Im Gespräch mit Balthasar Wirz

„Gute Architektur ist dauerhaft und daher über Generationen beständig“ (Balthasar Wirz) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.

Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
In meinem aktuellen Berufsalltag beschäftigen mich derzeit grosse Wettbewerbe zu Schulhäusern, Sportstätten und weiteren öffentlichen Bauten. Daneben nehmen mich auch kleinere Bauprojekte wie die Sanierung eines Mehrfamilienhauses in Basel mit einer speziellen, vorgehängten Fassade sowie Pavillonbauten auf dem Gelände des Goetheanums, des Zentrums der anthroposophischen Bewegung, in Dornach ein. Unserer doch facettenreichen Arbeit liegt jeweils eine vertiefte Analyse der Aufgabe und des örtlichen Kontexts zugrunde, die uns die Erarbeitung eines klaren und eigenständigen Konzepts ermöglicht.

Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Auf meiner Reise nach São Paulo letzten Herbst war ich angetan vom Reichtum und von der Dichte schöner Architektur in dieser Grossstadt. Entlang der Avenida Paulista reiht sich ein ikonografisches Bauwerk nach dem anderen. Das Kunstmuseum von Lina Bo Bardi mit dem stützenfreien Innenraum beeindruckt gleichermassen wie die gross offene Treppe des Gazeta oder die lässige Grossmassstäblichkeit des Conjunto Nacional. Trotz hoher baulicher Dichte schaffen diese Bauwerke Freiräume, welche dem Strassenraum lokal mehr Weite verleihen und von der Öffentlichkeit vielseitig genutzt werden können.

Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Neue Technologien und Materialien eröffnen neue Konstruktions- und Gestaltungsmöglichkeiten. Andersherum muss das Angebot der steigenden Nachfrage gerecht werden, sodass momentan beispielsweise das Angebot – und somit die Gestaltungsmöglichkeiten – bei Solardächern und -ziegeln sich enorm entwickeln.
Sich ändernde Auswahlkriterien führen ebenfalls zu neuen Materialien, oder zumindest zu neuartigem Einsatz von gängigen Baustoffen. Herkunft, Rückbaubarkeit und CO2-Bilanz erhalten bei Bauherrschaften und Architekt:innen immer mehr Gewicht in der Materialwahl. So setzen wir beispielsweise roh belassene Materialien wie unlackierte Oberflächen oder geschraubte statt verklebte Holzverbindungen vermehrt ein. Dieser neue Einsatz von bekannten Materialien mag durchaus eine neue Architektursprache erzeugen.

Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Schönheit findet sich in einem Sonnenuntergang, einer attraktiven Person oder einem Kunstwerk. Meine Idee einer ästhetischen Schönheit in gedachter oder gebauter Architektur entspricht einer Vielschichtigkeit von unterschiedlichen, sich im Dialog miteinander befindenden Elementen. So wie sich mehr Schönheit in einem lebhaften Stadtquartier als in einer menschenleeren Planstadt finden lässt.

Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Gute Architektur entsteht in einer Symbiose ihrer Nutzbarkeit, schöner Gestaltung sowie einer sinnhaften Konstruktion.

Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Architekturschaffende sind Multitasker, Alleskönner:innen und Generalist:innen. Unser Beruf besteht darin, unterschiedliche Wünsche und Einflüsse zu einem stimmigen Ganzen zusammenzuführen und das daraus entstehende Bauprojekt unter Mitwirkung von vielen Beteiligten umzusetzen. Architekt:innen sollen gut zuhören, sensibel die Umwelt wahrnehmen und pragmatisch handeln können.

Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Als Dienstleistende sind wir Teil des Bausektors. Als Künstler:innen haben wir den Anspruch, zeitgenössische Lösungen in Form von Bauwerken als Antwort auf die Wünsche unserer Kund:innen zu liefern. Wir müssen uns dessen bewusst sein, dass unser Handlungsspielraum in der Verantwortung steht, nachhaltige, ressourcenschonende und umweltverträgliche Projekte zu schaffen.

Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Mit Gesetzgebung, Raumplanung und öffentlichen Aufträgen nimmt die Politik Einfluss auf die Baukultur und übt somit Einfluss auf die Architektur aus. Mir stellt sich die Gegenfrage: Welche Rolle sollen wir Architekt:innen gegenüber der Politik spielen? Ich finde, wir sollten mehr Mut haben, uns zu politischen und gesellschaftlichen Themen zu positionieren und zu äussern. Mehr Mitsprache in der Politik führt schlussendlich zu mehr Freiheiten für architektonische Visionen, Entwürfe und deren Umsetzung. 

Kann Architektur die Welt verbessern?
Die Gesellschaft und deren Zeitgeist bringen die jeweilige Architektur hervor. Gute Architektur ist dauerhaft und somit über Generationen beständig. Gute Architektur kann beispielsweise im Sinne einer therapeutischen Wirkung die Welt verbessern, indem sie Nutzenden angenehme, wohltuende, Geborgenheit bringende Räume schafft. Architekt:innen können somit in gewisser Weise die Welt verbessern, indem sie mit den zuvor geäusserten Tugenden sorgfältig geplante, nachhaltige Bauwerke schaffen.

Weitere Informationen zu dem Büro finden Sie hier.

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