„Gebäude sind Architektur.“ (Oliver Christen) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Zurzeit beschäftigen mich verschiedenartige Aufgaben in unterschiedlichen Massstäben. Allen gemein ist der Wunsch nach Klarheit in der Architektursprache, das Suchen nach Geborgenheit im Raum und das Bestreben nach Nachhaltigkeit in einer ganzheitlichen Betrachtung. Damit meine ich sowohl ökologische Nachhaltigkeiten wie auch baukulturelle Sorgfalt und soziokulturelle Rücksichtsnahme in Bezug auf den Lebensraum und die regionalen Identitäten.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Ich war vor kurzem im Tessin und einmal mehr beeindruckt von Luigi Snozzis Interventionen in Monte Carasso. Wie er da den Bestand gelesen, verstanden und interpretiert hat, zeugt für mich von hoher Sensibilität und einem eindrücklichen architektonischen Verständnis. Auch Jahre nach der Erstellung lebt der Ort und ist moderner denn je.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
In meiner Architektur arbeite ich ausschliesslich mit ehrlichen, echten und natürlichen Materialien. Dabei interessiert mich deren Haptik, die materiellen Eigenschaften und die ästhetische Wahrnehmung. Das Entdecken noch unbekannter Materialien ist für mich jeweils sehr aufregend, und ich suche je nach Architektursprache nach dem dafür geeigneten Material. Jeder Entwurf hat seine Materialisierung, unabhängig ob neuartig oder altbewährt.
Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Ein Architekt sollte aufmerksam zuhören und hinsehen können. Dabei gilt es, den Bedürfnissen der Bauträger und dem Ort der Intervention gerecht zu werden, aber auch das Wahrgenommene zu verstehen und eventuell zu hinterfragen. Wenn aus der Idee ein Projekt und daraus ein Gebäude entsteht, lohnt es sich, für überzeugende Lösungen zu kämpfen, denn nur in der Klarheit und Konsequenz kann Architektur aus meiner Sicht überzeugen.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Schönheit in der Architektur ist für mich das Zusammenspiel der Dinge. Wenn aus verschiedenen Elementen eine Komposition entsteht und harmonische Proportionen, ehrliches Material, sorgfältige Tektonik, passgenaues Handwerk, natürliches Licht und Ort zusammentreffen. In meinen eigenen Arbeiten umschreibe ich dies mit der Suche nach der poetischen Qualität im architektonischen Raum.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Gebäude sind Architektur. Die Frage stellt sich mir mehr, wann die Architektur auch einen Mehrwert darstellt. Dies zeigt sich mir insbesondere in der Eingliederung, im respektvollen Umgang mit dem Vorhandenen, im Aufgreifen von lokalen oder gebäudespezifischen Identitäten und daraus der Ableitung und Interpretation. Aber auch in der Sorgfalt einer starken Idee und in der konsequenten, wohlüberlegten Umsetzung.
Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Architekten tragen mit ihrem Schaffen zur Gestaltung und Ausformulierung des Lebensraums bei. Dementsprechend wichtig sind sorgfältige, angemessene und qualitätsvolle Interventionen. Denn unsere Bauwerke überdauern die sich wandelnden Tendenzen in der Gesellschaft. Architekten haben demnach eine Verantwortung, gut nutz- und wandelbare, aber auch zukunftsfähige Architektur zu erschaffen, die sowohl identitätsstiftend sein kann oder sich subtil in den Kontext einfügt.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Die Politik sollte Anreize schaffen, damit Architekten – auch mit neuen, unkonventionellen Ansätzen – den heutigen Anforderungen an Nachhaltigkeit und Raumplanung gerecht werden können. Es gibt derzeit viele Ideen zu einer nachhaltigeren Architektur, doch scheitern diese oftmals an Normen und Gesetzen, die beispielsweise den Wohnkomfort definieren. Aus diesem Grund erachte ich es als notwendig, dass bestehende Vorgaben hinterfragt und eventuell themenspezifisch angepasst würden. Im Weiteren sehe ich zwingenden Nachholbedarf bei der Aufklärung von möglichen Bauherrschaften hinsichtlich nachhaltigerer Bausysteme, die langlebig und rezyklierbar sind, einen tiefen Grauwert aufweisen und die Natur nicht durch Inhaltsstoffe belasten. Leider stelle ich nach wie vor fest, dass Nachhaltigkeit, entgegen der eigentlichen Begriffsbedeutung, oft nur kurzfristig gedacht wird.
Kann Architektur die Welt verbessern?
Durch sensible Interventionen, das Aufgreifen und Erhalten vorhandener Identitäten oder durch das Erschaffen neuer Orte mit Aufenthaltsqualität ermöglicht Architektur einen Mehrwert im Lebensraum. Es entstehen Räume, die Geborgenheit ausstrahlen, und solche, die Menschen zusammenbringen. Die Ästhetik steht im Zusammenspiel mit der Funktion, die Konstruktion im Zusammenspiel mit gesellschaftspolitischen Tendenzen. Insofern kann Architektur durchaus dazu beitragen, die Wahrnehmung auf die Welt zu verbessern.
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