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Gesundheitsmaschine

Insgesamt neun Stationen vereint das 1978 in Dättwil erbaute Kantonsspital Baden unter seinem Dach. Obwohl es bis heute mit seiner effizienten Organisation überzeugt, genügt der Gesundheitsbau den gebäudetechnischen Vorgaben sowie den steigenden Anforderungen der modernen Medizin immer weniger. Der nebenstehende Neubau Agnes, fertigstellt unter der Gesamtleitung von Ghisleni Partner AG, bietet nicht nur rund 30 Prozent mehr Nutzfläche und modernste Ausstattung, sondern repräsentiert zugleich das Thema der „Healing Architecture“ vorbildlich. Helle Innenräume und Farben treffen auf natürliche Materialien wie Holz, Atrien mit Pflanzen lockern die Umgebung auf und die innere Raumorganisation wirkt einer sterilen Krankenhausatmosphäre entgegen.

„Das schönste Spital der Schweiz“, so wurde das Kantonsspital Baden von den damaligen Chefchirurgen bei seiner Eröffnung am 1. September 1978 gelobt. Doch knapp 50 Jahre intensiver Betrieb haben selbst am schönsten Schweizer Spital Spuren hinterlassen, sodass nun umfassende Neuerungsmassnahmen notwendig gewesen wären, um die Bausubstanz an die aktuellen Anforderungen hinsichtlich medizintechnischer, technischer sowie baulicher Aspekte anzupassen. Angesichts dieser Herkulesaufgabe wurde stattdessen ein Neubau in Erwägung gezogen, in dem alle wichtigen Funktionen sowie Aufgaben des Gesundheitsapparates noch effizienter gebündelt und  nach dem heutigen Verständnis von Gesundheitsbauten gestaltet würden. 

Hierfür wurde ein Studienauftrag im Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben, dem sechs Büros folgten und Vorschläge für den Neubau auf der grünen Wiese einreichten. Überzeugt hatte letztlich das Projekt „Agnes“ des Zürcher Büros Nickl & Partner Architekten Schweiz AG, die 2015 mit der Ausführung des Grossprojekts anfangen konnten. So zukunftsweisend dieser Neubau sich nun auch zeigt, zollt er dennoch der Vergangenheit Respekt und bezieht sich mit seinem Namen auf Agnes von Ungarn, die 1349 das nach ihr benannte Agnesspital der Stadt Baden stiftete. Sieben Jahre und leider einige Komplikationen später haben Ghisleni Partner AG die Generalplanung sowie das Projekt- und das Baumanagement für das Gesamtprojekt übernommen und fortan dessen Planung und Ausführung verwaltet. Die grösste Herausforderung war dabei, das von der Kantonsspital Baden AG bestellte Objekt gemäss des versprochenen Portfolios fertigzustellen und zugleich im zeitlichen sowie finanziellen Rahmen zu bleiben. 

Digitaler Zwilling
Mit der Übernahme der Baustelle hatten Ghisleni Partner ein nacktes Grundgerüst erhalten, dessen Ausbau sie in etwas mehr als fünf Jahre abschliessen konnten. Um diesem straffen Zeitplan für ein derart komplexes Grossprojekt gerecht werden zu können, wurden die ersten Wochen einer umfangreichen Bauaufnahme gewidmet, das gesamte Gebäude eingescannt und so ein virtueller Zwilling des neuen Spitals erstellt. Ein Aufwand, der im Anschluss ein Baustellenmanagement per BIM to Field ermöglichte und somit die Kommunikation zwischen allen Beteiligten erheblich vereinfachte. Aufgrund der digitalen Aufbereitung konnten alle Baupartner jederzeit auf den gesamten Datenpool zugreifen sowie ihre Notizen, Hinweise oder Aufgaben direkt eintragen und wenn notwendig auf Pendenzen hinweisen. Per Klick wurde das Modell aktualisiert. Dies erlaubte einen Überblick über den Istzustand oder ins gesamte Planmaterial sowie gewährleistete ein Live-Update des Baufortschritts. Dieses papierlose Baustellenmanagement war vor allem zur Zeit der Übernahme des Projekts ein wahrer Meilenstein in der Kommunikation, die letztlich eine sehr direkte und hindernisfreie Verwaltung der Grossbaustelle ermöglichte. Zugleich stellte die digitale Verwaltung ein überaus hilfreiches Tool dar, um die fortlaufenden Änderungen am Bau im Blick zu behalten: Die (Medizin-)Technik entwickelt sich über die Jahre stetig weiter, während jedoch die baulichen Rahmenbedingungen wie Raumdimension bzw. die Statik usw. beim Rohbau bereits umgesetzt wurden, sodass nachträglich immer wieder Zwischenausbauten angepasst und umgeändert werden mussten. Nur dank dieser kontinuierlichen Planung und aktuellen Änderungsmassnahmen konnte zur Eröffnung der modernste Spitalstandard garantiert werden.

Heilende Ausstrahlung
Der Neubau steht nun in der Verlängerung der Zufahrtsstrasse und stellt direkt neben dem hohen Kubus des bisherigen Spitals einen hingegen horizontal betonten Baukörper mit nur halb so vielen Stockwerken dar. Überzeugt hat das Projekt „Agnes“ jedoch nicht nur mit seiner natürlichen Einbindung in den Spitalkomplex, sondern vor allem mit seinem Konzept der „Healing Architecture“. Diesem zufolge sind sowohl die infrastrukturellen sowie die arbeitstechnischen Prozesse optimal ins Gebäude integriert als auch der Fokus aufs Wohl der Patient:innen und die bestmögliche Raumatmosphäre gelegt. Hierin spielt die Architektur nicht nur im Ganzen als raumbildende Disziplin eine ausschlaggebende Rolle, sondern ebenso das harmonische Zusammenspiel von Licht, Farben, Materialität und Akustik, um physisches und vor allem psychisches Wohlbefinden zu garantieren. So priorisiert das neue Verständnis von Gesundheitsbauten auf eine Umgebung, die sich sowohl aufs Krankenhauspersonal als auch die Besucher:innen positiv auswirkt und massgeblich auch auf die Patient:innen. Daher wird der typisch sterilen Spitalatmosphäre konsequent entgegengewirkt: Bereits beim Betreten schafft das Atrium mit seinen Glasfassaden einen geschützten Übergang zum Spital, der einen angemessenen Raum zum Begrüssen, Verabschieden sowie zum Warten einrahmt. Über diesen Vorplatz gelangt man in den überaus grosszügigen und hellen Eingangsbereich, der mit seinen Rolltreppen und seiner Weite eher einer Ankunftshalle gleicht oder an ein Einkaufszentrum erinnert, als dem gängigen sterilen Bild eines Krankenhausempfangs zu entsprechen. Die Halle erschliesst die ersten beiden Obergeschosse und garantiert mit ihrer eröffneten Raumhöhe sowie mit ihrer gesamten Dimension eine angenehme Verteilung der Besuchenden. Durch die Patientenaufnahme an vier versetzten Anmeldestationen wird der reibungslose Ablauf sowie ein möglichst effizientes Weiterleiten der Patient:innen zusätzlich unterstützt.

Etagenweise
Die einzelnen Abteilungen des Spitals verteilen sich auf den insgesamt acht Stockwerken, die sich zum Grossteil in der Organisation und ihrem Grundriss gleichen. Ein gemeinsamer Nenner aller Etagen ist der 185 m lange Korridor, der dort jeweils eine durchgängige Blickachse durch die Gebäudetiefe bildet. Im Parterre ist neben der Anmeldung das moderne Spitalbistro zu finden, wo bis zu 300 Personen mit frischen Speisen verköstigt und Wartezeiten bei einer Tasse Kaffee überbrückt werden können. Ebenfalls finden das Notfallzentrum und die Radiologie im Erdgeschoss und das interne Labor im ersten Obergeschoss Platz, sodass prompte Analysen und schnelles Handeln in akuten Fällen möglich sind. Ein wichtiger Baustein hierfür ist eines der beiden technischen Highlights des neuen Kantonsspitals Baden: eine Laborstrasse mit einem über 20 m langen Gerät für Blutanalysen, das extra für diesen Einsatzort über Jahre in enger Zusammenarbeit mit Roche entwickelt wurde. Die folgenden beiden Obergeschosse sind vorwiegend von Büroräumen der Ärzt:innen besetzt und nehmen die Mutter-Kind-Stationen auf. Eine strukturelle Zäsur in der Grundrissorganisation bildet das dritte Stockwerk, das die acht Operationssäle des Kantonsspitals aufnimmt: Jeder von diesen luftdichten Räumen bildet eine geschlossene Einheit, die autark mit Technik ausgestattet ist und somit in extrinsischen Notfällen vom restlichen Spital auf technischer Ebene vermeintlich abgekapselt werden kann. Nicht nur in der Organisation und der Funktion hebt sich das nach innen gewandte Stockwerk ab, sondern vor allem auch in der Materialiserung und demnach seiner Raumwirkung. Im Gegensatz zu den tapezierten und mit weisser Acrylfarbe gestrichenen Wänden und den Holzhandläufen im restlichen Neubau sind die Operationssäle mit Glaspaneelen verkleidet und vorwiegend mit Metallelementen ergänzt, wodurch die typische Krankenhausatmosphäre erweckt wird. Ebenso wurde hier auf Standard-Türbeschläge verzichtet und stattdessen Türöffner, die auf Druck oder Bewegung reagieren, verbaut. Anästhesie- und Aufwachräume komplementieren das Raumprogramm dieses Stockwerks und suggerieren mit ihrer sehr sterilen Erscheinung in Glas und Metall eine sehr technische Umgebung.
Einladender präsentieren sich hingegen die Bettenstationen, die vom vierten bis zum sechsten Geschoss bis zu 400 Patient:innen zur stationären Behandlung aufnehmen können. Mit ihrer qualitativ hochstehenden Ausstattung, den abgestimmten Materialien und dezenten, harmonischen Farben wird in den Patientenzimmern einer sterilen Krankenhausumgebung entgegengewirkt und ein möglichst angenehmer Aufenthalt angestrebt. Für Letzteres wurden in den sowohl als Einzel- als auch als Doppelzimmer nutzbaren Einheiten die technischen Installationen bestmöglich versteckt, um den Fokus mehr auf die Gesundheit als auf die Krankheit und die Behandlungsmethoden zu richten. Eine weitere Besonderheit der Bettenstationen, die den Patient:innen vermutlich verborgen bleibt, sind die Nasszellen – vor allem deren Ausführung. Diese wurden als Fertigbauteile erstellt und anschliessend als ganze Kammern eingesetzt, sodass ein schneller Einbau und folglich ein zügiger Baufortschritt sowie dank weniger Unternehmen vor Ort eine einfachere Baustellenkoordination möglich waren. Den Abschluss bilden auf den letzten drei Geschossen erneut diverse Fachbereiche, wobei sich zwei bis drei Abteilungen eine Etage teilen und durch vier Stützpunkte – jeweils in den Grundrissecken – organisiert und verwaltet werden. Um die Orientierung zu erleichtern und die Zugehörigkeit gut ersichtlich zu gestalten, hat jede Station eine eigene Farbe erhalten, die die Signaletik des Hauses zusätzlich unterstützt und den Innenräumen eine freundlichere Ausstrahlung verleiht. Logistische Abläufe und (arbeits-)strukturelle Prozesse wie die Zulieferung, die Garderoben der Mitarbeitenden, die riesige Industrieküche und die Haupttechnik wurden im Untergeschoss untergebracht und sichern das oberirdische Geschehen.

Digitale Assistenz
Wenn auch die technischen Aspekte des Krankenhausbetriebes zum grössten Teil unauffällig integriert wurden, sind Innovation und modernste Standards Aushängeschilder des Spitalneubaus. Einen Blick in die zukünftige Entwicklung der Medizintechnik verspricht hier das Hightech-Herzstück – der Da-Vinci-Operationssaal. Da Vinci ist ein dreiteiliger Operationsroboter, der jedoch nicht selbstständig bzw. vorprogrammiert arbeitet, sondern von zuständigen Chirurg:innen bedient wird und der ein Inbegriff moderner Chirurgie ist. Der Roboter ist direkt am Operationstisch fest verbaut, während etwas abseits der Computer mit zusätzlichem Monitor steht. In unmittelbarer Nähe ist schliesslich die Konsole positioniert, an der die Chirurg:innen sitzen und Da Vinci bedienen. Das 3D-Bild am Monitor liefert den Operateur:innen eine stark vergrösserte und hochaufgelöste Darstellung des zu operierenden Areals und ermöglicht es dadurch, selbst feinste Strukturen wie Nerven und Gefässe besser zu erkennen. Dabei werden die Bewegungen an der Konsole in Echtzeit an die vier Arme von Da Vinci übertragen, wobei der Roboter allzu heftige Manipulationen automatisch ausgleicht. Damit erweitert dieses Operationssystem das Spektrum der minimalinvasiven Chirurgie immens, und folglich kann immer häufiger auf eine offene Operation verzichtet werden. Doch auch selbstständig agierende Roboter kommen im Krankenhausalltag zum Einsatz – jedoch abseits der Operationssäle. Auf jeder Etage sind Andockstellen für die digitalen Helfer zu finden, die Aufgaben wie die Essens- und Wäscheausgabe übernehmen. Um diesen wortwörtlich keine Steine in den Weg zu legen und deren Wege barrierefrei zu gestalten, wurde auf sämtliche Schienen, Nischen und Schwellen im Boden und insbesondere bei den Türen verzichtet.

Vernetzt und abgeschirmt
Neben den sterilen und technisch ausgefeilten Operationssälen haben die einzelnen Untersuchungsräume der Radiologie eine enorme Aufmerksamkeit erfahren: Hier galt es unter anderem, spezielle Detaillösungen wie die explizite Verwendung von Nickel bei diversen Schrauben usw. in den MRI-Räumen, zusätzlichen Bleiverkleidungen bei den Beton-Blindlöchern sowie der Verwendung von hochdichtem Beton, um die Radioaktivität abzuschirmen, mitzudenken. Angesichts des Schutzes vor radioaktiver Strahlung musste in diesen Räumlichkeiten zudem eine absolute Luftdichtigkeit erreicht werden, wofür nicht zuletzt auch die genaue Positionierung der Hightech-Geräte ausschlaggebend war – statisch sowie den raumphysikalischen Werten geschuldet. Neben den bautechnischen Details liegt der komplexen technischen Ausstattung im gesamten Gebäude eine umfangreiche Leitungsführung zugrunde, die die einwandfreie Vernetzung sowie Funktion des Spitalablaufs garantiert. Hierfür wurden in der abgehängten Decke von rund zwanzig Unternehmen die technischen Installationen in bis zu sechs Lagen verbaut, und sie nehmen letztlich knapp 2 m der Deckenstärke ein. In Anbetracht dieser dichten und essenziellen Verflechtung diverser Kabel und Leitungen in den Wänden weisen selbst die Zwischenwände einen auffällig höheren Querschnitt auf. In Kombination mit weiteren Faktoren wie der Erdbebensicherheit ähneln die Trockenbauwände nun vielmehr Konstruktionswänden, in welchen selbst sämtliche Türzargen mit an sechs Punkten verschweissten Stahlkonstruktionen versehen sind.

Naturnah
Trotz all der Technik kommt der Bezug zum Grün dennoch nicht zu kurz – nicht zuletzt, um der Krankenhausatmosphäre bewusst entgegenzuwirken und dadurch eine möglichst angenehme Umgebung für die Patient:innen zu schaffen. Hierfür wurde die umgebende Natur in die Innenräume geholt: Insgesamt elf Atrien durchsetzen den Grundriss, bilden dadurch begrünte Oasen in den Etagen und lassen zugleich Tageslicht ins Gebäudeinnere fallen. Mit den grosszügigen Fenstern in allen Patient:innenzimmern wird zudem das umliegende Grün in den Innenräumen des Spitalkomplexes hautnah erfahrbar gemacht und die Atmosphäre somit deutlich aufgelockert. Mit diesen Massnahmen wurden wesentliche Aspekte der „Healing Architecture“ aufgegriffen und von der Theorie in die Praxis umgesetzt. Zusätzliche Frischluft und wortwörtlich einen Ort zum Durchatmen bieten die Aussenterrassen im sechsten und im vierten Stockwerk, die ein Begegnungsort für Patient:innen, Besucher:innen und Mitarbeitende sind. Begrünt, aber leider aus Sicherheitsgründen nicht begehbar ist das bekieste Flachdach des Neubaus, das mit unzähligen Installationen wie Blitzschutz, Abluft oder Aufbauten zur Fassadenreinigung und einem Helikopterlandeplatz besetzt ist und vorausschauend die Möglichkeit zur Aufrüstung mit solarer Energie offenlässt.

Mehr als Symptombekämpfung
Von der begrünten Umgebung über lichtdurchflutete Innenhöfe und Gänge bis hin zu jedem einzelnen Spitalzimmer – die Aspekte der heilenden Architektur ziehen sich konsequent als roter Faden durch den gesamten Neubau. Ebenso wie auch der menschliche Körper und seine Gesundheit ein Resultat verschiedenster Einflüsse ist und als ein grosses Ganzes betrachtet werden muss, wurde hier das Kantonsspital als ein komplexer Organismus betrachtet, dessen Architektur das psychische und physische Wohlbefinden massgeblich beeinflusst. Dabei muss sowohl die innere Organisation als auch die Funktionalität des Spitals berücksichtigt und mit seinen gestalterischen und wahrnehmungsrelevanten Aspekten in Einklang gebracht werden. Ein Zusammenspiel, das letztlich die Gesundheit priorisiert und Ästhetik mit Funktion vereint. Durch das Schaffen einer angenehmeren Umgebung steht eine schnellere Heilung und ein verkürzter Spitalaufenthalt im Fokus, sodass die Bettenzahl nur minimal erhöht werden musste. Dank des modularen Charakters erlaubt der Neubau künftig flexible Erweiterungen sowie die Erneuerung einzelner Gebäudeteile unabhängig vom restlichen Spitalkomplex.

© Silvano Gedreht

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