro von Oliver Christen im geladenen Studienauftrag durchsetzen und den Neubau der Stadt Laufenburg für sich entscheiden, die mit dem Bauprojekt, im Rahmen ihres Investitionskonzepts neuen, attraktiven Wohnraum schafft.
Aus dem Kontext entwickeln
Umgeben ist dieser neu geschaffene Wohnraum von historischen Bauten im charakteristischen Stil der Juragiebelhäuser, die die unmittelbare gebaute Umgebung zeichnen: Kompakte Volumen, überlaufende Traufen, schlanke Dachränder, eine strenge und klare Fassadengliederung mit regelmässiger Befensterung sowie Faltläden prägen somit das Ortsbild von Sulz. In ihrer Setzung orientieren sich die Bauten dabei jeweils mit der traufseitigen Fassade zur Strasse hin, sind im Gegensatz zur Ortwand hier repräsentativer detailliert und nehmen zugleich auch den Hauszugang auf. Zudem ist das Erdgeschoss der Juragiebelhäuser meist als Hochparterre ausformuliert und ist als farblich differenzierter Sockelbereich in der Fassadengestaltung auszumachen. All diese prägnanten Merkmale sind auch in dem Neubau wiederzufinden, sodass er sich mit einer absoluten Selbstverständlichkeit inmitten des Bestandes eingliedert. Dennoch hat der lokale Architekt Oliver Christen die baulichen Charakteristika nicht lediglich übernommen, sondern sie vielmehr mit einer zeitgemässen Interpretation ins Hier und Jetzt transformiert. Die Orientierung zur Strasse und somit eine repräsentative Strassenfassade inklusive Zugang, die lineare Fassadengestaltung, die Ausbildung einer Ortwand, verschiedene Schleppdächer sowie ein traufseitiges Vordach und nicht zuletzt ein steinernes Erscheinungsbild sind daher auch im Neubau die prägenden Gestaltungselemente – mit moderner Note.
Mit einfachen Mitteln
Somit wurde der Neubau passend zu den massiven Juragiebelhäusern des unmittelbaren Kontexts in einem Einsteinmauerwerk konzipiert, dessen Aussenwand sich im Bereich der Fensterläden leicht verjüngt und dessen Innenwände als Backsteinwände realisiert wurden. Im gedämmten Sockelbereich mit Erdberührung wechselt die Konstruktion hingegen zu einem Zweischalenmauerwerk mit einer aussen liegenden Betonwand. Diese einfache, direkte und vor allem bewährte Konstruktionsweise punktet insbesondere mit ihrer Dauerhaftigkeit, ihrer Widerstandsfähigkeit und strahlt zugleich eine hohe Wertigkeit aus. Optisch bestimmt eine relativ strenge Fassadengliederung mit übereinander angeordneten hochrechteckigen Fenstern das Erscheinungsbild, welches von einem lockeren Umgang mit der Ausgestaltung des Fassadenputzes aufgelockert wird. Spielerisch wird die Sockelpartie überlagert, indem sich die mineralische Putzstruktur unregelmässig an der ansonsten homogenen Fassade hochzieht und in Kombination mit dem groben Kellenwurf – im Gegensatz zu den darüberliegenden Wandflächen – Varianz schafft. Die Farbigkeit der Fassade ist einheitlich in einem dezenten Beige gehalten und wird dabei grösstenteils durch das Spiel mit den unterschiedlichen Putzkörnungen und Techniken gestaltet. Gleichermassen einfach und klar wurden auch die Geländer und Brüstungen der Loggien ausgeführt, wofür ein feuerverzinkter Metallrohrrahmen mit Maschendraht bespannt wurde und für die ein dunkelgrüner Handlauf aus einem Metallwinkel die Absturzsicherung ausbildet.
Gut integriert
Doch nicht nur hinsichtlich der Materialisierung der Gebäudehülle, sondern auch durch die städtebauliche Positionierung sowie sein Erscheinungsbild greift das Mehrparteienhaus die Identität des Quartiers Klystadt auf. So orientiert sich das Wohnhaus wie sein Vorgänger erneut zum Dorf hin, sodass die Westfassade die Aufgabe der Repräsentationsseite aufnimmt. Die bachseitige Gebäudeecke wurde wie bereits zuvor überhoch ausgebildet und gewährleistet mit diesem vorspringenden Gebäudeteil weiterhin die Präsenz der Fassade. Hier schmücken überhohe Fensterpartien mit den dahinterliegenden Wohnküchen die Hauswand und täuschen zugleich eine Dreigeschossigkeit des Baus vor. Mit dieser bewussten Ausrichtung der Wohnräume zum Strassenraum hin wird ebenjener belebt, die Anonymität des urbanen Lebens minimiert und zugleich das Gefühl der dörflichen Gemeinschaft verstärkt – alles Attribute, die das Dorfleben auszeichnen. Um diesen Effekt zu verstärken, wurde zudem der Hauszugang strassenseitig aufgenommen und ein ortstypischer Gemeinschaftsgarten dem Haus vorgelagert. Dort werden die Ankommenden im wettergeschützten Einzug begrüsst, wo die Briefkästen der insgesamt acht Einheiten untergebracht sind und mit einer Eichenholzbank die dorftypische Hausbank aufgenommen wird.
Auch in seiner Firsthöhe orientiert sich der Neubau in etwa an den benachbarten Gebäuden, sodass er letztlich drei Vollgeschosse und ein ausgebautes Dachgeschoss aufnimmt. Neben dem Motiv der übereinanderliegenden Fenster zeichnet vor allem die Interpretation der Fensterläden den Neubau aus, die sich zwar am historischen Vorbild orientieren, aber dennoch anders ausformuliert wurden. So werden die Fensterpartien grossteils durch ein doppelflügliges Fenster mit beidseitigen und im offenen Zustand fassadenbündigen Fensterläden gebildet. Dabei springt die grobkörnige Fassade im Bereich der Läden leicht zurück und hinterlässt im geschlossenen Zustand ein Negativ auf der Fassade. Über die gesamte Fensterpartiebreite fasst eine Kunststeinbank aus sandgestrahltem Beton das mehrteilige Bau- und Gestaltungselement zu einem Ganzen zusammen. Auf der nordseitigen Ortwand werden die übrigen Fenster mittels gestreiften Stoffstoren verschattet, während die Südseite angrenzend zum Bach in unmittelbarer Nähe zur alten Hausmauer des Nachbarn steht und dadurch die Baukultur scheinbar zum Greifen nah erscheinen lässt.
Innenleben
Alt und Neu liegen in dem viergeschossigen Wohnhaus somit mehr als nah beieinander: Während in nächster Nähe traditionelle Einfamilienhäuser das Ortsbild bestimmen, finden in dem Ersatzneubau acht Wohneinheiten, vertikal aufeinander abgestimmt, Platz. Vom Studio bis zur 4,5-Zimmer-Wohnung bieten die Einheiten trotz ähnlichem Grundriss komplett verschiedene Qualitäten und sind mehrheitlich auch alters- und behindertengerecht organisiert. So weisen die Wohnungen im Erdgeschoss sowie die Dachgeschosswohnungen zum Teil überhohe Räume auf, wodurch gleichermassen wie durch die teils bodentiefen Fenster in den zwischenliegenden Geschossen – sogar im Badezimmer – für ein grosszügiges Raumgefühl gesorgt wird. Die Garderoben bilden jeweils den Auftakt zu den Wohnungen und sind dabei als Einbaumöbel in die Wandnischen eingebaut. In allen Wohnungen wurden auch die anthrazitfarbenen Küchen in etwa gleich organisiert, wurden einzeilig ausgebildet, deren Küchenrückwand mit länglichen grünen Fliesen geschmückt und mit einer Edelstahloberfläche zum Funkeln gebracht. Separate Reduits in allen Wohneinheiten schaffen zusätzlichen Abstellraum und bieten unter anderem auch Platz für den Waschturm.
Alles in Farbe
Abseits der Fliesen setzt die Farbe Grün noch weitere Akzente: So heben sich die Fensterrahmen – samt seitlicher Futter und Sturzbretter sowie der Vorhangschienen –, die Türen sowie auch die Sockelleisten in einem dunklen Grün von den hellen Wandflächen ab, die eher unüblich in einem hellen Grauton gestrichen wurden. Dabei fasst die umlaufende Sockelleiste im Farbkonzept die Böden, die Fensterfutter und die Türzargen optisch zu einer Einheit zusammen. Weitere Farbtupfer finden sich zudem noch in den Nasszellen, wo ebenfalls farbige, im Gegensatz zur Küche jedoch quadratische Platten gestalterische Highlights setzen. Abgerundet wird das Gesamtpaket der Grundausstattung von einem geölten Eichenparkett in Langriemenverlegung, der die Wertigkeit der Innenräume zusätzlich erhöht.
Begegnungszonen
Doch nicht nur den privaten Räumlichkeiten, sondern auch den gemeinschaftlich genutzten Flächen wurde Aufmerksamkeit geschenkt: Dezenter und schlicht, aber dennoch sehr abgestimmt zeigt sich auch das zentrale Treppenhaus, das als Zweispänner organisiert und zudem mit einem Lift erschlossen ist. Ein heller Kunststeinboden zieht sich bis zum Dachgeschoss durch das Treppenhaus und wird von roh belassenen Wänden ebenso wie Deckenuntersichten mit dem bestehenden Schalungsbild komplementiert. Als Absturzsicherung dient hier ein feingliedriges Geländer, das über die gesamte Höhe ausgebildet ist und von einem einseitig montierten Eichenholzhandlauf veredelt wird. Einfach und reduziert ist die Gestaltung jedoch nicht nur im Gebäudeinneren, sondern wird auch in den nach aussen gerichteten Freiräumen fortgeführt. Demnach zeichnen sich die ostseitigen Loggien ebenso wie der halböffentliche, vom Dachfenster ausgeleuchtete Begegnungsraum im Gebäudeinneren durch eine simple und klare Ausformulierung aus. Neben der Gestaltungssprache führen die dem Wald zugewandten Aussenräume zugleich den privaten Wohnraum im Freien fort und bieten den einzelnen Wohneinheiten dabei qualitative und geschützte Frischluftbereiche. Begrenzt werden diese von relativ massiven Betonstützen, wobei die auffälligen Betonlamellen dieser vorgesetzten, offenen Räume die Ostfassade zugleich gliedern sowie einen Bruch zur strengen strassenseitigen Erscheinung schaffen. In gewisser Weise bieten die markanten vertikalen Rippen gleichzeitig einen Sichtschutz zum angrenzenden Parkplatz sowie zu der vorgelagerten Grünfläche, die den Bewohner:innen als Gemeinschaftsfläche zur Verfügung steht.
Heute für morgen
Doch die Nachhaltigkeit findet sich in dem Mehrparteienhaus nicht nur in den Elementen wie der Grünfläche oder den haustechnischen Finessen wie einer Luft-Wasser-Wärmepumpe, sondern wird hier viel facettenreicher verstanden. Denn insbesondere die architektonische, die bau- sowie die soziokulterelle Nachhaltigkeit stehen in dem Ersatzneubau im Fokus. So wird mit der Konstruktion ein langlebiger und unterhaltsarmer Bau garantiert, der auf lange Sicht gedacht an Ressourcen spart und in diesem Sinne Effizienz verspricht. Mit einem Blick in die Zukunft wurde auch das Gesamtbild des Ortes betrachtet, in welches sich der Neubau mit seiner eigenen Interpretation von Bautraditionen und örtlichen Charakteristika wohlwollend eingliedert. Eine leider oft unterschätzte Tatsache in der Verortung, die dennoch ein überaus wichtiger Indikator für die positive Konnotation und langfristige Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung ist.
Analysieren, weiterentwickeln und individualisieren
Somit hat der Badener Architekt mit dem Wohnhaus auf mehreren Ebenen nachhaltig agiert und den Bau gleichzeitig mit seiner Handschrift versehen: Anstelle einer „Materialschlacht“ wurde sich auf eine sorgfältige Auswahl der Materialien beschränkt, der Fokus richtet sich auf hochwertige Details wie bspw. Fenster- und Türenbeschläge, und das Entwickeln spannender Räume stand im Zentrum der Gestaltung. Mit kleinen Details wurde somit bewusst die einfache Ausformulierung des Massivbaus veredelt, und gleichzeitig konnte dadurch die Auswahl der verwendeten Materialien möglichst gering gehalten werden. Darüber hinaus dient das Projekt als Vorbild, wie traditionelle Bauweisen behutsam ins Hier und Jetzt transformiert werden können – denn Neues kann durchaus Hand in Hand mit altem Bestand gehen und muss zwangsläufig als solches aus der Masse stechen.
©Rasmus Norlander
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