„Es geht um Einfachheit, Harmonie und gute Proportionen“ (Knüselleibundgut Architektur) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Soeben konnten wir die Korridormöblierung des Schulhauses Bruderholz in Basel fertigstellen. Die Pavillonschule aus der Nachkriegsmoderne von Hermann Baur erhielt neben neuen Garderobenbänken auch Lernsalons, die einen intimeren, wohnlicheren Bereich für Einzel- und Gruppenarbeiten in den Bestandskorridoren bilden. Zudem sind wir gerade in den letzten Zügen eines Umbaus in der Altstadt von Solothurn. Das Haus aus dem 16. Jahrhundert war eine Wundertüte. Wie bei einer Zwiebel wurde Schicht um Schicht entfernt und vor Ort entschieden, ob die zum Vorschein gekommene Schicht belassen oder eine Nächste entfernt werden soll. Dies verhalf dem Haus zu mehr Raumhöhe, Licht und Luft. Gleichzeitig führen die zum Vorschein gekommenen historischen Bauteile zu sehr stimmungs- und qualitätsvollen Innenräumen. Der respektvolle Umgang mit diesen historischen Bauten verlangt viel Feingefühl und ist für uns sehr inspirierend. Weiter beschäftigen wir uns in laufenden Wettbewerbsprojekten mit der Aufwertung eines Dorfkerns im Luzerner Umland sowie einem Ersatzneubau für ein Ausflugsrestaurant. Die unterschiedlichen Mass-stäbe und Eingriffstiefen machen unsere Arbeit sehr abwechslungsreich.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Auf dem Weg in den Süden begeistert uns, alle Jahre wieder, das Alte Hospiz auf dem Gotthardpass. Das Haus strahlt eine unglaubliche Selbstverständlichkeit aus – als ob es schon immer dagestanden hätte und für immer stehen bleiben würde. Die Form des Daches und die mächtige Westfassade, in Kombination mit der naturgewaltigen und geschichtsträchtigen Umgebung, verleihen dem Haus eine grosse Kraft.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Wir setzen auf materielle und konstruktive Integrität und auf das genaue Beobachten von vorhandenen Qualitäten. Uns interessieren handwerklich bewährte Detaillösungen mehr als die materielle Innovation – immer mit der Absicht, möglichst eine Langlebigkeit zu erreichen. Mit viel Freude zeigen wir, wo immer möglich, die natürliche Schönheit des Materials und seinen Alterungsprozess. Inwiefern die unendlichen materiellen Möglichkeiten auch zum Problem werden können, sieht man an vielen dörflichen Einfamilienhausquartieren. Die Selbstverwirklichung jedes einzelnen Bauherrn oder Architekten und die Tendenz, dass jedes Gebäude für sich speziell sein will, führt dazu, dass kein Miteinander der Bauwerke und somit an diesen Orten auch keine stimmungsvollen, behaglichen Zwischenräume entstehen.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Für uns gibt es sowohl die natürliche als auch die erschaffene Schönheit. Letztere wird in unseren Augen dann ablesbar, wenn eine Freude oder Passion des Erschaffenden sichtbar ist, wenn man sieht, dass die Details nicht zufällig entstanden sind, sondern mit viel Liebe zum Material, zum Ort oder zur Aufgabe entwickelt. Es geht dabei um Einfachheit, Harmonie und gute Proportionen. Dies gilt sowohl für alle Alltagsgegenstände, die Mode als auch die Architektur. Im Sinne von Kant gefällt uns der Gedanke, dass etwas schön ist, wenn es ein stimmiges Ganzes ergibt, dem man nichts hinzufügen oder wegnehmen möchte.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Eine einfache, aus unserer Sicht gültige Definition könnte sein: Ein Bauwerk wird zur Architektur, wenn es die Menschen, die es benutzen oder betrachten, in einer einfachen Weise emotional berührt – wenn ein Bauwerk die Sinne anspricht.
Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Es gibt sehr verschiedene Aufgabenbereiche in der Architektur, die unterschiedliche Tugenden und Herangehensweisen bedingen. Doch Begeisterungsfähigkeit, Ausdauer und etwas Bescheidenheit sind oft hilfreich. Wir haben festgestellt, dass uns Architektur als Selbstzweck fremd ist. Vielmehr interessiert uns das Aufgreifen und das Stärken von vorhandenen Qualitäten, immer im nahen Austausch mit den Menschen, für die gebaut wird.
Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Als Architekten haben wir die Aufgabe, dem Bauherrn und Laien aufzuzeigen, dass gute Orte und Baukultur nicht durch gebaute, maximierte Ausnützung entsteht. Wir sollten uns der Herausforderung stellen, zugunsten der Raumwirkung auch mal nicht die ökonomischste Variante zu verfolgen. Darum versuchen wir die Leute zu sensibilisieren und für eine gute Baukultur zu begeistern. Der räumliche und gestalterische Einfluss eines Bauwerks, das im besten Fall mehrere Generationen überdauert, sollte unserer Ansicht nach höher gewichtet werden als der kurzfristige ökonomische Profit, hier gilt es, viel Vermittlungs- und Aufklärungsarbeit zu leisten.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Mit der Erklärung von Davos aus dem Jahr 2018 wurde seitens der Politik ein schöner Grundstein gelegt, welcher die Wichtigkeit von gebauter Umwelt auf die Gesellschaft beschreibt und anleitet, wie eine höhere Baukultur zu erreichen ist. Viele Ansätze wie die verantwortungsbewusste Bodennutzung, die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum oder eine Anleitung zur bewussten und debattierten Gestaltung für alle baulichen Tätigkeiten begrüssen wir sehr. Wie bei allen Feldern liegt der Ball auch bei uns Architekten, die vermehrt in die Politik müssten, damit die Politik eine entscheidende Rolle bei der Förderung von Baukultur einnehmen kann. Gleichzeitig braucht es dringend fachliches Engagement in den einzelnen – auch kleineren und ländlicheren – Gemeinden und Gremien.
Kann Architektur die Welt verbessern?
Ja, im Idealfall führt gute Architektur zu einer Erhöhung der Lebensqualität, zu Sicherheit und Geborgenheit, und im besten Fall kann sie Identität stiften. Wir verfolgen die Absicht, gut alternde Häuser zu bauen, die auch spätere Generationen durch ihre Wertigkeit überzeugen und daher die Möglichkeit geben, in Zukunft renoviert und revitalisiert zu werden, um so der Wegwerfgesellschaft entgegenzuwirken.
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