“Architektur ist die Kunst der Möglichkeit” (Andy Senn) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Wir arbeiten zurzeit unter anderem an der Erweiterung und Sanierung der Schulanlage Notker in St. Gallen, einem Bau aus den späten Sechzigerjahren mit einem innen liegenden Pausenhof. In der Projektphase sind zudem die Erweiterung und Sanierung eines Hallenbads in St. Gallen, der Neubau Zentralgebäude Johanneum in Neu St. Johann und der Neubau einer Gesamt-Schulanlage in Chur.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Im Rahmen einer geplanten Publikation über das Architekturbüro Danzeisen + Voser aus St. Gallen hat mich deren Wohn- und Geschäftshaus für ein Sanitärunternehmen in St. Gallen aus dem Jahre 1964 sehr beeindruckt. Der sichere Umgang mit dem Volumen und die gestalterische Sorgfalt der Sichtbetonarbeit mit Brettschalung sind noch aus heutiger Sicht eine herausragende Architektur-Leistung.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Jedes Material hat seine besonderen Eigenschaften. Es soll so eingesetzt werden, dass es seine Vorteile und Stärken am besten zur Geltung bringen kann. Die Materialien an sich sind ja nie neu. Es sind die technischen Möglichkeiten und Herstellungsverfahren, welche neue Anwendungen möglich machen.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Schönheit in der Architektur ist dann erreicht, wenn man nichts mehr hinzufügen muss und nichts mehr weglassen kann.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Ein Gebäude wird dann zur Architektur, wenn es sich auf eine selbstverständliche Art im städtebaulichen und landschaftlichen Kontext einfügen kann und innen- und aussenräumlich überzeugt.
Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Als Architekt muss man sich immer wieder einarbeiten in die neue Bauaufgabe. Sich mit den Gegebenheiten und den Funktionsabläufen vertraut machen. Wie ein Schauspieler in eine neue Rolle eintauchen und die Lebenswelt sowie -umstände der Auftraggeber kennen und verstehen lernen. Wichtig ist es aber, dabei das Ganze im Auge zu behalten und sich vor allem den freien, unvoreingenommenen Blick auf die Welt zu bewahren.
Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Man plant und baut Gebäude, welche die Umgebung und die Menschen über eine lange Zeit prägen. Man arbeitet in der Gegenwart für kommende Generationen und denkt für eine weit voraus liegende Zukunft. Dessen muss man sich in diesem Beruf bewusst sein. Dadurch übernimmt der Architekt in der Gesellschaft eine wichtige Rolle.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Damit die Herausforderungen des Gemeinwesens erfolgreich gemeistert werden können, kommt der gebauten Umwelt eine wichtige Bedeutung zu. Die Politik soll die Architektur fördern und fordern. Das heisst, dass sie ihre Verantwortung als Bauherrschaft wahrnimmt und den Mut und die Weitsicht für zukunftsfähige Lösungen beweist. Dazu muss sie den gesetzlichen Rahmen und die verbindlichen Spielregeln festlegen und sich vor allem selber an diese halten. (Stichwort: Öffentliches Beschaffungs- und Wettbewerbswesen)
Kann Architektur die Welt verbessern?
Ja, das kann sie. Die Architektur ist die Kunst der Möglichkeit. Sie ist eine optimistische Disziplin und kann grundsätzlich aus jeder Situation das Beste herausholen.