• PLANEN, BAUEN, WOHNEN, LEBEN IN ZUKUNFT THE FUTURE IS PINK

Im Gespräch mit Luca Selva

„Es gibt keine für immer gültigen Lösungen.“ (Luca Selva) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.

Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Wir lieben es, dass wir ein breites Spektrum von ganz kleinen und sehr grossen Projekten haben, welche die Architektur in ihrer ganzen Breite abbilden: von einer neuen Tür in einem denkmalgeschützten Gerichtsgebäude in der Basler Innenstadt zu internationalen Projekten mit der Planung von ganzen Quartieren mit Hunderten von Wohnungen. Ich schreibe diese Zeilen gerade im Intercity nach Köln, wo uns verschiedene Projekte schon seit Jahren beschäftigen. In diesem Fall geht es um ein Projekt, das wir schon 2016 entwickelt haben und seither aus mir nicht immer einleuchtenden Gründen nicht weiterverfolgt wurde. Das Projekt sieht insgesamt 250 Wohnungen und Häuser für rund 500 Menschen vor, ist in einem leichten – durch Jörn Utzon inspirierten – Duktus entwickelt worden. Jetzt wurde die Planung mit Blick auf die neuen Herausforderungen von Stadtentwicklung in Zeiten des Klimawandels wieder infrage gestellt, und wir fangen wieder ganz von vorne an. Ärger? Nein! Was für ein Privileg, an den eigenen Projekten wieder lernen zu können und allen Erkenntnisgewinn wieder am gleichen Ort ein neues Projekt in diesen aktuell sich zeigenden kulturell-ökologischen Kontext zu tragen. Das lehrt uns im Büro immer wieder, dass die Lösungen eng mit der Zeit ihrer Entstehung verknüpft sind und es keine für immer gültigen Lösungen gibt. Und es gibt ein Besser oder Schlechter, aber kein Richtig oder Falsch. 

Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Ich war vor kurzem auf Sizilien und habe mich mit der griechischen Architektur intensiv befasst. Dabei fallen vor allem jene Beispiele auf, die über die Jahrhunderte und Jahrtausende adaptiert, ergänzt, umgenutzt und verändert wurden, starke Architekturen, die in neuen Kulturen mit neuen Nutzungen weiterleben. Ein solches Beispiel ist die Kathedrale in Syrakus, die auf einem der Göttin Athene geweihten Tempel aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. aufgebaut wurde. Dieser dorische Tempel wurde in seiner Struktur 1500 Jahre später in eine Basilika übergeführt. Die Cellawände werden  aufgebrochen, und diese Cella – der intimste Raum im griechischen Tempel – wird zum Hauptschiff einer christlichen Basilika. Wände fügen sich zwischen den dorischen Säulen, die Proportionen, Materialien, ja auch die Seele der griechischen Architektur bleibt wahrnehmbar. Nach weiteren 800 Jahren sorgt ein Eingangsportal für eine dannzumal zeitgemässe Einbindung in den neu entstandenen barocken Kontext der Piazza del Duomo. Wunderbar, selten hat mich Architektur so berührt!

Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Alle Materialien haben kulturelle, chemische und physische Eigenschaften und sind in einem Zyklus von Rohstoffgewinnung, Produktion, Nutzen und Rückbau oder Entsorgung zu betrachten. Ob neuartig oder nicht, wir müssen die Materialien kennen und sie in Kenntnis ihrer Eigenschaften, ihrer Lebensdauer, ihrer Wiederverwendbarkeit und auch ihrer Anmutung verwenden. 

Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Immer noch in diesem ICE nach Köln, die Wolken reissen nach einem Schauer auf, die wunderbare Herbstfärbung der Bäume, weich gebettete Dörfer, warmes Abendlicht. Schönheit pur, wunderbar, betörend. Das kann auch Architektur. Erinnern wir uns an das Atlantikbad aus den 1960er Jahren von Alvaro Siza bei Porto. Ein paar Wände im Meer, das Wasser mit Ebbe und Flut, welche Poesie, welche grossartige Schönheit. Und welche Bescheidenheit! Und mit dem Leben verbunden!

Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Ist es nicht anmassend, darüber zu entscheiden, wo Bauen aufhört und sogenannte Architektur anfängt? Ein Gebäude ist immer Architektur, es ist einfach manchmal besser, manchmal weniger gut. Manche verbinden sich mit dem Leben, andere tun es weniger. Manche interessieren mich mehr, andere weniger. Und bei anderen ist es anders. Nicht mehr und nicht weniger!

Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Wahrscheinlich sollten wir uns vom Bild des tugendhaften Architekten, der sich als einsamer Kämpfer der Unbill der Welt widersetzt, verabschieden. Ein Architekt ist heute auch Architektin, der oder die sich im Team mit den Fragen einer zukunftsfähigen Architektur beschäftigt und als neugierige und leidenschaftliche Forscherin oder Forscher vorbehaltlos um Antworten auf die riesigen Herausforderungen für unsere Zukunft ringt und sich so mit dem richtigen Leben mit den wichtigen Fragen verbindet.

Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Die Architektin und der Architekt sind mit ihrer Arbeit Teil der Bauindustrie, welche für einen wichtigen Beitrag des globalen CO2-Ausstosses Verantwortung trägt. Unsere Rolle als Architektin oder Architekt ist im Spannungsfeld von Klimawandel und verantwortungsvollem Umgang mit den endlichen Ressourcen zu finden. Hier gilt weniger wirklich mehr, hier gilt es, unser generalistisches Talent einzusetzen, hier gilt es, mit allen Akteuren an Antworten auf diese entscheidenden Fragen zu arbeiten. 

Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Es fällt in erster Linie der Politik die Aufgabe zu, die Voraussetzungen zu schaffen, um die Klimaziele erreichen zu können. Da der schonungsvolle Umgang mit dem Bestand eine der wichtigen Ressourcen einer umfassenden Nachhaltigkeit darstellt, wäre es entscheidend, dass die technischen, seismischen und energetischen Anforderungen an den Bestand in einem Mass gehalten werden, dass es auch künftig möglich
sein wird, den Bestand zu ertüchtigen, um die ökologisch immer anspruchsvollen Ersatzbauten zu minimieren. In diesem Sinn sind raumplanerisch die Voraussetzungen zu schaffen, dass eine Verdichtung auch mit Anpassungen und Erweiterungen von Bestandesbauten geschehen kann, so wie uns dies die wunderbaren Beispiele von Lacaton Vassal in Bordeaux nachdrücklich zeigen.

Kann Architektur die Welt verbessern?
Die ArchitektInnen sind im Sinne des vorher Beschriebenen Teil der Lösung. Darum ein entschiedenes Ja!

Weitere Informationen zu dem Büro finden Sie hier.

Meistgelesen

Meistgelesen