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Haus des Fabrikanten

Das altehrwürdige Fabrikantenhaus beim Sonnenberg thront auf einer Anhöhe im malerischen Dorf Schwellbrunn. Das Haus wurde im 18. Jahrhundert anstelle eines niedrigeren Vorgängerbaus als Strickbau im klassizistischen Stil der damaligen Fabrikantenhäuser errichtet und entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einem stattlichen Appenzeller Bürger- und Wohnhaus. Nun ist es über die Stiftung Ferien im Baudenkmal zu mieten.

Die Schwellbrunner lebten hauptsächlich von der Viehzucht und dem Viehhandel, der Butter- und Käseherstellung, der Imkerei und dem Export von Köhlerholz. Aber auch die Textilindustrie hat in Appenzell eine lange und bedeutende Geschichte. Im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Region zu einem Zentrum der Textilherstellung, vor allem durch Heimweberei und Stickerei. In Schwellbrunn wurde zuerst Flachs gesponnen, dann Leinwand- und Baumtuch in Heimarbeit gewebt. Die Qualität der produzierten Textilien erlangte internationale Anerkennung. Appenzell profitierte von der Nähe zu St. Gallen, dem Zentrum der Schweizer Textilindustrie. Die Verflechtung der beiden Regionen in der Textilwirtschaft war durch gemeinsamen Handel, Produktion und Technologieaustausch gekennzeichnet. Die Blütezeit der Textilindustrie fällt in die Jahre 1780-1790. Damals entstanden die ersten Bauten entlang der wichtigen Landstrasse von St. Gallen ins Toggenburg. Prachtvolle Wohnhäuser aus dieser Zeit zeugen noch heute von der Bedeutung, die einzelne Fabrikanten und Händler in der Region erlangten. 

In Appenzell sind die Bauernhäuser in den regional verbreiteten Streusiedlungen sowie die Wohnhäuser in den Dörfern als typische Appenzeller Häuser mit ihren markanten Fallädenfassaden ausgebildet. In ganz Appenzell Ausserrhoden finden sich zudem zahlreiche Zeugen der lokalen Textilindustrie. So ist auch das Dorfbild von Schwellbrunn geprägt von Fabrikanten-, Bürger- und Arbeiterhäusern aus dem 18. bis 20. Jahrhundert. Hinzu kommen Weber-, Bauern- und Stickerhäuser ausserhalb des Dorfkerns sowie Fabriken entlang der Bachläufe. Das Appenzellerhaus ist traditionell in Strickbauweise errichtet. Die breiten Fensterbänder mit nach unten oder oben versenkten Fensterläden ermöglichten vom 15. bis ins 19. Jahrhundert eine bessere Belichtung für die Heimweberei: In fast jedem Haus, vor allem im Kanton Appenzell Ausserrhoden, stand im Keller ein Webstuhl für die Produktion der Ostschweizer Textilindustrie. Grosse Teile der Bevölkerung besassen zu dieser Zeit kein eigenes Land mehr für die Landwirtschaft. Die Bürgerhäuser in den Dörfern und Städten des Appenzellerlandes sind eng mit der Formensprache der Bauernhäuser verbunden. Durch die Aufnahme herrschaftlicher Baustile des Barock und Klassizismus entstand die lokale Ausprägung des historistischen Appenzeller Baustils, der bis heute durch die charakteristischen Fensterbänder geprägt ist. Die traditionelle Farbgebung des Appenzeller Bauernhauses erfolgte mit Farben, die als uninteressant für Holzschädlinge galten. So war beispielsweise Ochsenblutrot zeitweise weit verbreitet. Bei den Bürger- oder sogenannten Fabrikantenhäusern dominierte die Farbe Weiss.

Das Fabrikantenhaus wurde im Zuge des industriellen Aufschwungs des Ortes um 1851 vom damaligen Gemeindepräsidenten Johannes Zülli auf die heutige Grösse erweitert. Die gusseisernen Fenstergitter der Eingangstür mit den Initialen J.H. 1851 Z. bezeugen das Jahr der Fertigstellung des Umbaus. Das Haus blieb bis 1877 im Besitz der Familie. Eine Marmortafel im Keller erinnert an den nachfolgenden Besitzer: „Alt-Richter J. Konrad Schläpfer, geb. 20. März 1832, gest. 12. Dez. 1899“. Seinen Namen verdankt das Fabrikantenhaus vermutlich dem erfolgreichen Plattstichwebfabrikanten Johann Konrad Schläpfer-Biser (1855-1935), vermutlich ein Nachfahre des Richters, der sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend der Mechanisierung der Textilherstellung zuwandte. Er soll rund 400 Webstühle besessen haben, die in zahlreichen Kellern und Häusern von lokalen Heimwebern aufgestellt waren.Nachdem seit den 1860er-Jahren die Handweberei allmählich durch die Maschinenstickerei verdrängt worden war, wurde 1871 im Dorf Schwellbrunn eine Stickereifabrik gegründet. In den 1930er-Jahren verschwanden die Haupterwerbszweige Weberei und Stickerei aufgrund von Krisen fast vollständig. Dennoch prägt die Textilindustrie das Appenzeller Kulturerbe bis heute. Im 19. Jahrhundert betrieb Konrad Schläpfer, ein weiterer Nachfahre, im Untergeschoss ein Eisenwaren-, Haushaltswaren- und Schuhgeschäft. Daran erinnert heute eine Blechtafel im Eingangsbereich. 1909 ging die Liegenschaft in den Besitz von Konrad Schläpfer-Riis über. Die nachfolgenden Generationen der Familie Schläpfer nutzten die oberen Geschosse der Liegenschaft als Ferienhaus und vermieteten die unteren Geschosse als Wohnung. Aus diesem Grund wurde das Haus in den letzten Jahrzehnten kaum restauriert und blieb weitgehend im Originalzustand. Auch dank der hochwertigen Materialien, die beim Umbau von 1851 verwendet wurden, befand sich das Haus trotz seines Alters in einem guten baulichen Zustand.

Um das Jahr 2020 stand das Haus zum Verkauf. Ein ortsansässiger Liebhaber historischer Häuser sah grosses Potential in dessen Erhaltung als Kulturdenkmal. Auf seine Initiative hin wurde die „Stiftung Fabrikantenhaus Schwellbrunn“ gegründet und das Haus erworben. Bevor mit der Sanierung begonnen werden konnte, musste das Haus entrümpelt werden. Fünfzehn freiwillige Helferinnen und Helfer waren 217 Stunden im Einsatz, um insgesamt 19,8 Tonnen Material wie Kleidung, Möbel und Erinnerungsstücke aus mehreren Jahrhunderten, die sich im Haus angesammelt hatten, zu entsorgen. Historisch wertvolle Fotos, Bilder und Gegenstände wurden der Kantonsbibliothek übergeben oder zwischengelagert. Bei der sanften Renovierung in den Jahren 2023-24 wurde auf alte Handwerkstechniken zurückgegriffen. An der Hauptfassade wurde die Holzverkleidung abgeschliffen und neu gestrichen. Die anderen drei Fassaden wurden vom Eternit befreit und wie zuvor mit Schindeln verkleidet. Die Sanitäranlagen Anlagen und die Küche wurden aufgefrischt. Ansonsten wurde alles im Original belassen, d.h. vom Keller bis zum Dach wurden die vorhandenen Materialien verwendet und auf deren Qualität geachtet. Einige Gegenstände, die vor rund 100 Jahren zum Haus gehörten und ebenfalls Geschichte geschrieben haben, wurden im Haus belassen.  So zum Beispiel ein Feuerwehreimer, „Kasperli-Figuren“, ein Schaukelstuhl, eine Nähmaschine, Stühle und Familienportraits. Im Keller wurde die Haustechnik untergebracht. Seit September 2024 werden zwei Obergeschosse über die Stiftung Ferien im Baudenkmal vermietet, die zwei unteren Geschosse dienen als Kunst-, Kultur- und Begegnungsraum mit Platz für 50 Besucher. Die Umgebung kann im historischen Park rund um das Fabrikantenhaus genossen werden. Vom Haus aus hat man aus jedem Fenster einen herrlichen Blick auf den Säntis. Im ersten Obergeschoss befinden sich vier Stuben mit Innenfenstern und Fensterläden zur Raumunterteilung. Die Innenfensterläden dienten vermutlich dazu, in der kalten Jahreszeit die Wärme in den Räumen besser zu halten bzw. zu verteilen. Die Wände sind im gesamten Haus mit Fichtenvertäfelungen und Tapeten ausgestattet, die Bäder und die Küche mit historischen Fliesen. Die beiden Obergeschosse sind praktisch identisch, mit drei Zimmern Richtung Säntis und zwei weiteren Räumen (Küche/Bad) nach hinten.

©Studio Gataric

Weitere Informationen zu dem Gebäude finden Sie hier.

 

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