“Schönes muss entdeckt und entwickelt werden.” (Ilai) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Zurzeit sind wir an einem Umbau eines Einfamilienhauses von 1920, welches 2002 einmal grundsätzlich umgebaut wurde. Die Bedürfnisse der Familie haben sich mit der Zeit verändert, die Töchter wurden erwachsen, und Menschen leben heute anders als vor 25 Jahren. Nun dürfen wir dem Haus ein erweitertes Leben ermöglichen und allen Freude machen. Gleichzeitig sind wir am Entwurf einer Aufstockung / energetischen Sanierung für ein Mehrfamilienhaus aus den 40er-Jahren. Die Idee, dass sich mit der neuen BZO (welche zwar eher noch etwas konservativ angelegt ist) bestehende Gebäude mit grosszügigen Aufstockungen verdichten lassen, hat einen grossen Reiz. Wir denken dabei an das wunderbare Stadtbild von Wien, wo es sich teils anfühlt, wie wenn auf das ursprüngliche Gebäude noch ein komplettes Gebäude daraufgestellt wurde und dass das mit Humor und Augenzwinkern geschah. Beide Projekte werden energetisch saniert, was für die Bauherr:innen auch entscheidender Motivationsfaktor war.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Auf einem unserer Stadtspaziergänge haben wir ein postmodernes Mehrfamilien-Backsteinhaus entdeckt, welches nicht so richtig zur Zwinglistadt Zürich passt. Das utilitäre Erdgeschoss mit Garageneinfahrt ist grandios, alle möglichen Konflikte zwischen Fussgänger und Automobil wurden über liebevollste Details intelligent gelöst, sodass quasi intuitiv alles richtig läuft. Zusätzlich wurde der Stadtraum mit dem Privatraum der Parzelle ineinander verzahnt. Es ist offensichtlich, dass das Gebäude von den Eigentümer:innen wie auch den Bewohner:innen geschätzt wird. Obwohl es sicher über 30 Jahre alt ist, befindet es sich in einwandfreiem Zustand. Wir sind noch immer auf der Suche der Autor:innen…
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Eigentlich sind die Hauptmaterialien dieselben geblieben: Holz, Beton, Stahl, Glas, Klinker, die in den Extrembereichen der Anwendungen modifiziert wurden. Was sich ändert, sogar schneller ändert, sind die Sicherheitsmargen hinsichtlich der immer engmaschigeren Normen, was das Gebaute uniformer macht. Aber wir betrachten das als Herausforderung, auch gute Partner fürs Bauen zu finden. Das Einzige genannte Material, welches bei der Herstellung ohne grosse Mengen von Hitze auskommt, ist Holz. Holz mit seinen hochtechnologisierten Fabrikationsprozessen gehört heute für uns von Anfang an mitgedacht. Wird der Entwurf durch neuartige Materialien beschränkt, hat man sich nicht genug der Neugier der Möglichkeiten verschrieben.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Wenn wir machen, was wir machen, gehen wir nicht von einem Schönheitsideal aus, für uns muss das Schöne entdeckt und entwickelt werden. Die Schönheit ist ein Feld der Menschlichkeit. Darum kann man Schönheit und Ethik nicht trennen. Schönheit zu definieren, liegt uns fern, aber Eigenwilligkeit ist hübsch.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Architektur ist für uns kein Qualitätsbegriff. Architektur ist eine Art, über gewisse Bedürfnisse der Menschen nachzudenken, und dieser Begriff ist natürlich auch ein bisschen akademisch verklärt. Was für uns in diesem Kontext die wichtigere Frage ist: Was ist gute Architektur? Wir versuchen dies immer wieder mit unseren Projekten zu beantworten, aber um gute Architektur zu bauen, braucht es zuerst mal den Willen dazu, und diesen braucht auch die Bauherrschaft. Gute Architektur hat sehr viele Formen, und man erkennt sie am besten, wenn die Freude über einen gebauten Ort nicht nachlässt.
Welche Tugenden sollte ein:e Architekt:in erfüllen?
Ehrlichkeit, denn wir sind treuhänderisch für unsere Bauherr:innen tätig. Versatilität, denn unsere Arbeit erfordert ein breites Spektrum an Wissen und Lernfähigkeit. Für junge Architekt:innen eine Prise Naivität, um sich nicht von Anfang an von der Grösse/Komplexität der Aufgabe abschrecken zu lassen. Genug Demut, um den Partnern zuzuhören. Für ältere Architekt:innen eine Prise Naivität, damit man die Begeisterung für das Neue nicht verliert und sich nicht in Abgeklärtheit im Kreise dreht. Genug Demut damit man weiss, wann man es nicht besser weiss. Und das Wichtigste: Menschenliebe.
Welche Rolle spielt der/die Architekt:in in der Gesellschaft?
Architekt:innen agieren schlussendlich im Bereich der Kultur. Damit Kultur sich weiterentwickelt, ist es immens wichtig, die Möglichkeiten ausserhalb des schon Bestehenden zu denken und dann auch zu zeigen. Wenn dem nicht so ist, herrscht Stillstand, was in einer sich ändernden Welt nicht funktionieren wird. Der gebaute Raum wird von allen erfahren, erlebt und benützt. Architekt:innen sind irgendwo zwischen Komponisten und Dirigenten der bebauten Umgebung.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Politik ist, wie die Architektur, eines der vielen Gesichter der Gesellschaft. Der Unterschied ist, dass die Politik eher dem Konsens verpflichtet ist, die Architektur eher dem Individuum. Was in diesem Sinne konkrete Forderungen betreffen würde: Gesetze und Verordnungen mehr auf Gebrauchstauglichkeit prüfen, sodass der Kompromiss, den es immer geben wird, mehr auf individueller Ebene verhandelt werden kann. Vielfach werden Gesetze angewendet, um Präzedenzfälle zu vermeiden, was nicht dem spezifischen Ort dient. Wir machen uns Sorgen, dass die gestalterische Fähigkeit der Politik hinter das, was die sich ändernde Welt verlangt oder braucht, stark zurückfällt.
Kann Architektur die Welt verbessern?
Davon, dass sie das kann, sind wir überzeugt. Es ist ihre Aufgabe. Unsere Aufgabe ist es, dies in die Welt hinauszutragen und Menschen immer wieder neu zu überzeugen, damit das Feld der Möglichkeiten weiter wird. In einer Zeit, in welcher der Wohlstand als auch die Ungleichheit extrem zunehmen, ist es umso wichtiger, dass Architekt:innen dieses Wissen, dass Architektur die Welt verbessert, nicht vergessen. Architektur ist keine Statusrepräsentation. Jede:r hat erlebt, wie es sich auf die Atmosphäre auswirkt, wenn man sich in sorgfältig gestalteten Räumen aufhält. Dazu muss man kein:e Expert:in sein.
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