Sanieren oder abreissen und neubauen? Im Umgang mit Bestandsgebäuden stellt sich immer dieselbe Frage, deren Antwort meist ökonomisch orientiert ist. Dass Ausnahmen die Regel bestätigen, zeigt das Mehrparteienhaus aus den 1953er-Jahren im Zürcher Kreis 2, das in seinem neuen Holzkleid hervorsticht und dabei noch nachhaltig Eindruck im wahrsten Sinne des Wortes hinterlässt. Nach baubiologischen und kreislaufgerechten (zirkulären) Grundsätzen haben Oikos & Partner das in die Jahre gekommene Gebäude zum städtischen Vorzeigeprojekt für eine grüne Zukunft gewandelt.
Am linken Ufer des Zürichsees nimmt der Stadtteil Enge unter anderem einen Moränenhügel ein, der gleichzeitig die Grenze zum Naherholungsgebiet Allmend bildet. Inmitten einer mehrheitlich aus allein stehenden Massivbauten bestehenden Siedlung positioniert sich der neu gestaltete Bestandsbau mit seinem umlaufenden Grüngürtel. Wie in der ganzen Stadt eröffnete sich auch bei dieser bebauten Parzelle die Diskussion nach dem richtigen Umgang mit der sanierungsbedürftigen Bausubstanz. Insbesondere durch die sehr begehrte zentrumsnahe Lage und die dennoch gleichzeitige Nähe zur Natur sowie die weitläufige Aussicht in Richtung Üetliberg hätte gerade hier die Transformation in ein vielversprechendes und gewinnbringendes Investorenprojekt nicht grossartig erstaunt. Doch das Ergebnis schlägt eine komplett andere Richtung ein: So zeigt dieses Projekt vorbildlich, dass Mehrwert neben den finanziellen Ebenen auch auf vielen anderen geschaffen und dabei ein wichtiger Schritt hinsichtlich der Klimakrise gemacht werden kann. Mit der Intention, die Baubiologie zum wesentlichen Thema des Sanierungsprojekts werden zu lassen, wird dieses Bauvorhaben zum Exempel für künftige bauliche Aufwertungen. Realisieren durfte dieses eher unübliche Bauprojekt das Zürcher Büro Oikos & Partner, die dem veralteten Bau neues Leben einhauchten und qualitativen Wohnraum mit nachhaltigen Design- und Baulösungen vereinen konnten. Dabei wurden besondere Anforderungen wie gesundheits- und klimafreundliche Bedingungen im Innen- und Aussenraum, der Einsatz von erneuerbaren Energien, die Gestaltung geschlossener Ressourcenkreisläufe und die Beachtung des Design for Disassembly, die Verwendung von Reuse-Bauteilen sowie nicht zuletzt entsprechenden Materialien und Inhaltsstoffen an die Umsetzung gestellt.
Im Kreis denken
Dass in so manchem Ende ein neuer Anfang steckt – vor allem wenn die Kreislaufwirtschaft das zentrale Thema ist –, zeigt dieses Sanierungsprojekt bestens. Um die Zirkularität bestmöglich gewährleisten zu können, wurden die vorhandenen Bauteile des bestehenden Gebäudes daher bereits zu Beginn auf dieses Potenzial hin analysiert. Die wichtigsten Fragen in diesem Bauteil-Scouting stellten unter anderem das sortenreine Rückbauen, die Weiterverwendung bestehender Elemente im selben Bau oder anderorts sowie die Rückführung von Materialien dar. Angesichts der baubiologischen Aspekte wurden die Aussenwände, die Böden und die Decken des Bestandbaus erhalten und vor einem Abriss bewahrt. Darüber hinaus wurde ein sorgfältiger Rückbau in Zusammenarbeit mit der Stiftung Chance ermöglicht, die alle bestehenden Fenster, Sanitärapparate, Küchen, Sonnenstoren, Rollläden sowie Parkettböden ausbaute und ihnen durch eine Weiterverwendung an einem neuen Einsatzort ein zweites Leben ermöglichte. Ebenso wie im Innenraum haben auch im umliegenden Aussenraum alte Gebäudeelemente eine Renaissance erfahren: Beispielsweise wurden die Ziegel des alten Daches im Rahmen der Gartengestaltung weiterverwendet und dienen nun als Wegpflasterung oder wurden zu einer naturnahen Stützmauer aufgeschichtet. Gleichermassen fanden alle bestehenden Gehwegplatten sowie Steine im Aussenraum neue Verwendung, die hierfür säuberlich zurückgebaut, einzeln nummeriert und wieder verbaut wurden. Doch nicht nur die Dacheindeckung, sondern auch die bestehende Balkenlage des Daches erhielt Aufmerksamkeit: Sorgfältig wurde diese rückgebaut, sodass nach deren Reinigung, Zuschneiden und Bürsten die Holzelemente als tragende Balkenlage für die neuen Balkone erneut eingebaut werden konnten.
Neues Kleid
Apropos Holz. Neuerdings zieht der Wohnbau schon aus der Ferne die Blicke auf sich und erweckt den Anschein eines vermeintlichen Neubaus. Dabei ziert lediglich eine neue, hinterlüftete Holzfassade das bestehende Mauerwerk, die mit einer zweischichtigen Holzfäserdämmung von insgesamt 32 cm eine optimale Aussendämmung gewährleistet. Zugleich punktet die neue Aussenhülle mit dem Vorteil, dass alle Rafflamellenstoren in der zweiten äusseren Ebene montiert und alle Fassadenelemente hinter der Lattung unsichtbar verschraubt werden konnten. So haben die Architekten nicht nur ein einheitliches Gesamtbild geschaffen, sondern gewährleisten künftig zudem einen einfachen Austausch der Holzlattung, eine sortenreine Demontage sowie Entsorgung bei Unterhalts- oder Abbrucharbeiten. Dennoch fallen bei genauer Betrachtung der Gebäudehülle feine Unterschiede bei den jeweiligen Gebäudeseiten auf – eine Tatsache, die vielmehr auf funktionellen Hintergedanken beruht, als ausschliesslich auf dem Gestaltungswillen. Denn entsprechend der verschiedenen Anforderungen wurde jede Gebäudefront individuell abgewandelt und optimal an die jeweiligen Beanspruchungen angepasst, sodass letztlich etwaige Vorteile aus der Ausrichtung gezogen werden konnten. Dementsprechend wurde die sägerohe, unbehandelte Lärchenschalung der Nordfassade stehend montiert, um einen optimalen Abfluss des Regenwassers zu ermöglichen, und die kleinsten Fenstergrössen für diese Gebäudeseite gewählt. Das unbehandelte Holz wird hier an der Nordseite aufgrund der Witterungseinflüsse sowie der Luftfeuchtigkeit über die Jahre einen silbergrauen Farbton bekommen. Angesichts der stärkeren Verwitterung wurden zudem die nordseitigen Fensterfutter aus Metall realisiert, um beständiger, langlebiger sowie letztlich unterhaltsärmer zu sein. Hingegen hat die Ostfassade mit ihrer Ausrichtung zur Morgensonne grössere Fensteröffnungen erhalten. Die Lärchenschalung ist jedoch ebenso vertikal gerichtet und unbehandelt, sodass sich diese künftig auch ähnlich wie die Nordfassade entwickeln wird. Südseitig prägen breite Balkone das Erscheinungsbild, die den Bau und vor allem die Wohnräume vor zu viel Sonneneinstrahlung im Sommer schützen. Gleichzeitig konnten aufgrund der neuen Gebäudevorsprünge grosse Balkontüren gewährleistet werden, die einen enormen Tageslichtanteil in den Wohnungen garantieren. Bei genauer Betrachtung fällt auf der Süd- sowie Westfassade auch die abgewandelte Ausführung der Lattung auf: Bewusst wurde hier die gehobelte sowie unbehandelte Lärchenschalung horizontal verlegt und wird dank der stärkeren Sonneneinwirkung auf der Südseite mit den Jahren einen rötlichen Farbton annehmen. Ergänzt wird die heimische Lärche an den Balkonen zusätzlich durch das überaus langlebige Accoya-Holz, das genau genommen ein modifiziertes Holzprodukt aus neuseeländischer Kiefer ist. Ausschlaggebend für diese Holzwahl war insbesondere dessen Langlebigkeit und Witterungsbeständigkeit gegenüber einheimischen Hölzern. Der Ausrichtung und somit dem Sonnenstand entsprechend wurden ebenso die Sonnenstoren geplant: Richtung Süden schützen Gelenkarmmarkisen gegen die Mittagssonne, wenn sie dort ihren Höchststand erreicht, während Senkrechtmarkisen westseitig vor der Abendsonne, die bis zu ihrem Untergang über dem Albis fast horizontal in die Wohnungen scheint, schützen.
Zweites Leben
Da auch die inneren Werte bekanntlich zählen, zieht sich der bedachte Umgang mit dem Bestand – vom Erhalt bis zu etwaigen notwendigen Ergänzungen – auch im Innenleben des Mehrparteienhauses fort. Demnach stellte das Aufarbeiten bestehender Gebäudeelemente eine wesentliche Aufgabe dar: Unter anderem wurde der Handlauf im runden Treppenhaus abgeschliffen und die darunter liegende Holzschicht qualitativ wieder aufgewertet. Ebenso wurden die Steinstürze der Türen aus Terrazzo gleichermassen wie die steinernen Stufen der gesamten Treppe erneut aufpoliert und können nun in neuem Glanz erstrahlen. Zudem liessen die Architekten die gesamten Kellertüren sanieren: Die Raumabschlüsse wurden demontiert, deren Farbe abgelaugt und die Türblätter anschliessend mit einem neuen Anstrich versehen; die alten, reparierten Beschläge wurden angebracht und die Türen wieder montiert. Ebenjene Renovierung haben auch die Zimmertüren sowie diverse Einbauschränke der sechs Wohneinheiten erhalten, die nun in neuer Farbe glänzen und mit teilweise ersetzten Tablaren wieder Gebrauch finden.
Doch nicht nur dem Alten haben die Planenden im Haus ihre Aufmerksamkeit geschenkt. Gleichermassen stand die Kreislauffähigkeit bei neuen Einbauten in den Wohnräumen im Vordergrund: Sortenreine Bauteile, eine ausschliesslich mechanische Befestigung, um einen einfachen Rückbau sowie eine unkomplizierte Reparatur in der Zukunft gewährleisten zu können, sowie natürliche, bedacht eingesetzte Materialien ziehen sich demnach auch in den Innenräumen als roter Faden durch das Sanierungskonzept. Einen wesentlichen Beitrag und ein gutes Beispiel hinsichtlich der Rezyklierung stellen dabei die Forster-Küchen der Wohneinheiten dar, deren metallene Oberflächen lediglich auf die Kartonwaben im Inneren gefaltet und nicht wie üblich mit diesen verklebt wurden.
Aus ebenjener nachhaltigen Motivation heraus wurden selbst für die Küchenrück- sowie die Badezimmerwände farbige Fliesen des holländischen Herstellers Mosa verwendet, dessen Produkte aus rezykliertem Material hergestellt und im Falle des Rückbaus vom Unternehmen wieder zurückgenommen werden. Mit ökologischen und relativ einfachen Mitteln kann künftig auch ein optimales Raumklima garantiert werden: Calsithermplatten an den Decken der Bäder können literweise Wasser speichern und bei abnehmender Luftfeuchtigkeit wieder abgeben. Diese sollen trotz der Möglichkeit der natürlichen Lüftung in den sanitären Räumen die Regulierung der Feuchtigkeit unterstützen und somit für ein angenehmes Raumklima sorgen. Ebenso wärme- und feuchteregulierend fungieren die Küchendecken, die mit Hanfleichtlehmplatten versehen sind und damit auch hier das Raumklima optimieren. Kalkputz an den Innenwänden rundet das Innenraumklima letztlich ab: Im Rahmen der Sanierung wurden die Tapeten entfernt, wobei der dahinter liegende, bereits bestehende Kalkputz freigelegt – wo nötig –, nur noch ergänzt und bewusst nicht gestrichen wurde, damit im Falle von Verschmutzungen künftig einfach punktuell abgeschliffen werden kann. Überaus hochwertig ist zudem der geölte Vollholzboden aus französischer Eiche in allen Wohnungen, der lediglich gebürstet und unversiegelt für eine warme Atmosphäre sorgt.
Lang anhaltend
Zentrale Themen der Sanierung stellen demnach offensichtlich die Langlebigkeit und die damit verbundene Nachhaltigkeit dar, die sich von der Einrichtung über die Verkleidung bis hin zur Standfestigkeit des Gebäudes selbst durchzieht. Angesichts der letzteren Thematik mussten die Architekten das 70-jährige Gebäude statisch ertüchtigen: Für den langfristigen Erdbebenschutz des Wohnhauses sorgen nun drei neu eingezogene Stahlbetonwände pro Geschoss. Ebenso wurden die Eingangsbereiche der Wohnungen nicht nur verstärkt, sondern zugleich wurden Küche und Entree für zeitgemässes (offenes) Wohnen geöffnet und hierfür die Wände mit Stahlstützen und -trägern ersetzt. Mit weiteren zusätzlichen Baumassnahmen werden künftig die Raumqualitäten betreffend aktueller Standards garantiert: Die bestehenden Unterlagsböden wurden entfernt und stattdessen eine neue Trockenschüttung zur Verbesserung des Trittschalls eingebaut. Durch die konsequente Verwendung baubiologischer Baustoffe konnten bei diesem Bauprojekt gleich mehrere Aspekte vereint werden: Wohlfühlen, Langlebigkeit sowie die Kreislauffähigkeit gewährleisten Kalk und Lehm an Decken und Wänden, das Massivholzparkett auf den Böden, keramische Wandplatten, Dämmstoffe aus Holzfasern, Schafwolle und Altpapier, langlebige Stahlprodukte, Einbaumöbel aus Massivholz sowie Linoleum. Zudem gestalten all diese Materialien über Jahre hinweg die Identität des Gebäudes mit, da baubiologische Baustoffe stilvoll altern, ihre Vergangenheit nicht verschleiern und mit der entstehenden Patina einen Teil der Geschichte des Gebäudes sowie seiner Bewohner erzählen. Neben der Qualitätssteigerung der Bauelemente sowie dem positiven Einfluss auf das Raumklima konnten die Architekten mit ihrer Materialwahl zudem natürliche Ressourcen schonen und haben zugleich weitestgehend auf die Förderung lokaler Unternehmen fokussiert. Somit wird die Nachhaltigkeit in diesem Projekt in ihren verschiedensten Facetten sowie auch ihren unterschiedlichsten Definitionen beachtet und gewährleistet.
Energie geladen
Neben den hochwertigen Aus- und Einbauten sowie dem ökologischen Mehrwert profitieren die Bewohner:innen neuerdings zudem vom neu arrangierten Energie- und Haustechnikkonzept des Mehrparteienhauses. Der von den 61 Fotovoltaikmodulen erzeugte Strom von jährlich rund 20ʼ000 Kilowatt wird den Mietenden von der Bauherrin zur Verfügung gestellt. Zusätzlich garantiert eine Solarthermie eine fossilfreie Warmwasseraufbereitung, wodurch die Bewohnenden von Warmwasser ohne weitere Nebenkosten profitieren können. Zuvor wurden rund 10ʼ000 l Öl pro Jahr verbraucht, welche mit dem neuen Heizsystem um 83% reduziert werden konnten.
Selbst Heizkosten schlagen hier künftig nicht zu Buche: Die direkte Sonneneinstrahlung im Winterhalbjahr – der sogenannte solare Direktgewinn – garantiert angenehme Temperaturen in den Wohnräumen, die gegebenenfalls per Pelletofen individuell angepasst werden können, wobei das Heizmaterial im Kellergeschoss zur freien Verfügung steht. Ebenfalls findet das Niederschlagswasser neuerdings eine weitere Verwendung: Der im Garten freigelegte Öltank wurde gegen einen 8000-Liter-Regenwassertank ausgetauscht, der der allgemeinen Gartenbewässerung dient und auch von den Mieter:innen für die eigenen Balkonpflanzen genutzt werden kann.
Das Thema des Gebens und Nehmens endet dabei nicht innerhalb der vier Wände des Projekts, sondern wird auf sozialer Ebene fortgeführt: Abgesehen von der Kooperation mit der Stiftung Chance, die sich im Bereich der Wiedereingliederung von Menschen engagiert, wird auch die Gemeinschaft im Haus grossgeschrieben. Hierfür bietet die Gemeinschaftsterrasse zuoberst einen Ort zum Feiern, Geniessen, gemeinschaftlichen Essen oder lediglich zum Beobachten von Sonnenuntergängen an und soll als geselliger Treffpunkt des Mehrparteienhauses dienen. Gestaltet wurde diese Aussenfläche mit Natursteinbodenplatten, die Verschnitte von Herdplatten, Lavaboausschnitten und von Küchenabdeckungen sind.
Umgebung
Doch auch der Natur wird bei dieser Sanierung wieder etwas zurückgegeben: So zielt die Umgebungsgestaltung nicht nur auf das Wohl der Anwohner:innen ab, sondern soll die Eingriffe durch den Baukörper bestmöglich kompensieren. Demzufolge ist die Bepflanzung naturnah sowie einheimisch und entsprechend an das lokale Klima angepasst – ebenso konnten zahlreiche bestehende Pflanzen wieder- und weiterverwendet werden. Zugleich wurden hier aus alten Ziegeln und Steinen neue Stützmauern erstellt, die vielen Insekten wertvollen Lebensraum bieten. Mit Bedacht wurde zudem die Beleuchtung des Gebäudes umgesetzt, das mit seinem zurückhaltenden Lichtkonzept die Lichtverschmutzung während der Nacht auf ein Minimum reduziert.
Mehr Werte
Weniger ist demnach mehr – vor allem wenn Mehr(wert) im Hinblick auf Nachhaltigkeit gemeint ist. Denn nicht nur angesichts der klimatischen Veränderungen und der voranschreitenden Ressourcenknappheit gilt e, auch auf sozialer Ebene nachhaltig und langfristig zu handeln. Ein Aspekt, von dem sowohl die Mietenden als auch der Vermietende profitieren und durch den qualitatives Wohnen, Leben sowie Handeln durchdacht und konsequent gewährleistet werden können.
© Silvano Pedrett
Weitere Informationen zu dem Büro finden Sie hier.