Im Gespräch mit Cueni Architekten

„Wir müssen über grundlegende Strukturen reden.“ (Sascha Cueni) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.

Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Derzeit bestehen die baulichen Aufgaben im Büro aus zwei Umbauten, bei denen die Auseinandersetzung mit den Bewohnern und ihren Bedürfnissen im Mittelpunkt steht. Ausserdem erfordern die finanziellen Rahmenbedingungen griffige Gestaltungsprinzipien, um ein wertiges Resultat erreichen zu können. Mich interessieren dabei Fragen, wie ein Bestand durch Addieren und Subtrahieren weniger Bauteile transformiert und umgeschrieben werden kann. Dadurch entstehen Strategien, mit denen das Objekt bis in die Detailgestaltung ausformuliert werden kann. Ein weiteres Projekt entsteht in Zusammenarbeit mit einer befreundeten Architektin – ein Neubau, der Gewerbefläche mit integriertem Wohnen beinhalten soll. Jetzt, in der Vorprojektphase, diskutieren wir hauptsächlich über statische Struktur, Ordnung der Nutzungseinheiten und die grundlegende Materialisierung des Baukörpers. Auch hier ist die ökologische, ökonomische und strukturelle Gestaltung eine starke Triebfeder. Zusätzlich lehre ich seit mehreren Jahren Architekturgeschichte und -zeichnen an der Allgemeinen Gewerbe- und Höheren Fachschule Basel-Stadt.

Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Vor wenigen Tagen war ich mit meiner Schulklasse in der Kirche St. Anton von Karl Moser, um dort zu skizzieren. Seit meiner Kindheit ist mir das Bauwerk präsent, da ich in direkter Nachbarschaft aufgewachsen bin – es begeistert mich immer wieder aufs Neue. Wie der Sichtbetonbau in seiner höchst reduzierten Materialwahl und Formensprache der Wirkung des Lichts eine kraftvolle Bühne bereitet und den Betrachter in seinem Innersten berührt, finde ich unglaublich beeindruckend!

Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Grundsätzlich stehe ich neuartigen Materialien wertfrei gegenüber, da sie ein architektonisches, gestalterisches Potenzial in sich tragen können. Das bedeutet aber nicht, dass alles, was die Industrie entwickelt, unkritisch verbaut und propagiert wird. Im Gegenteil! Ich bin da sehr vorsichtig und beobachte dann mit zunehmender Projekttiefe, dass vonseiten der Bauherrschaft die Wahl auf natürliche Materialien fällt. Dazu braucht es aber die Bereitschaft von beiden Seiten: Vom Architekten, den Aufwand für die Konzepte zu betreiben, und von der Bauherrschaft, sich auf diese Auseinandersetzung einzulassen.

Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Eine generelle Idee von Schönheit habe ich nicht. Jedoch verspüre ich ein Unbehagen, wenn versucht wird, Architektur in einem allumfassenden Begriff wie „Schönheit“ zu erklären. Meiner Meinung nach wird es ihr nicht gerecht; dafür ist sie als Disziplin zu facettenreich und der Begriff zu subjektiv. Das Suchen nach der „Schönheit“ im Projekt ist unumstösslich prozessbehaftet.
Somit können je nach Gebäude unterschiedliche Formensprachen entstehen. Es kann sein, dass sich Gestaltungsthemen in einem weiteren Entwurf wiederfinden und weiterbearbeitet werden; aber grundsätzlich entstehen diese Gestaltungselemente immer im Dialog mit Bauherrschaft, Handwerkern und mir als Architekten. Vor allem entstehen sie nicht mit der ersten Skizze, und es braucht auch ein paar Extrarunden, bis sie sitzen. Wie soll ich es sagen; der Teig muss eben gut geknetet werden und braucht Zeit, um aufzugehen.

Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass ein Gebäude unabhängig der Projektgrösse zur Architektur werden kann. Am Ende ist es die Summe mehrerer Dinge, die ein Projekt reichhaltig, selbstverständlich und ausdrucksstark werden lässt. Die Auseinandersetzung mit dem Kontext, das Verständnis für die Geschichte des Ortes, das Bewusstsein für die Bauherrschaft usw., sind hilfreiche Ansätze, um die richtigen Typologien, Materialien und Detaillösungen zu finden. Wenn wir es schaffen, eine Sinnlichkeit zu wecken, ganz direkt und ungefiltert erfahrbar, dann erschaffen wir Architektur. Wenn das Gebäude ein emotionales Desinteresse auslöst, dann haben wir die Architektur verloren.

Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Es sind mehrere Tugenden, die zusammenspielen müssen, aber eine wertfreie Haltung ist sicher empfehlenswert. Man muss sich bewusst sein, dass man mit neuen Bauherren auch immer einen anderen Lebensentwurf mit eigenen Bedürfnissen kennen lernt. Das erfordert die Fähigkeit, auf Bauherrschaften einzugehen und dabei seine eigene Haltung zur Architektur zu bewahren. Jedes Projekt bringt neue konstruktive und regionale Voraussetzungen mit sich, die einzubeziehen sind. Dazu kommen die Herausforderungen der Klimakrise, der Energiewende, der Finanzierbarkeit, des Normenwerks usw. Alles Parameter, die es erfordern, beweglich zu bleiben, ohne in Hektik zu verfallen. Ähnlich dem Jongleur, der das Rotieren von zehn Tellern auf zehn dünnen Stäben mit eingespielter Leichtigkeit sicherstellt und keinen Teller fallen zu lässt. Wenn man bereit ist, diese Wege zu gehen, werden die Projekte auch vielschichtig und bereichernd.

Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Vielleicht ist es uns zu wenig bewusst, aber wir müssen uns immer vor Augen führen, welch grossartigen Beruf wir haben. Wir Architekten sind in der überaus glücklichen Situation, dass wir ein effektives Werkzeug in unseren Händen halten, mit dem wir unsere Umwelt gestalten können. Im Umkehrschluss müssen wir uns immer die Frage stellen, in was für einer Umgebung wir leben oder welche Idee von Architektur wir propagieren wollen. Denn was wir für uns planen oder für einen Ort skizzieren, hat über längere Zeit einen unmittelbaren Effekt. Somit haben wir eine grosse Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und unserer Baukultur, mit der wir nicht leichtfertig umgehen dürfen.

Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Fragen des Umweltschutzes, der wachsenden Bevölkerung oder der Verfügbarkeit der Ressourcen sind unglaublich schwierig zu beantworten. Wir müssen über grundlegende Strukturen reden. Der Diskurs unter Architekturschaffenden steht zwischen der unglaublich schnellen Bauindustrie und der frustrierend trägen Gesetzgebung, was es sehr schwierig macht, auf zeitgemässe und zielführende Strategien zu reagieren. Wir sollten bestehende Vorgaben kritisch hinterfragen. Welches Potenzial könnte zum Beispiel für Städte und den Wohnungsbau entstehen, wenn wir die Bauzonen um ein Stockwerk erhöhen? Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden, damit bestehende Substanz nicht aus rein ökonomischen Gründen abgerissen wird, sondern bestehen bleibt und umgenutzt werden kann? Wie kann das Bewusstsein für die Kreislaufwirtschaft im Bauwesen stärker forciert und damit ressourcenschonend geplant und gebaut werden? Wie schaffen wir es, den Wohnungsbau stärker aus der Spekulation zu nehmen? Wäre es eine sinnvolle Strategie, dass die öffentliche Hand bei Ausschreibungen einen maximalen Quadratmeterpreis vorgibt, der nicht überschritten werden darf?
Die Liste ist nicht abschliessend, aber die Antworten finden wir nur, wenn wir versuchen neue Wege zu gehen. Das schaffen wir nur in Zusammenarbeit mit der Politik.

Kann Architektur die Welt verbessern?
In der Geschichte gab es immer wieder Versuche, einhergehend mit politischen Manifesten, Architektur als Werkzeug für strahlende Utopien zu benutzen. Ziel war es, die gerechte Gesellschaft in einem idealisierten Rahmen erwachsen zu lassen. Ich denke jedoch, dass das die Architektur in dieser Gänze nicht leisten kann. Ich bin aber überzeugt, dass sie als Instrument dient, auf aktuelle Herausforderungen zu reagieren, um in neue Richtungen überzuleiten und nachhaltige Strukturen antizipieren zu können. Im Grunde kann man die Architektur als experimentelles Feld sehen, auf dem man Thesen formuliert, baulich umsetzt und deren Gebrauchstauglichkeit prüft. Die Motivation kann jedoch nur darin liegen, eine nachhaltige These verifizieren zu können, um neue Wege einzuschlagen – wenn man so will eine überaus empirische Herangehensweise.

Weitere Informationen zu dem Büro finden Sie hier.

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