Leben in digitalen Räumen

Am 27. Februar wurde in Dübendorf die Eröffnung des DFAB House auf dem Nest-Gebäude der Empa gefeiert. Bei der dreistöckigen Unit handelt es sich weltweit um das erste Haus, das nicht nur digital geplant, sondern auch grösstenteils digital umgesetzt wurde. Im Vordergrund stand die Frage, inwiefern Bauprozesse nachhaltiger und effizienter gestaltet werden können. Initiator dieses Projektes ist der ETH-Professor und Gründungsdirektor des Nationalen Forschungsschwerpunktes (NFS) für digitale Fabrikation,

Mathias Kohler. Bei der Umsetzung des DFAB House – DFAB als Abkürzung für die digitale Fabrikation – kamen von der Armierung bis zur Fassade unterschiedlichste Innovationen zum Einsatz. Der Aufbau des DFAB House basiert auf sechs verschiedenen digitalen Bauprozessen, einer wellenförmigen Wand, deren Armierung und Schalung direkt vor Ort von einem Roboter (In Situ Fabricator) hergestellt wurde. Dies ermöglichte anschliessend das Ausfüllen des Stahlgitters mit einer speziellen Betonmischung (Mesh Mould).
Die daraus entstandene Wand ist das tragende Hauptelement einer Betondecke, deren Schalung in einem 3D-Sanddruck erzeugt wurde (Smart Slab). Gemeinsam mit den Fassadenpfosten, bei welchen ein automatisiertes Gleitschalungsverfahren zur Anwendung kam (Smart Dynamic Casting), trägt sie die beiden darüber liegenden Stockwerke. Diese wurden mit einem Holzrahmenbau gefertigt, der ebenfalls mithilfe von Robotern umgesetzt wurde (Spacial Timber Assemblies). Die Fassade der oberen beiden Stockwerke basiert auf dem Prinzip einer lichtdurchlässigen Membran, deren Hohlraum mit Aerogelgranulat befüllt wurde (Transluszente Leichtbaufassade).

Der Bau des Projektes ist nun fertig, doch die Forschung geht weiter: Im DFAB House werden Smarthome-Lösungen entwickelt und mithilfe der Bewohnerinnen und Bewohner direkt vor Ort getestet. Im Zentrum steht nach den digitalen Bauprozessen nun das digitale Zuhause und die Frage, wie sich das alltägliche Leben mithilfe digitaler Anwendungen vereinfachen lässt. Wie die anderen Units des Nest wird auch das DFAB House bewohnt. Damit lassen sich die Innovationen unter realen Bedingungen testen. Zurzeit sind die Verfahren noch mit einem hohen (finanziellen) Aufwand verbunden und auf ihrem jetzigen Entwicklungsstand wohl unterschiedlich geeignet für den Einsatz unter kommerziellen Baubedingungen. Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass dies der Gedanke des Nest-Gebäudes ist – ein Gefäss zu bieten, das es möglich macht, technische Innovationen unter realen Bedingungen zu testen und weiterzuentwickeln.

In Situ Fabricator, Mesh Mould und Smart Dynamic Casting
Begonnen hat der Bau des Projektes mit einem 12  m langen Stahlgitter, das direkt vor Ort von einem Roboter gefertigt wurde. Der In Situ Fabricator, wie dieser umgebungsintelligente Roboter genannt wird, verbiegt und schweisst 6 mm dicken Stahl in vertikalen Schichten zu einem engmaschigen Gitter, das später sowohl als Armierung und auch als Schalung für die Wand dient. Der Vorteil hierbei liegt darin, dass mit diesem Verfahren auch nicht standardisierte Betongeometrien hergestellt werden können. Was zuvor bereits möglich, jedoch mit einem grossen finanziellen und arbeitstechnischen Aufwand verbunden war. Weiter ermöglicht dieses Verfahren eine grössere gestalterische Flexibilität aufgrund der Formenfreiheit sowie das Bauen von Wänden, die statisch besonders effizient sind.

So schützt die wellenförmige Struktur, die auch eine rein stilistische Komponente hat, später vor dem Einknicken der Wand. Das Stahlgitter wird in einem nächsten Schritt mit einer speziellen Betonmischung gefüllt und anschliessend von Hand glatt gestrichen. Die engen Maschen verhindern hierbei ein Ausfliessen des Betons – dadurch kann die Menge an anfallendem Bauabfall besonders gering gehalten werden. Dieses Verfahren trägt den Namen Mesh Mould und ermöglicht es, die Wand zum tragenden Hauptelement der darüberliegenden Stockwerksdecke zu machen. Gemeinsam tragen die beiden Elemente die Last der oberen Geschosse bei einem Gewicht von circa 100  t.

Die Fassadenpfosten (vgl. S. 83)  für dieses Geschoss wurden in einem robotergesteuerten Gleitschalungsverfahren hergestellt. Hierbei wird eine Betonmasse mit besonders kurzer Abbindezeit in ein Schalungssegment gefüllt, das bedeutend kleiner ist als der herzustellende Pfosten selbst. Dieses Segment wird in einem automatisierten Prozess entlang der Armierung kontinuierlich nach oben gezogen, während der Beton im Übergang zum harten Material geformt werden kann – daher der Name Smart Dynamic Casting. Auch dieses Verfahren geht das Problem der Herstellung nicht standardisierter Schalungen an und hat den positiven Nebeneffekt, dass das gleiche Schalungssegment zur Herstellung verschieden geformter Fassadenpfosten wiederverwendet werden kann. 15 dieser Fassadenpfosten wurden für das DFAB House entwickelt, wobei ihre Position im Gebäude so berechnet wurde, dass der Querschnitt minimal gehalten werden kann, während die Tragfähigkeit bestehen bleibt.

Wenn es um die Zukunft des Bauens geht, wird die digitale Planung schnell zum Thema. Die Werkzeuge dafür werden immer raffinierter und etablieren sich langsam im Alltag. Doch wie steht es um die digitale Fertigung? Noch sind Roboter auf der Baustelle Exoten – in Dübendorf konnten sie jetzt ein erstes Mal das Zepter übernehmen.

Smart Slab
Eine 78  m2 grosse Leichtbau-Betonplatte trägt den Holzbau der beiden darüberliegenden Stockwerke. Die Decke besteht aus elf vorproduzierten Segmenten, die mithilfe von Spannkabeln miteinander verbunden sind. Da die Entwicklung in Bezug auf Grösse und Auflösung 3D-gedruckter Produkte stark vorangeschritten ist, war es möglich, die Schalung der Decke mit einem 3D-Sanddruck herzustellen – ein Verfahren, das so weltweit zum ersten Mal zum Einsatz kam. Wie beim Mesh Mould liegt der Vorteil in der vollkommenen geometrischen Freiheit. Diese Freiheit erlaubt einerseits einen formalen Reichtum bei der Gestaltung der Decken, mehr noch lässt sie sich in der statischen Wirksamkeit der Decke nutzen.

Die Decke weist nur dort Material auf, wo es für die Tragfähigkeit auch benötigt wird. Zu diesem Thema wird an verschiedenen Hochschulen und mit unterschiedlichen Ansätzen geforscht, zum Beispiel mit dem Gradientenbeton. Zusätzlich bietet Smart Slab die Möglichkeit, Elemente der Gebäudetechnik wie Sprinkleranlagen oder Beleuchtung direkt in die Decke einzubinden. Dies ermöglicht die Reduzierung der Bauhöhe und verringert zusätzlichen Aufwand bei der Installation der Anlagen. Auch konnte die Decke statisch so weit optimiert werden, dass sie mit einem Gewicht von circa 15  t beinahe 70 Prozent leichter ist als eine konventionelle Massivbetondecke. Da die Decke teilweise bis zu 4,5 m über die tragende Wand hinausragt, wird der Lastfall zu einer besonderen Herausforderung in der Konstruktion.

Um eine optimale Gewichtsverteilung zu erreichen, basiert die Geometrie auf einem System hierarchisch angeordneter Rippen. Die Hauptrippen laufen parallel zueinander und umschliessen gewölbte Betonfelder verschiedener Tiefen. Dieses Raster sorgt für maximale Stabilität und verleiht der Decke ihren ästhetischen Charakter. Denn der Gedanke der Rippen wurde auch in der Gestaltung aufgenommen – so umspielen kleinere Rippenversionen nun die rechteckigen Felder, was der Decke optisch eine Dynamik gibt und entfernt an die Werke des vor fünf Jahren verstorbenen Künstlers HR Giger erinnert.

Zweistöckiger Holzrahmenbau / Spatial Timber Assembly
Während das unterste Geschoss von der Ästhetik des vorherrschenden Betons geprägt ist, wandelt sich die Atmosphäre im Raum merklich beim Übertritt in die beiden oberen Stockwerke. Für diese Geschosse wurde ein Holzrahmenbau entwickelt, dessen Module in einem roboterbasierten Vorfabrikationsprozess gefertigt wurden. Der Roboter greift sich dazu den Holzbalken, positioniert ihn richtig auf einer computergesteuerten Fräse und bohrt sämtliche Löcher, die für die Montage benötigt werden. Ein weiterer Roboter positioniert schliesslich den bearbeiteten Balken im Raum, wo er von einem Menschen festgeschraubt wird. Mithilfe der Roboter können Holzmodule jeden Komplexitätsgrads bedarfssynchron produziert werden, was die Montage auf der Baustelle vereinfacht.

Auch werden bei dieser Produktionsweise keine weiteren Verstärkungsplatten benötigt, da die Konstruktion der Holzrahmen seitliche Lasten selbst tragen kann, wodurch Gewicht eingespart wird. Die Steifigkeit dieses Holzrahmenbaus eröffnet die Möglichkeit, unkonventionelle Materialien zu verwenden, und veranlasste die Forschenden dazu, ein ganzheitliches Fassadensystem zu entwickeln. Die Fassade des zweistöckigen Holzbaus basiert auf dem Prinzip einer lichtdurchlässigen Membran. Dazu wird der Hohlraum zweier durch Aluminiumprofile gehaltener Membranen mit Aerogelgranulat befüllt. Aerogel hat eine sehr tiefe Wärmeleitfähigkeit und eignet sich daher besonders als Wärmedämmung bei dünnen Lagen.

Mithilfe einer speziellen Aufbereitungstechnik können die Aerogelpartikel verdichtet werden und dienen somit als Wärmedämmung, während das Licht der Umgebung ins Innere des Gebäudes dringen kann. Die Membran wird die Fassade entlang mit Stahlseilen abgespannt, damit die Auslenkung der äusseren Membran bei Windsog kontrolliert werden kann. Die doppelt gekrümmte Oberfläche lenkt zusätzlich wirkende Kräfte an die Auflager weiter und ist eine weitere Komponente für die Statik der Fassade. Da das Licht der Umgebung ins Innere des Gebäudes dringen kann, befindet sich die Atmosphäre der Räume in konstanter Veränderung. Dies erhöht das Bewusstsein für die Umgebungsbedingungen, was für den Körper im Bezug auf das Tageslicht zwar sehr gesund sein kann, aufgrund der dynamischen Lichtverhältnisse allerdings gewöhnungsbedürftig ist.

Text: Géraldine Waespi

www.dfabhouse.ch
www.dfab.ch/de

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