„Die ganze von Menschen gebaute Umwelt ist Architektur.“ (Patrick Jaeger) – In unserem Format Vis-à-Vis sprechen Schweizer Architektinnen und Architekten über die verschiedenen Gesichtspunkte ihres Berufs und beantworten Fragen zu ihrer Idee von Schönheit und der Rolle, die sie in der Gesellschaft einnehmen.
Welche Aufgaben beschäftigen Sie gerade?
Wir sind gerade mit dem Bau zweier Wohngebäude in Basel und Region beschäftigt. Beim einen handelt es sich um ein genossenschaftliches Wohnhaus auf dem Lysbüchel-Areal, das von Themen wie „einfaches Bauen“, dem Flächenbedarf pro Kopf, dem Gemeinschaftsaspekt sowie einer herausfordernden städtebaulichen Situation geprägt ist. Beim anderen Gebäude handelt es sich um ein Generationenhaus mit fünf Wohnungen und einem Gartenpavillon. Für unser bisher grösstes Projekt, ein genossenschaftliches Wohnhochhaus aus Holz in Bern, stehen wir nach dem Wettbewerbserfolg in den Startlöchern. Nebst der Suche nach innovativen, zeitgemässen Grundrissen denken wir bei diesem Projekt die vertikale Erschliessung eines Hochhauses neu, die in ihrem Grundsatz nicht als sehr gemeinschaftsförderlich bekannt ist.
Welches architektonische Werk hat Sie kürzlich begeistert?
Nach Monaten ohne Reisen hat mich diesen Sommer wieder das Fernweh gepackt und mich letztendlich nach Südfrankreich geführt. Dabei hat mich die Bebauung der Hafenfront in Toulon von Jean de Mailly aus den 1950er-Jahren begeistert. Interessant ist, wie mit diesem grossmassstäblichen Eingriff mit vier linearen Gebäuden entlang dem Ufer eine spannende Lösung auf vielen unterschiedlichen Ebenen gesucht wurde. Die Durchlässigkeit des gesamten Gebäudekomplexes stellt eine interessante Verbindung zwischen Hafenpromenade und der dahinterliegenden Stadt her. Die stadtseitige Erschliessung ist offen gehalten und erweitert so die Erschliessungsebene der Strasse in die Vertikale bis zum Dach. Durch unterschiedliche Massstäbe bilden die Gebäude unterschiedliche, städtebauliche Zonen und adressieren so verschiedenste Nutzer.
Inwiefern unterstützen oder behindern neuartige Materialien die Architektursprache?
Die Anforderungen an Nachhaltigkeit der Gebäudehülle wie auch der gewünschte Komfort spiegeln sich in einer starken Technisierung der Architektur wider. Diesem Prozess stehen wir kritisch gegenüber. Vielmehr versuchen wir einen Weg zu finden, um einfach zu bauen. Dies bedeutet die richtige Wahl des konstruktiven Materials und herkömmliche Materialien durch nachhaltigere wie z. B. Beton durch Holz zu ersetzen. Auch sollten gängige Konventionen bezüglich Automatisierung und Komfort sinnvoll hinterfragt werden – mit dem Ziel, ein Projekt mit den vorhandenen Mitteln möglichst natürlich, nachhaltig und dauerhaft zu entwickeln. Neuartige Materialien, welche uns in diesem Denken unterstützen, finden wir dabei sehr spannend.
Haben Sie eine Idee von Schönheit?
Wie auch unsere Diskussion über gebaute Architektur oder architektonische Themen entwickelt sich wahrscheinlich unsere Idee von Schönheit mit unserem Schaffen ständig weiter. Basierend auf einem Verständnis von Notwendigkeit, Ausdruck, Proportionen und subjektivem Wohlbefinden. Auf die Architektur bezogen entwickelt sich für uns eine Schönheit des Projekts auch insbesondere durch den Gebrauch und das Beleben der architektonischen Kulisse im jeweiligen Kontext.
Wann wird ein Gebäude zu Architektur?
Unter dem Begriff Architektur verstehen wir unsere gesamte von Menschen gebaute Umwelt. Architektonische Qualitäten werden zu unterschiedlichen Zeiten immer wieder anders bewertet – gerade bei Nutz- oder Strukturbauten in einer pragmatischen Architektursprache lassen sich grosse architektonische Qualitäten finden. In dem Sinne sollte auch jede Bauaufgabe den Anspruch auf eine aktive Gestaltung haben.
Welche Tugenden sollte ein Architekt erfüllen?
Architekten gibt es so viele verschiedene, wie es verschiedene Gebäude auf dieser Welt gibt. In unserem ganzheitlichen Verständnis der Architektur – von der ersten Entwurfsskizze bis zur Bauvollendung – sehen wir das gute Kommunizieren und Moderieren als zentrale Eigenschaft. Mit Sensibilität und Empathie muss ein Architekt einen Perspektivenwechsel vollziehen können, um die Bedürfnisse aller Beteiligten zu interpretieren und zusammen mit den eigenen Wert- und Architekturvorstellungen in einem Projekt zu bündeln. Dabei darf man nie müde werden, mit viel Neugier Neues zu lernen und neue Lösungen zu finden.
Welche Rolle spielt der Architekt in der Gesellschaft?
Die Architektur formt unsere Umwelt und prägt wesentlich wie wir wohnen, arbeiten und leben. Somit bringt unser Schaffen als praktizierende Architekten eine grosse gesellschaftliche Verantwortung mit sich. Die Herausforderungen unserer Zeit verändern unsere Baukultur grundlegend. So sind namentlich die energetische und soziale Nachhaltigkeit, der reduzierte Flächenverbrauch pro Kopf, die Eindämmung der Zersiedelung unseres Landes wie auch der Umgang mit bestehenden Gebäuden und die Digitalisierung zentrale Aspekte unserer Arbeit – um nur einige Punkte zu nennen. Die daraus entstehende Diskussion sollte alle am Bau beteiligten Personen und idealerweise auch die Öffentlichkeit für diese Themen sensibilisieren.
Welche Rolle sollte heute die Politik gegenüber der Architektur spielen?
Gebaute Architektur findet in der Öffentlichkeit statt und ist somit grundlegend politisch. Folglich sind wir Teil dieses politischen Prozesses. Dabei sollte die Politik in enger Diskussion mit allen Beteiligten und Fachverbänden architektonische Visionen ermöglichen und diese in der Umsetzung fördern und gleichzeitig auch Verantwortung für die bestehende Baukultur übernehmen. Zentral für uns ist dabei die Anerkennung der Wichtigkeit des öffentlichen Raums für das Zusammenleben in unserer Gesellschaft. Von der Gestaltung der Plätze und Strassen, Freiräume bis hin zum Ausdruck der Fassaden.
Kann Architektur die Welt verbessern?
Ja, wir als Architekten können dazu beitragen, unsere gebaute Umwelt zu gestalten, schöner und lebenswerter zu machen.
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