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Ordnung und Funktion

Der Ersatzneubau, in dem ein führendes Getränkehandelsunternehmen seinen Betrieb zentralisiert hat, steht mitten in der grünen Landschaft, umgeben von Obstbäumen und Bauernhöfen, und weicht damit dem örtlichen Industriegebiet aus. Mit seinem mehrfach gefalteten Giebeldach und der dunklen Fassade ist das imposante Gebäude schon von weitem zu sehen. 

Ländlich. Fern von Industrie und Fabrikbauten. Und doch mit gewerblicher Nutzung. Aussen hart – innen weich, verkleidet mit Faltblech – konstruiert aus Holz. Ein Gefüge, das Verkaufsladen, Logistik und Administration und die hauseigene Manufaktur unter einem Dach vereint. Das sich im Luzernischen Rothenburg befindet. In einem Gemeindegebiet, das Teil der Agglomeration der Stadt Luzern ist und westlich der Autobahn A2 zum grössten Teil in die örtliche Industriezone übergeht. Das neue Gewerbegebäude steht weit ausserhalb davon. 

Dort, wo Häusergruppen und Einzelgehöfte ein disperses Siedlungsmuster abgeben, mitten im Grünen, hat die „Schürch Getränke AG“ ein neues Zuhause gefunden. Am Grundstücks vorbei führt eine beliebte Wanderstrecke, ein alter Römerweg. Dort, an leicht erhöhter Lage sitzt das dunkle Gewerbegebäude – umgeben von einheimischen Obstbäumen auf sattgrünen Wiesen. Eingebettet in einer einzigartigen Kulisse, Weitblick über umliegende Hügel und Wälder, bis zu den schneebedeckten Alpen. Schon von weitem ist der Neubau mit seinem mehrfach gefalteten Giebeldach und der dunklen Fassade zu sehen. Umgeben von Landwirtschaftsland hat der über 100-jährige Rothenburger Familienbetrieb sein neues Zuhause realisiert. 

Der Ort hätte auch zu einer privilegierten Wohnlage avancieren können. Rothenburg gliedert sich in mehrere Terrassen mit guter Besonnung. Die Bauparzelle befindet sich auf einer solchen Terrasse in der Landwirtschaftszone. Dass auf dem Areal ein Gewerbeneubau überhaupt erst möglich wurde, ist zum einen der Beharrlichkeit zu verdanken, mit der das Büro Schürch Architekten aus Luzern den behördlichen Widerständen getrotzt hat. Zum anderen der Bestandesgarantie von vorbestehenden Bauten, mithin dem Vorliegen einer altrechtlichen Nutzung. Doch obschon hier früher Gewerbe betrieben worden ist, haben die hohen Auflagen des Kantons dazu geführt, dass während der Planung um jeden Quadratmeter Nutzfläche zu ringen war.

 

Gelohnt hat es sich allemal. Bislang ist der Betrieb auf sechs Standorte verteilt gewesen. Der Zusammenzug auf einer Parzelle vereinfacht fortan die Prozesse und steigert die Effizienz bei der Auftragserledigung, was bei einem so vielfältigen Getränkeangebot zwingend ist. Trotz stark limitiertem Budget ist ein Gefüge für einen optimalen Betriebsablauf entstanden. Die vielen Produkte, u.a. die Süssgetränke, Mineralwasser, Weinprodukte, die sehr stark auf regionale Anbieter ausgerichtet sind, werden ergänzt von einer breiten Palette an Spirituosen, von denen viele aus der hauseigenen „Amstutz Manufaktur“ stammen. 

„An diesem Ort bin ich aufgewachsen. Meine Brüder führen den durch meinen Vater gegründeten Mostereibetrieb und Getränkehandel weiter“, erklärt Architekt Andreas Schürch. Die Befassung mit gewerblich genutzten Gebäuden zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk des Architekturbüros. Und immerzu mit dem Anspruch: Diese faszinierenden Aufgaben trotz schwieriger Herausforderungen und Gegenkräften zu meistern und daraus eine architektonisch sorgfältige Lösung zu entwickeln. 

Auf rund 3’000 Quadratmetern Nutzfläche sind eine Lagerhalle, ein Verkaufsmarkt sowie helle, moderne und komfortable Büro- und Sozialräume verteilt. Die Lagerhalle mit Spirituosenraum bietet 2000 Palettenplätze für bis zu 50’000 Getränkeharassen oder eine Million Flaschen. Am südlichen Ende liegen windgeschützte Rampenflächen für Last- und Lieferwagen. An der Nordflanke begrüsst ein 500-Quadrarmeter-Getränkefachmarkt den Kunden und lädt zum Verweilen ein. Unter den Dachgiebeln angelegte, unterteilbare Schulungs- und Aufenthaltsräume geben via vorgelagerte Loggia den Blick frei auf das umliegende Wiesland. Hier werden beispielsweise Bierverkostungen oder Degustationen durchgeführt. Ebenso wickelt ein Logistikzentrum für Festservice Getränke, Festbänke und vieles mehr für die Belieferung von Anlässen für 30 bis 3000 Personen ab. Raumaufteilung und Raumgrösse folgen dabei einem strikten, das Gefüge durchdringenden, teils von den Fensteröffnungen gebildeten Grundraster. So öffnen etwa die grossen Fenster im Verkaufsmarkt ein halbes Rasterfeld, die seitlichen Fenster ein Viertel des Rasters. 

Ordnung und Funktion als bestimmende Kriterien spielen auch bei diesem Zweckgebäude eine entscheidende Rolle. Dementsprechend ist der Innenausbau marginal gehalten. Technisch notwendige Materialien bilden die sichtbaren Oberflächen. Holzfaserwerkstoffplatten (OSB-Platten) bei den Holzelementen, Gipsfaserplatten in den Brandabschnitten. Die einzige Veredelung ist der lasierende Farbauftrag. Die Räume sind minimalistisch eingerichtet, schwarzes Mobiliar passt zu den grauen Teppich- und Linolböden. Als Baustoffe wurden Beton und vor allem Holz verwendet, „darunter ein hoher Anteil Schweizer Holz“. Sehen lässt sich auch die Energiebilanz des Neubaus: Eine Solaranlage auf dem Dach produziert Strom für 60 Haushalte – nur 10 Prozent davon braucht Schürch Getränke selber, der Rest wandert ins öffentliche Stromnetz. Im Gebäude sorgen thermoaktive Bauteile für das Raumklima: Im Winter werden sie über 6 Erdsonden beheizt, im Sommer werden sie gekühlt und die Wärme wird über die Erdsonden ins Erdreich zurückgeführt.

Überhohe Fenster lassen das Sonnenlicht tief ins Gebäudeinnere vordringen. Trotz einer gewissen Imposanz erscheint das Volumen unauffällig in der Landschaft; „es schreit nicht“, so Architekt Schürch. Während das Gewerbegebäude komplett in Holz konstruiert auf einer Bodenplatte steht, erscheint es aussen – auf Wunsch der Bauherrschaft ob eines besseren Unterhalts – in einem gefalteten Fassadenmetall, was letztlich dem Bild einer bewitterten Holfassade ähnelt. So manifestiert sich das Prinzip: „Aussen hart, innen weich.“ Die matt-schwarze Haut bricht das Sonnenlicht einmal buttergelb, ein andermal tiefschwarz. Sie legt sich als schützende Hülle über das weiche Holzgerippe. Der Werkstoff Holz ist durch grosse, überhohe Öffnungen und weite Vordächer von aussen erkennbar. 

Vier aneinander gereihte Dachgiebel bilden der lokalen Bautradition folgend ein vertraut wirkendes Volumen. Das Schrägdach vermittelt mit den landwirtschaftlichen Substanzen in der Umgebung. Auch die Höhe orientiert sich am Bestand. Zugleich erreicht der Neubau dank besserer Eingliederung in den Kontext eine wohlproportionierte Anlagevolumetrie. Obschon nutzungsbedingte Verkehrsflächen das Gebäude umgeben, steht es übergangslos in der grünen Landschaft, ohne Vorgärten und private Abgrenzungen. Oder anders gesagt, entsteht die Wirkung, dass die Landschaft bis an die Fassade fliesst, was bei Landschaftsgebäuden meist der Fall ist. Die Grasvegetation bringt aus der Ferne die befestigten, teils sickerfähigen Flächen optisch zum Verschwinden. 

Es ist die atemberaubende Schönheit der natürlichen Umgebung, mit der das Gebäude sich anverwandelt und seine losgelöste, eigenständige Präsenz steigert. Das Grün, die Hochstamm-Obstbäume, von welchen das Kernobst zu Apfelsaft und zu Destillaten weiterverarbeitet wird, die Weite, der Fernblick ins Alpenpanorama, die das Gebäude und seine stille Architektur zu etwas Besonderem, zu etwas Einmaligem machen. Ein Gewerbebau ohne mögliche rauchende Industrieschlote ringsum, oder ohne Arealsenge. Ein Gewerbebau frei in der Natur.

Text: ArchiMedium Bonauer 

© Ivo Wettstein

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