“Die Architektur ist immer auch Abbild der Gesellschaft.” (Marazzi Reinhardt) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Wir sind als Büro bewusst breit aufgestellt und bearbeiten gleichzeitig immer ca. 20 Projekte, die meisten davon in sensibler Umgebung. Wir bauen im und am Bestand, selten auf der grünen Wiese. Vom neuen Carport in historischer Umgebung über die Sanierung eines wertvollen Bauzeugen aus den 70er-Jahren bis zu einer Überbauung mit elf Eigentumswohnungen in der Kernzone ist alles dabei. Wir erhalten die meisten Aufträge als Direktmandate und nehmen nur selten an Wettbewerben teil. Das gibt uns die Möglichkeit, zusammen mit den Auftraggebern in einem Prozess Lösungen zu entwickeln.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Die Scuola media Riva San Vitale von Giancarlo Durisch. Das 1982 errichtete Gebäude überzeugt durch eine einfache, aber raffiniert kombinierte Geometrie, welche aus den jahrhundertealten Vorbildern des Ortes abgeleitet wurde. Mit einfachen Mitteln werden beeindruckende Räume geschaffen, welche zusammen mit der nüchternen Materialisierung ein eindrückliches Ganzes ergeben.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Neue Materialien sind immer auch eine Chance, dürfen jedoch nicht allein Ausdruck einer Architektursprache sein. Möglichkeiten zu erkennen und richtig einzuschätzen, ist die Aufgabe des Architekten. Wir beobachten, dass aufgrund der komplexen und festgefahrenen Prozesse beim Bauen ArchitektInnen tendenziell beim Bewährten bleiben. Es ist jedoch immer wieder bereichernd, bekannte Materialien in alternativen Nutzungen und Kontexten einzusetzen und so neues Potenzial freizulegen.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Damit Schönheit entstehen kann, müssen verschiedene Faktoren zusammenspielen. Welche und in welcher Kombination, ist das grosse Mysterium, welches wir ein Leben lang zu lösen versuchen! Es ist unsere Aufgabe, wenn Schönheit passiert, diese auch zu erkennen.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Wenn Ort, Programm, Bedürfnisse der Nutzer, Material und Handwerk zu Raum orchestriert werden.
Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Verantwortung tragen gegenüber dem Nutzer, dem Bauwerk, dem Ort, der Umwelt und der Gesellschaft.
Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Die Baukultur ist ein wichtiger Identitätsfaktor der Gesellschaft. Dieser Identität Sorge zu tragen, sie weiterzuentwickeln und zu vermitteln, ist unsere Aufgabe.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Die Architektur kann für viele aktuelle Themen wie z. B. den Klimawandel konkrete Vorschläge machen. Als Generalist müssen wir die Fähigkeit haben, Themen gesamtheitlich beurteilen zu können, ohne von politischen Ränkespielen vereinnahmt zu werden. Wir ArchitektInnen sollten uns daher mehr in die aktuellen Diskussionen einbringen. Als Vorstandmitglied des Forums Architektur Winterthur versuchen wir dies im Alltag einzulösen.
Kann Architektur die Welt verbessern?
Die Architektur ist immer auch Abbild der Gesellschaft. Wir ArchitektInnen dürfen uns nicht zu wichtig nehmen, aber im Kleinen kann die Architektur die Welt zu einem sinnstiftenden, poetischen, erhabenen Ort machen. Das zu erleben, treibt uns an.
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