In verschiedenen Gemeinden des Jura und des Berner Jura findet man in auffallender Dichte moderne Sakralbauten mit derselben Architektursprache. Darunter die Kirche Montcroix in Delémont JU und die Kapelle von Vellerat JU sowie auch die katholische Kirche Saint-Nicolas de Flüe in Corgémont BE, die alle aus der Feder Jeanne Bueches stammen. Die Kirche von Corgémont erfuhr vor Kurzem eine Sanierung des Innenraums: Mit diesem Projekt beauftragte die römisch-katholische Kirchgemeinde des Vallon de Saint-Imier die Lausanner Architektin Christine Rais El Mimouni. Die Kirchgemeinde als Bauherrschaft hat für die Sanierung den diesjährigen Spezialpreis der Fachkommission für Denkmalpflege erhalten.
Gut sichtbar an der Grand’Rue 11 platziert, kennzeichnet die Kirche Saint-Nicolas de Flüe als Landmarke den Ortseingang von Corgémont im Berner Jura. Mit seiner skulpturalen und dennoch reduzierten Formensprache hebt sich der reinweisse, kubistische Bau aus der Architekturlandschaft der Gemeinde hervor.Lediglich der abstrakte Kirchturm aus schwarzen Stahlstäben lässt sein Raumprogramm vermuten..
Schweizer Kirchenbaumeisterin
Bei dem modernen Sakralbau handelt es sich in dieser Region jedoch nicht um eine Einzelerscheinung: Denn drei der acht von Jeanne Bueche gebauten Kirchen prägen die sakrale Architekturlandschaft des Jura und des Berner Jura. Fast allegorisch für die heilige Dreifaltigkeit bilden die Kirche Montcroix in Delémontn JU, die Kapelle von Vellerat JU sowie die Kirche Saint-Nicolas de Flüe in Corgémont BE das architektonische Erbe der Schweizer Kirchenbauerin innerhalb eines relativ kleinen Radius. Neben ihren Neubauten schuf die erste Architektin der Westschweiz mit der Vielzahl an umgebauten oder renovierten Kirchen einzigartige Gesamtkunstwerke aus Architektur, Glasmalerei und Bildhauerei im ganzen Land. Als Mitglied der Eidgenössischen Kunstkommission während der 1960er-Jahre konnte sie darüber hinaus Aufträge an verschiedene bekannte Künstler vergeben.
Transparenz und Geometrie
Doch vielmehr als in ihrer Nachbarschaft im Berner Jura finden die Sakralbauten vor allem in ihrer linearen Architektursprache ihren gemeinsamen Nenner. So zeugen die Bauten der Schweizer Architektin von einer stringenten Schlichtheit und einer klaren, differenzierten Volumetrie. Es wird beinahe immer ein kompaktes Hauptvolumen von kleineren geometrischen Formen durchbohrt und untergeordnete Nebenvolumen der Aussenansicht gut ersichtlich angefügt. Zudem sind die Eingangsfassaden selten tragend ausgeführt – ein konstruktives Detail, das durch die entstandenen Vor- und Rücksprünge enorm zur Plastizität des Eingangsbereichs beiträgt. Ein weiteres Augenmerk legte Jeanne Bueche auf die Lichtführung in ihren Gebäuden: So scheint das Licht entweder durch den oberen Teil der Seitenfassaden oder über den Chor in den Innenraum, wodurch sie ein Spiel mit direktem oder indirektem Licht schafft.
Mehr als Glauben
Warum genau diese unscheinbare Gemeinde eine moderne Kirche erhielt, ist auf die dortige Entwicklung der Religion zurückzuführen. Rückblickend betrachtet hatte die Glaubenslehre in Corgémont ein Auf und Ab durchgemacht: Nach der durchgesetzten Reformation wurde ab 1927 wieder die heilige Messe gefeiert. In den 1950er-Jahren, einer Zeit der wirtschaftlichen Blüte, entstand in der Region das Bedürfnis nach einer zusätzlichen Kirche. So kam es, dass nach den Plänen und unter der Leitung der Architektin Jeanne Bueche die Kirche Saint-Nicolas de Flüe gebaut und am 28. Juni 1959 eingeweiht wurde. Realisiert wurde das neue Gotteshaus an der Hauptstrasse, der Grand’Rue, und trägt erst auf den zweiten Blick sein Raumprogramm nach aussen. Denn eine glatte, reinweisse Betonfassade ohne jegliche Dekoelemente sowie die ausdrucksstarke Geometrie zeigen eine vorerst ungewohnte Architektursprache, die nicht den stereotypischen Bildern von Kirchen entspricht. Die Funktion des Gebäudes ist vielmehr aus der Entfernung ersichtlich – wenn auch in sehr minimalistischer Manier. Über dem Dach des Chorhauses bildet ein Stahlrahmen den Glockenträger aus, der sowohl die Kirchenglocke aufnimmt als auch zuoberst typischerweise mit einem Kreuz abschliesst. Auch von der Westseite her wird auf die Existenz der Kirche hingewiesen. Hier markiert ein frei stehendes Kreuz auf dem vorspringenden Anbau des Baptisteriums den zurückgesetzten Eingang.
Formenspiel in Corgémont
Die dominierende Geometrie in der Kirche Saint-Nicolas de Flüe ist das Trapez: In langgestreckter Ausführung sowie in einer gestauchten Variante treffen zwei trapezförmige Volumen auf ihren kürzeren Seiten zusammen und bilden den Hauptraum. Dieselbe Form findet sich zudem im Grundriss wieder, der sich nach Osten hin verjüngt und somit in gewisser Art und Weise die Gebäudeansicht auf die Horizontale projiziert. Die Kompaktheit des Baus wird dabei durch dessen beinahe fensterlose Gebäudehülle unterstrichen. Die Ausleuchtung des ebenso puristischen Innenraums mit Tageslicht erfolgt demnach über drei grosszügige Fensterfronten. Diese bestehen aus einer von Betonelementen gebildeten Struktur, versehen mit farblosen Gläsern, und sind mit einem traditionellen Kitt auf Leinölbasis verfugt. Selbst hier wird das Spiel mit der Geometrie ersichtlich: Rechtecke in unterschiedlicher Grösse sowie vereinzelte Kreise mit profilierten weissen Betonrippen erinnern an ein grossmassstäbliches „Tetris“-Spiel. So unterbrechen die Fensterflächen in einer spielerischen Art die massive Betonfassade, hauchen dieser eine Leichtigkeit ein und werden zum charakteristischen Element der Kirche. Neben der auffallenden Gestaltung ist bei den Fenstern insbesondere der gute Erhaltungszustand der Fugen bemerkenswert, der auf die Qualität des Materials sowie auf dessen exakte Verarbeitung zurückzuführen ist.
Pure Ehrlichkeit
Dieselbe Stringenz und Zurückhaltung, die den Sakralbau von aussen prägt, wird auch im offenen, konisch verlaufenden Innenraum der modernen Kirche fortgeführt. Nach dem Motto „weniger ist mehr“ schafft Jeanne Bueche hier durch das Zusammenspiel weniger Materialien einen Raum, der kaum mehr Ruhe und Klarheit ausstrahlen könnte. Weiss gestrichene Betonwände treffen auf unverputztes Ziegelmauerwerk an den Seitenwänden sowie an der Rückwand des Chors, wo in regelmässigen Abständen einzelne Steine dekorativ vorstehen, und werden von Sitzbänken sowie Beichtstühlen aus Holz ergänzt. Besonders ins Auge sticht im Rahmen der Materialisierung die Kirchentür, die ungewohnt anders, aber überaus simpel in Aluminium realisiert wurde. Die Kombination all dieser Materialien verleiht dem Sakralbau einen industriellen Charme, der voll und ganz der Intention der Architektin – „Man soll für Gott bauen wie für die Menschen“ – nachkommt. Den industriellen Aspekt findet man auch in der Materialwahl der Fensterfronten wieder: Einfaches Glas auf deren Aussenseite wurde auf der innen liegenden Seite gegen geriffeltes Glas ausgetauscht, wodurch Jeanne Bueche der industriellen Erscheinung einen künstlerischen Wert verleiht. Im Gegensatz zu ihren anderen Kirchenbauten hat die Architektin in Corgémont auf farbige Glaselemente verzichtet. Neben prunkvoller Deko wird hier auch vergebens nach Stuck oder Fresken gesucht: Die zum Chor hin geneigte Decke ist schlicht in Weiss gehalten, wobei die Unterzüge in einem zarten Lindengrün die glatte Betondecke strukturieren. Lediglich eine dezente Verzierung schmückt das Mauerwerk der Seitenwände: Wie ein feines Band zieht sich hier horizontal eine minimalistische Darstellung des Kreuzwegs entlang, die aus handflächengrossen quadratischen Öffnungen in der Aussenmauer im Wechsel mit den ebenso grossen Symbolen für die Stationen des Leidenswegs Christi besteht.
Stilvolles Interieur
Auf das Wesentliche reduziert ist auch die Inneneinrichtung der Kirche, die im Rahmen der Sanierung von Christine Rais El Mimouni teilweise erneuert oder fachgerecht restauriert wurde. Während die hinterste Reihe der hölzernen Sitzbänke entfernt wurde, um dem Raum zusätzlich mehr Grösse zu verleihen, erhielt der Sakralbau einen neuen – oder vielmehr wieder einen – Altar. Insgesamt bilden fünf Platten aus geschliffenem blauem Granit aus Belgien einen Kubus und greifen die Farbe sowie das Material des schräg dahinterliegenden Tabernakels auf. Auf der Frontseite ziert ein eingefrästes, Kreissymbol den Gottestisch und greift in seiner Symbolik den Weg des Schutzpatrons Saint-Nicolas de Flüe auf. Auch die horizontale Granitplatte der Mensa wurde mit kleinen Fräsungen versehen: Fünf Kreuze schmücken den dunklen Stein und stellen die Wunden von Jesus am Kreuz dar. Im Rahmen der behutsamen Sanierung des Innenraums wurden zudem das unverputzte Mauerwerk gesäubert, die Unterzüge der Betondecke in einem zarten Lindengrün – ihrer Originalfarbe – gestrichen sowie die acht originalen gläsernen Lampenschirme gereinigt. Darüber hinaus wurde der originale Gneiss-Ambo in seiner Höhe angepasst, wofür er auf einen Sockel aus blauem belgischem Granit gesetzt wurde und somit gleichzeitig eine farbliche Verbindung zum Altar und dem Tabernakel schafft. Neuerdings schmückt auch ein grosses metallenes Kruzifix die Chorrückwand, das im Keller der Kirche Saint-Nicolas de Flüe gefunden wurde. Das Kreuz wurde nach dem Abriss der Fastenopferkirche in Courtelary dort eingelagert, zufällig bei der Begehung der Kirche vor den Bauarbeiten gefunden und setzt nun mit seiner Verwendung ein Zeichen der Verbundenheit innerhalb der Pfarrgemeinde – und kommt dabei gleichzeitig dem Wunsch der Architektin Jeanne Bueche nach einem „grand Christ“ nach. Auch die Brüstungen an der Empore an der Westwand sind einfach ausgeführt – blaue Metallgitter schützen hier beispielsweise vor Stürzen. Zudem wurde im Rahmen der Sanierung die Sakristei zum verborgenen Farbtupfer des zurückhaltenden Innenraums: Der schwarze Vinylboden wurde auf Wunsch der Bauherrschaft sowie aus bauökologischen Gründen über den asbesthaltigen Vinylboden gelegt und unter die bestehenden Fussbodenleisten geschoben – und nicht geklebt –, sodass der originale Zustand für die nächsten Generationen gewahrt werden konnte. Gleichzeitig hat auch eine Wand in der Sakristei Farbe bekommen: Sie wurde hier links neben dem Kaminzug wieder mit Mosaiksteinen in einem zarten Hellblau geschmückt und schützt somit auch die Wand vor Spritzwasser vom dort angebrachten Waschbecken.
Bilanz ziehen
Zusätzlich zu den Restaurations- und Erneuerungsarbeiten rund um das Interieur wurde die strassenseitige Fensterfront einer energetischen Sanierung unterzogen. Die grösste Herausforderung bestand darin, das originale Milchglas und demzufolge die Erscheinung der nördlichen Claustra zu erhalten und dennoch den aktuellen Anforderungen an thermischer Isolierung gerecht zu werden. Hierfür erforderte der Ersatz von gebrochenem oder gerissenem Rillenglas intensive Nachforschungen: eben jenes – altes oder neu hergestelltes – Glas zu finden, das die gleichen Eigenschaften sowie Transparenz und Rillen aufweist, war nicht möglich. Somit wurde die Wahl des bedruckten Glases durch die Wahrung der Einheit des Ganzen diktiert. Zwar ist der Unterschied zwischen dem ursprünglichen und dem neuen Glas wahrnehmbar, dabei aber ausschliesslich für Eingeweihte ersichtlich. Im Rahmen dieser Aufwertung wurde zudem das Thema des Schallschutzes berücksichtigt, um die Lärmemissionen von der Strasse zu mindern sowie umgekehrt die Geräuschkulisse des Innenraums nicht nach draussen zu tragen. Ermöglicht wurde dies, indem das innen liegende Milchglas der Nordfassade belassen und mit viel Fingerspitzengefühl nach aussen hin verdoppelt wurde. Diese Intervention erforderte die Demontage der 66 äusseren Gläser, die Reinigung der Falze und der verstaubten sowie verkalkten, geriffelten Gläser und den Einbau eines 6 mm starken Glases mit niedrigem Emissionsgrad (U= 1,8 wm2/k), das mit Kitt verfugt wurde. Zudem stellte man die Luftzirkulation sicher. Dank dieses Eingriffs sollten eine theoretische Einsparung von 200 l Heizöl pro Jahr erzielt werden, der akustische Komfort verbessert und die Transparenz und die Klarheit an der nördlichen Claustra wieder hergestellt werden.
Kunst am Bau
Wie bereits erwähnt, schmücken weder farbiges Glas noch zahlreiche Dekoelemente die katholische Kirche. Lediglich ein paar wenige Skulpturen des Tessiner Bildhauers Remo Rossi, die wie die kubistische Architektursprache eine atypische Sakralkunst präsentieren, komplettieren das Interieur. Diese Zusammenarbeit Jeanne Bueches mit dem Schweizer Künstler war kein Einzelfall, sondern zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Arbeit in den Sakralbauten: Anstelle pummeliger Engelchen und detailgetreuer Heiligenstatuen zieren daher in Corgémont gröber modellierte Figuren die Kirche. Für diesen Bau hat Rossi die Bronzeskulptur des Tabernakels umgesetzt und zudem die Eingangstür mit zwei menschlichen Figuren und Vögeln aus Zinn versehen. In diesen Skulpturen – datiert mit 1960 – lässt sich vor allem die Entwicklung seiner Darstellung ablesen: Von einer Archaisierung und einer Geometrisierung, die sich ab den 1950er-Jahren hin zu expressiven Darstellungen in seinen Spätwerken bewegten.
Weniger ist mehr
„Schönheit besteht in Harmonie, die immer eng mit Schlichtheit verbunden ist“, hat schon in den 1950er-Jahren der venezianische Schriftsteller Giacomo Casanova erkannt. Denn es braucht nicht immer prunkvolle Malereien, edelste Materialien und eine Vielzahl verspielter Dekoelemente: So ist es oftmals die grosse Kunst, genau die kleinen und richtigen Handgriffe zu tätigen. Mit ihren sehr zurückhaltenden Massnahmen sowie ihrem überaus respektvollen und bedächtigen Umgang hat die Architektin Christine Rais El Mimouni dem bestehenden Architekturerbe Jeanne Bueches vollen Respekt gezollt und konnte zudem die Fachkommission für Denkmalpflege des Kantons Bern überzeugen und der römisch-katholische Kirchgemeinde des Vallon de Saint-Imier mit diesem Projekt den diesjährigen Spezialpreis sichern.
©archibatch
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