Qualität vor Quantität

Attraktiven Wohnraum, ein qualitatives Zuhause bei einer guten Nachbarschaft zu leistbaren Preisen stellt die WBG Gallus seit knapp 50 Jahren ihren Mitgliedern an der Eichwiesstrasse in Jona zur Verfügung. Die stetig steigende Nachfrage nach erschwinglicher Wohnfläche sowie das aktuelle Thema der Wohnraumverdichtung resultierten letztlich nun in der Erweiterung der bestehenden Wohnüberbauung „Baumwies“, wofür das lokale Architekturbüro Ziegler + Partner 2015 den Auftrag erhalten hatte und im gleichen Zuge die Sanierung der Bestandsbauten übernehmen durfte.

Im Südwesten des Kantons St. Gallen und in nächster Nähe zum Zürichsee liegt die Ortschaft Jona: Rollende Hügel, weitläufige Wiesen und ein traumhafter Ausblick auf das breite Bergpanorama vom Säntis über die Glarner Gipfel bis hin zu den Schwyzer Bergen prägen hier das Landschaftsbild. Doch nicht nur diese Idylle, sondern vielmehr auch die verkehrsgünstige Lage lassen die Gegend Rapperswil-Jona zum immer beliebteren Wohnort werden – die steigende Nachfrage nach Wohnraum spricht für sich. Genau in dieser Region stellt seit 1947 die WBG Gallus preiswerte und attraktive Mietwohnungen zur Verfügung – bisher 32 Wohneinheiten für ihre Mitglieder an der Wohnüberbauung „Baumwies“ an der Eichwiesstrasse. 1975 wurde die Siedlung in guter Gehdistanz zum Bahnhof gebaut und bestand bis vor kurzem aus zwei identen, diagonal versetzten Baukörpern in Massivbauweise. Eingebettet waren beide Wohnbauten in eine grosszügige Grünfläche, sodass dieser Freiraum in Kombination mit der Setzung der Bestandsbauten die optimale Ausnutzung der Bauparzelle förmlich vorgab – zwei weitere Bauten in diagonaler Versetzung.

Studieren und probieren
Bevor jedoch mit der Siedlungserweiterung begonnen wurde, führten die Rapperswiler Architekten von Ziegler + Partner 2015 eine Machbarkeitsstudie durch. Neben der bestmöglichen Ausnutzung des Grundstücks wurde zudem an den gestalterischen Aspekten gefeilt, um die bestehende Struktur aufzugreifen, gleichermassen fortzuführen und somit letztlich ein homogenes Quartierbild garantieren zu können. Einen wesentlichen Einfluss hat hierin die diagonale Setzung der beiden Bestandsbauten genommen, die die Anordnung der neuen Baukörper mehr oder weniger bereits vorgegeben hat. Gleichzeitig hat die charakteristische und betonte Volumetrie der beiden Wohnbauten als Vorbild für die Formensprache der neu gebauten Häuser gedient. Demnach wurden analog zum Bestand zwei Massivbauten für die Genossenschaft umgesetzt, die ebenfalls schräg versetzt und mit einer ebenso ausdrucksstarken Geometrie wie jener der bestehenden Wohnhäuser versehen wurden.

Gleich, aber anders
Durch diese formalen Gemeinsamkeiten integrieren sich die zwei, im Grundriss gestaffelten Neubauten überaus selbstverständlich in das gebaute Umfeld und reizen dabei gleichzeitig das Maximum der Nettonutzfläche komplett aus. Um die hierfür notwendigen extra Zentimeter genehmigt zu bekommen, mussten zusätzliche gestalterische Vorgaben, wie die abgestufte Ausbildung der Geschosse, eingehalten werden. So besteht das Gebäudeensemble „Baumwies“ nun aus zwei gleichen Paaren: Denn ebenso wie die beiden bestehenden Bauten bilden die neu gebauten Wohnhäuser ein identes Duo, das sich gespiegelt in das Grundstück eingefügt. Aufgrund dieser formalen Ähnlichkeiten, die dennoch leicht abgewandelt wurden, wirken die beiden Neubauten hinsichtlich ihrer äusseren Erscheinung als durchdachte Neuinterpretation der bestehenden Wohnhäuser aus den 1970er-Jahren. Hierfür spiegeln insbesondere die helleren Eckrisalite aus vorfabrizierten Betonelementen, die die gedeckten Loggien sowie die grosszügigen Eckfenster schmücken, denselben Gestaltungswillen der quartiertypischen, leicht vorstehenden Balkone wider und geben den massiven Baukuben zugleich eine auflockernde Struktur.

Rot-Grün-Schwäche
Durch ihr Farbkonzept heben sich die beiden Baukörper hingegen etwas deutlicher von der homogenen Struktur ab: Mit einem etwas gedeckteren Grundton bietet deren Mineralputzfassade einen leichten Kontrast zu den durchwegs helleren Gebäudehüllen der umliegenden Häuser und gliedert sich dennoch harmonisch in das Ensemble des Quartiers ein. So schattieren die helleren und dunkleren Graunuancen die Gebäudehülle, verleihen ihr zugleich Tiefe und verstärken dadurch ihre Skulpturalität. Farbliche Highlights und angenehme Akzente setzen dabei die additiven Elemente der neuen Bauten sowie individuelle Detaillösungen, die gleichzeitig die bestehende Farbpalette erweitern. Dabei lassen die hierfür gewählten Farbtöne Assoziationen zum Tennis entstehen – vielleicht eine Hommage an die neue Nachbarschaft mit Roger Federer. Doch zurück zur Gestaltung und zum Farbkonzept: Demnach akzentuieren die Fenster- und Türrahmen in einem gedeckten Rotton die Fassade und wurden mit perforierten Sonnenstoren in Tennisgrün kombiniert. Neben dem satten Grünton begeistert dieser Sonnenschutz jedoch mit seiner besonderen Sichtdurchlässigkeit, die auf den ersten Blick wortwörtlich nicht ins Auge sticht. Während von aussen ein vollkommener Sichtschutz gegeben ist, erlaubt die feine Perforation von innen eine beinahe uneingeschränkte Aussicht in den Aussenraum und lässt noch dezentes Tageslicht in den Innenraum fallen. Auch beim Übergang vom Aussen ins Gebäudeinnere ist die Farbe Grün im Fokus: Hier flankieren demnach gewellte Eternitplatten in einem etwas helleren Olivgrün die Windfänge der beiden Wohnhäuser und setzen somit einen Kontrast in Farbe und Materialität. Im Gegensatz zur dunkleren Fassade eröffnet sich bei Eintreten ein überaus heller Raum, der dieses feinfühlige Spiel mit Kolorierung und Oberflächen fortsetzt. So treffen im Treppenhaus Sichtbetonwände auf einen hellen, grobkörnig geschliffenen Kunststeinboden, schwarze Metallgeländer sowie ebenfalls mattrote Türrahmen und lassen im Gesamten eine einladende Atmosphäre entstehen.

Gut orientiert
Gemeinsam mit einer Liftanlage erschliesst das innen liegende Treppenhaus alle Geschosse eines jeden Baukörpers überaus effizient.  Unabhängig von ihrer Grösse besitzt eine jede Einheit – von 2,5- bis 4,5-Zimmer-Wohnungen – dabei ihren eigenen, privaten Aussenraum – ob als Sitzplatz im Parterre, einem Balkon in den darüberliegenden Stockwerken oder sogar einer eigenen Dachterrasse in den jeweiligen Attikageschossen. Zugleich profitieren alle Wohnungen von der windmühlenartigen Grundrissgestaltung: Die daraus resultierende dreiseitige Orientierung der Einheiten garantiert sowohl Morgen- als auch Abendsonne und folglich einen enorm hohen Tageslichtanteil. Zusätzlich wurden die Loggien jeweils an den Gebäudeecken angeordnet, sodass die diagonalen Blickachsen betont und der Effekt der„Durchlässigkeit“ der Wohnungen verstärkt wurde. Gleichzeitig wurden auch unnötige Erschliessungsflächen innerhalb der Einheiten vermieden, womit die Wohnungen grosszügiger und der Innenraum fliessender erscheint. Demzufolge reihen sich Entrée, das Reduit mit eigenem Waschturm, das Bade- sowie das Schlafzimmer um den lichtdurchfluteten aufgespannten Wohn-, Koch- und Essbereich, wo die Loggien in den Ecken als Aussenraum eine schöne räumliche Erweiterung des Wohnraums darstellen. Selbst im Badezimmer ist durch das Tageslichtfenster ein Bezug zum Aussenraum sowie Frischluft gewährleistet und wird durch die Duschkabine aus Strukturglas optisch vergrössert.

Starke Kombination
Neben einem hohen (Tages-)Lichtanteil zieht sich auch die fürs Projekt charakteristische Farbgebung als roter Faden durch die Innenausstattung: Dasselbe Olivgrün der Eternitplatten findet sich daher sowohl bei der Küchenzeile als auch bei der Garderobe wieder und wird zudem in den Fliesen der Nasszellen erneut aufgegriffen. Kombiniert wurde dieses dezente Grün mit hellen Bambusplatten an den Oberschränken in der Küche sowie beim Waschtisch im Badezimmer und diese punkten dort nicht nur als gestalterisches Highlight, sondern zudem mit ihrer Beständigkeit. Doch nicht nur als Mobiliar ist das asiatische Holz zu finden: In dunklerer Variante wurde der robuste Bambus als Bodenbelag gewählt, der aufgrund seines schnellen Wachstums und seiner enormen Beständigkeit den Faktor der Regionalität hinsichtlich des Nachhaltigkeitsthemas wieder ausgleicht. Neben dieser Materialwahl war auch die Entscheidung der Bauherrschaft in Bezug auf die Arbeitsplatte der Küche eher überraschend, die eine Dektonplatte der günstigeren Variante der Architekten vorzog. Mit ihrer hohen Kratzfestigkeit, ihrer Beständigkeit gegen Flecken und ihrer allgemeinen Unempfindlichkeit wurde auch hier eindeutig der Faktor der Qualität über den Kostenfaktor gestellt. Denn Nachhaltigkeit geht Hand in Hand mit Langlebigkeit.

(Natur-)verbunden
Während im Innenraum eindeutig die Qualität der Quantität vorgezogen wurde, wurde Letztere in der Aussenraumgestaltung gleichermassen berücksichtigt. Demnach wurden eine grosszügige, naturnahe Wiese mit einheimischer Bepflanzung sowie diverse Gemeinschaftsplätze am Gelände von Anfang an mitgeplant. Durch diesen weitläufigen, öffentlichen Garten führt ein ebenfalls, nicht zu sparsam bemessenes Wegenetz, sodass die Erschliessung zugleich zur Begegnungs- und Aufenthaltszone wird und sich dabei zum Zentrum der Anlage hin – dem neuen Gallusplatz – aufweitet. Gleichzeitig erlauben die neuen Wege eine rollstuhlgerechte Erschliessung der sich mittig leicht anhebenden Topografie sowie der vier angebundenen Häuser, die mit ihren Namen „Esche“, „Ahorn“, „Buche“ und „Eiche“ das naturnahe Konzept fortführen. Abseits der oberirdischen Erschliessung gelangt man seit neuestem zusätzlich mit dem Auto über die bestehende Einfahrt an der Eichwiesstrasse zur Tiefgarage, die in alle vier Bauten weiterführt und zudem die grosszügig dimensionierten Veloräume schwellenlos erschliesst. Während der Grünraum im Erdgeschoss sowie das unterirdische Geschoss für alle Bewohner zugänglich ist, haben die Attikawohnungen ihr zusätzliches privates Stück Natur: Beide Einheiten im obersten Stockwerk der Neubauten sind mit einer privaten Dachterrasse ausgestattet, die die Natur am Dach weiterfliessen lassen. Erkennbar sind diese aber erst auf den zweiten Blick in ihrer wahren Funktion, sobald deren geschwungene Brüstungen erkannt werden. Neben diesen Grünflächen findet sich zudem eine Fotovoltaikanlage auf den Dächern der beiden Neubauten, die in Kombination mit einer Wärmegewinnung mittels Erdsonden einen optimalen Beitrag hinsichtlich erneuerbarer Energien leistet.

Treibende Kraft
Apropos Erneuerung: Jedem Ende wohnt ein Anfang inne, wie es doch so schön heisst. Demnach war mit der Fertigstellung der beiden Neubauten das Projekt in der Überbauung „Baumwies“ noch längst nicht abgeschlossen. Neben dem Wunsch nach mehr Wohnraum standen auch die Ansprüche der WBG Gallus nach qualitativer Wohnfläche wortwörtlich im Raum, sodass die Sanierung der bestehenden Bauten geschickt an die Bauarbeiten angeschlossen wurde. Um nicht nur preis- und lebenswerten Wohnraum zu schaffen, sondern auch zu erhalten, wurden die Wohnungen aus den 1970er-Jahren im Innenausbau komplett erneuert, dabei in der Materialität an die Neubauten angelehnt, aber im Farbkonzept als dezenter Kontrast umgesetzt. Durch diesen Zeitplan konnten die bisherigen Bewohner problemlos Wohnungen tauschen und mussten sich nicht auf die Suche nach befristeten Unterkünften für den Übergang machen. Von der Organisation über die Planung und die Überlegungen bis hin zur Ausführung präsentiert sich das Projekt als Matchball für qualitative Wohnraumverdichtung im urbanen Raum und als Sweet Spot, wenn es um ein mehr als faires Verhältnis von Mietzins und Wohnqualität geht – somit zieht sich das Tennismotiv über das Farbkonzept hinaus fort.

© Marcel Rickli (Innenaufnahmen) und Ziegler + Partner Architekten (Aussenaufnahmen)

Weitere Informationen zu dem Architekturbüro finden Sie hier.

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