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Mehr als eine Garage

Vielfältiges Wohnen mit hoher Aufenthaltsqualität: Der transformierte Bestands- und der aus drei Geschossen bestehende Erweiterungskörper organisieren unterschiedlich gelayoutete Stadtwohnungen, die allesamt über differenzierte, gut nutzbare Aussenflächen verfügen. Sublim und vielschichtig verbinden sich hier im verdichteten städtischen Gefüge das Vorhandene und das Neue. 

Der Eingriff für einen reinen Zweckbau aus den 1960er-Jahren umfasste im Kern eine Wohnraumerweiterung mittels Umbau und dreigeschossiger Aufstockung. Entstanden ist ein neues Gefüge, welches die vorhandene Häuserzeile resp. die städtische Kante schliesst. Die Volumenerhöhung leistet ebenso die geforderte Umnutzung vom ehemaligen Garagen- und Werkstattgebäude zu einem reinen Wohnbau. Demzufolge transformieren die Originalgrundrisse und gestaltet sich das äussere Erscheinungsbild neu. Der eigentlichen Planung vorausgegangen ist eine Potentialanalyse und Machbarkeitsstudie. In mehreren Varianten hatte das fürs Bauvorhaben verantwortliche Basler Architekturbüro englerarchitekten gmbh sia mögliche Nutzungsreserven evaluiert; die Volumenaufstockung bedeutet einen Mehrwert für diesen städtischen Ort. 

Das Quartier, in dem der Eingriff stattfand, liegt im Norden von Basel – und ist umgeben von unterschiedlichsten Landschaftsräumen und eigentlicher Urbanität. Westlich des Baufensters befindet sich ein Rangierumschlagsplatz, selbst wiederum am östlichen Rheinufer liegend, das weiter nördlich in den Spickel des Dreiländerecks ausläuft – dort, wo Deutschland, Frankreich und die Schweiz aufeinandertreffen und die Schiffe Richtung Nordsee auslaufen; ein Gebiet, das eigentlicher Dreh- und Angelpunkt der Schweizer Rohstoffversorgung ist. Alles in allem eine ungemein diverse und lebhafte Umgebung, die sich an der Nahtstelle zwischen Hafenquartier, Wiesendamm und dem noch nördlicher gelegenen Stadtquartier Kleinhüningen entfaltet. Mittendrinn ist ein heterogen bebautes Wohngebiet entstanden, das sich mittlerweile auf verdichtetem Raum zu behaupten hat. In diesem Stadtteil wechseln sich Bauten der 1940er/50er-, der 1960er und der 1980er-Jahre ab, die im Einzelnen gut ables- und unterscheidbar sind und zusammen eine geschlossene und gut funktionierende Blockrandbebauung bilden – mit begrünten und vielfältig genutzten Innenhöfen. 

Fünf- und sechsgeschossige Gebäude generieren am Ort eine hohe städtische Kante, in diese hinein der niedrige Zweckbau als einzige «Lücke» gewirkt hat, gewissermassen als Exot. Diese Häuserzeile galt es zu schliessen und damit die bestehenden Nutzungsreserven zu aktivieren. Der Bestandskörper versorgte im erdgeschossigen Bauch mehrere Garagen, deren Tore und ein Werkstattfenster im Obergeschoss mit abgesetzten Brüstungsfeldern die wenig erquickende Architektur prägten. Unterschiedlich helle Grüntöne statteten die vormalige Fassade mit Farbigkeit aus, sodass eine optische Vermittlung mit dem wesentlich grösseren Nachbargebäude zustande kam. In der Neugestaltung der Aussenhülle wird dieses Farbkonzept modern umgesetzt; die Holzverkleidung kontrastiert den farbigen Sockel mit ihrem «erdigen» Ton. Eine äussere Erscheinung mithin, die jene zwei Komponenten ablesen lässt, mit denen sich das Gebilde verändert hat: Einerseits der Umbau der beiden bestehenden Geschosse – andererseits die Aufstockung bzw. Volumenerhöhung um drei weitere Ebenen (zwei Voll- und ein Attikageschoss). 

verhältnisse optimal ins Raumgefüge einzuarbeiten – mit dem hochgesteckten Ziel: zeitgemässe Wohnungsgrundrisse und darüber hinaus eine hohe Aufenthaltsqualität im verdichteten Raum zu schaffen. Dazu gehören ebenso differenzierte, vielseitige, von einander unterscheidbare Wohnungslayouts wie auch gut nutzbare Aussenflächen; Balkone, Loggien, Atrien und Dachterrassen. Denkmalpflegerische Auflagen waren dabei keine zu berücksichtigen. Die vormalige Dachfläche, auf dem Niveau des 2. Obergeschosses, bot sich an für einen «Schaugarten»; eine Dachbegrünung, die für die Wohnung auf diesem Geschoss eine willkommene Erweiterungs- und für den versiegelten erdgeschossigen Innenhof eine ökologische Ausgleichsfläche ermöglicht. Im bestehenden 1. Obergeschoss lassen die eingebauten Loftwohnungen zukünftige Ateliers oder Büroräume zu. Der Umbau greift hier – der Nutzungsvariabilität wegen – auf die gegebenen Strukturen zurück und setzt exemplarisch die Kernprämisse um, welche den Entwurf geleitet hat: «soviel wie möglich vom Bestand zu erhalten – so wenig wie nötig zu ersetzen». Das zusätzliche Atrium in der hinteren Loftwohnung macht durch die grossen, unterschiedlich ausgerichteten Verglasungen vergessen, dass die Wohnung nur einseitig zum Innenhof orientiert ist. Die innenliegenden Bäder in beiden Wohnungen werden jeweils über ein Oblichtglas an der Decke mit Tageslicht versorgt. 

Erhalten blieben die komplette Rohbau-Fassade der bestehenden Substanz sowie die Decke über dem EG, notwendig waren eine neue Decke resp. ein neues Dach über dem 1. OG sowie der Einbau eines Treppenhauskerns mit Liftschacht und Querwand in der Gebäudemitte, um die Erdbebenertüchtigung des Bestandes sicherzustellen. Dieses statisch optimierte und transformierte Gefüge bietet nun Raum für überhohe Loft- bzw. Einraumwohnungen mit durchwegs einheitlicher Gestaltung bei den Oberflächenbelegen. Der industrielle Charakter referenziert dabei die ehemalige Garagen-und Werkstattnutzung. In der hinteren Loftwohnung gliedert das Atrium den Raum und zoniert den Grundriss in einen Wohnbereich, eine Schlafzimmer- und eine Küchennische. Die vordere Loftwohnung inszeniert den Raum mit der Fensterfront über Eck bis hinaus auf die Strassen- und Hofseite. Zudem lässt sich der Grundriss, je nach Lust und Laune der Bewohnerschaft, durch Möbel frei zonieren.

Das brandschutzkonforme Treppenhaus aus Sichtbeton bindet die Bestands- und Aufstockungssubstanz und ermöglicht die barrierefreie Erschliessung. Sein Kern wiederum diente als Auflager für die Holz-Deckenelemente der Aufstockung. Diese hatte ebenso mit minimalem Raum, im Detail mit einer baurechtlich bedingten maximalen Bautiefe von 10 Metern zu operieren. Die Aufstockung reicht mit der Nordfassade bis zur neuen, zentral in die vorhandene Tragstruktur integrierten Querwand und organisiert im 2. und 3. OG Süd-Nord-Wohntypen und durchreichende Tagesräume (Wohnen, Essen, Küche) zwischen angrenzender Quartierstrasse und Hinterhof. Der dreiseitig verglaste Erker verlängert diese Sequenz ebenfalls bis in den Strassenraum hinein. Vom Wohnraum aus werden die Zimmer und das Bad erschlossen; der Grundriss funktioniert ohne reine Erschliessungsflächen wie Gangzonen oder Dielen. Ob der Rückstaffelung der Westfassade im 3.OG (Lichteinfallprofil zum MFH-Nachbargebäude) variiert die Anordnung der Zimmer auf dieser Ebene gegenüber dem 2.OG. Die Studiowohnung im Attikageschoss schliesslich besteht nur aus diesem einen Raum, findet aber durch die Über-Eck-Verglasungen eine Erweiterung auf die nach Westen orientierte Dachterrasse. 

Die diverse und vielseitige Wohnraumlandschaft bildet sich in der äusseren Erscheinung ab, weshalb die Architektur insgesamt auch die Lebhaftigkeit und Diversität dieses städtischen Ortes wiedergibt. Aufstockung und bestehende Substanz vermögen sich zugleich zu einem ausgewogenen Ganzen zu verbinden, in dem die beiden Eingriffskomponenten konsequent ablesbar sind. Inspiration für dieses Gesamtbild hat das Architekturbüro im Objekt «Parasite» im Rotterdamer Hafen der Architekten Korteknie & Stuhlmacher gefunden. Das ebenso ehemalige Werkstattgebäude erweitert sich in der Holländischen Hafenstadt mit einem apfelgrünen Bau, der das bestehende Lagervolumen «besetzt». Ein autarkes Kleingebäude, ein Vorläufer heutiger Tinyhäuser. Genau wie dieses Aufstockungsprojekt soll auch die Wohnraumerweiterung in Basel den Bestand sinnvoll ergänzen, keinesfalls aber überformen. Architekt Thorsten Kuhny weist auf einen der Haupthintergründe hin: «Bestand und Geschichte des Gebäudes sollen jederzeit ablesbar bleiben». Die Aufstockung setzt bewusst einen neuen Akzent, ein die Häuserzeile städtebaulich ergänzendes Element, das den Abschluss zum bestehenden Innenhof bildet. Um das statische Gewicht klein zu halten, hat sich ein Holzbau angeboten. 

Als Sichtschutz gegenüber der Nachbarliegenschaft wurde die Westfassade dieses Holzbaus bis zur Aussenkante der Balkone im Innenhof verlängert. Hier sind die Fenster bewusst als Oblicht (im 2.OG) resp. als raumhohes Fenster hinter einen geschlossenen Brüstungswand (im 3.OG) ausgewählt und platziert, um Einblicke aus der unmittelbaren Nachbarschaft zu minimieren. Auch musste die Westfassade zur Einhaltung des Lichtraumprofils – gegenüber derselben Liegenschaft – im 3.OG und dann noch einmal im 4.OG / Attikageschoss zurückgestaffelt werden. Eine Pergola als Metallkonstruktion zeichnet das Gebäudevolumen nach, wie es ohne die baurechtlich notwendige Rückstaffelung im 3.OG in Erscheinung treten würde; sie erweitert das Thema der Abtreppung und Höhenstaffelung der Holzfassade mit den verzinkten Staktengeländern der Balkone und Dachterrassen. So entsteht eine Gesamtkomposition, die dem Notwendigen neben Sinn und Nutzen auch eine vielschichtige Ästhetik verleiht.

Sich wiederholende, einander aufgreifende Farben verknüpfen harmonisch, über unterschiedliche Bauteile hinweg, Aufstockung und Bestand. Dessen neuinterpretierte, zwei unterschiedliche Grüntöne tauchen bei den Lift- und Wohnungseingangstüren, bei den verschiedenen Einbauten im Treppenhaus sowie als in Szene gesetzte und beleuchtete Brandwand zum Nachbargebäude wieder auf. Ebenso gestaltet das Farbkonzet von Fassade und Treppenhaus die Bäder; der Boden ist mit grauem Feinsteinzeugmosaik und die Wände mit demselben Material, in denselben beiden Grüntönen belegt. 

Das Gebäude «bändigt» verschiedenste Kräfte, die auf die Entwicklung dieses Wohnortes eingewirkt haben und meistert die reduzierten Platzverhältnisse mit Sorgfalt und ausgewogenen Lösungen. Entstanden ist ein Gebilde aus ineinander gehenden und voneinander abgrenzenden Passagen, aus Ablesbarem, Überspieltem – und nicht zuletzt aus Sichtbargemachtem jener geleisteten Nachverdichtung. Sublim verbinden sich hier Vorhandenes und Neues im städtischen Gefüge zu einer optisch eigenwilligen und eigenständigen Kombination, deren prägnante holzige Aufstockung als Aufforderung gedeutet werden kann, mit Stadtraum innovativ umzugehen. 

Text: Lukas Bonauer

© Nic Hahne

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