Für Körper und Geist

In Winterthur stehen der Mensch und seine Gesundheit im Fokus: Der Ersatzneubau aus der Feder der Basler Arbeitsgemeinschaft von RA-B (Rapp Architekten AG, Butscher Architekten AG) wandelt das Kantonsspital Winterthur zum modernen Gesundheitszentrum das eine effiziente Arbeitsumgebung mit einer Wohlfühlatmosphäre vereint. Hierfür wurde im Rahmen des Projekts „didymos“ das Bettenhochhaus aus dem Jahr 1968 durch ein vorgelagertes Gebäude ergänzt, ein eigenständiges Radio-Onkologie-Gebäude auf dem Areal realisiert und die Erschliessung des Spitalkomplexes neu organisiert.

1874 wurde das Kantonsspital nördlich des Winterthurer Bahnhofs ursprünglich als Klinik in eine grosszügige Grünfläche eingeplant und als Teil einer Parkanlage realisiert. Aufgrund veränderter Ansprüche haben sich im Laufe der Zeit die Gebäudestrukturen jedoch so weiterentwickelt, dass strassenseitig mittlerweile ein Parkplatz dem Grüngürtel seine Präsenz genommen hat. Doch genau dieser grüne Aussenraum wird im Projekt von Rapp Architekten und Butscher Architekten zu einem zentralen Thema: Bewusst beziehen die Planer die Landschaft in ihren Entwurf ein und schaffen letztlich durch das Zusammenspiel von Natur, ausgewählten Materialien und modernster Technik ein Gesundheitszentrum mit einer überaus patientenfreundlichen Atmosphäre.

Platz für Neues
Der Startschuss für den Ersatzneubau des Winterthurer Kantonsspitals wurde 2010 mit einem zweistufigen Wettbewerb gegeben, den die Planergemeinschaft RA-B Architekten – Rapp Architekten und Butscher Architekten – für sich entscheiden konnte. Der ursprüngliche Gedanke bezüglich der Sanierung des bestehenden Hochhauses von 1968 wurde dabei im Rahmen einer Machbarkeitsstudie verworfen und danach der Neubau des Bettenhauses anstatt einer aufwendigen Instandsetzung ausgeschrieben. Dabei sollte das neu errichtete Gebäude letztlich nicht nur mehr und vor allem qualitativen Platz für Patienten bieten, sondern insbesondere alle Krankenhausfunktionen des Komplexes in Verbindung bringen und somit einen optimalen internen Betriebsablauf gewährleisten. Dabei bestand das Grossprojekt „didymos“  – griechisch für Zwilling – aus zwei eigenständigen Bauwerken: 2015 wurde der Spatenstich für den Pavillon der Radio-Onkologie gesetzt und im Februar 2017 mit den Bauarbeiten des achtstöckigen Bettenhauses begonnen. Daneben gewährleistete der planerische Entscheid, den Neubau auf dem grossflächigen Parkplatzareal zu realisieren und den Abbruch des bestehenden Hochhauses erst nach der Fertigstellung durchzuführen, den Betrieb des Krankenhauses störungsfrei aufrechtzuerhalten.

Haltung zeigen
Das tragende Grundgerüst des achtstöckigen Ersatzneubaus bildet ein Raster aus durchlaufenden Säulen und eingezogenen Stahlbetondecken, das von einer dezenten vorgehängten Pfostenriegelfassade aus Travertin-Stein umhüllt wird. Das Erdgeschoss des lang gestreckten Baukörpers wurde – entsprechend der Raumhöhe des Bestands – in Teilbereichen zweigeschossig ausgeführt und eröffnet einen grosszügigen Eingangsbereich, der zugleich den Niveauunterschied des Geländes aufnimmt. Auf den weiteren sechs Etagen des Neubaus befinden sich die Behandlungs- und Büroräumlichkeiten der unterschiedlichen Abteilungen des Spitals, die dazugehörigen Patientenzimmer sowie die Gebäudetechnik auf einem ganzen Geschoss. Gleichzeitig wurden die ehemaligen Aussenparkplätze in der neu angelegten Tiefgarage den Besuchern sowie Patienten zur Verfügung gestellt, wodurch das Konzept der parkähnlichen Landschaft für den Spitalkomplex wieder in den Vordergrund rücken kann.

Im Kreislauf
Auf der insgesamt 33 783 m2 grossen neu erstellten Nettonutzfläche des Bettenhauses erfolgt die Verteilung der diversen Abteilungen des Kantonsspitals meist etagenweise – sodass beinahe jedes Geschoss auf andere Ansprüche und Anforderungen reagieren muss. Die gesamte fünfte Etage ist der Operationsabteilung vorbehalten, auf welcher der Ersatzneubau mit dem bestehenden OP-Trakt des Krankenhauses verbunden ist, womit die Zirkulation zwischen all diesen gewährleistet ist. Um eben jene Bewegungsfreiheit zu garantieren und in keinster Weise einzuschränken hat der OP-Bereich nur eine Stützenreihe, die durch eine statische Überspannung aus einer Träger-Brücken-Konstruktion im 6. Obergeschoss erreicht werden konnte. Somit wurde ein weitgehend stützenfreier Raum auf dem gesamten Geschoss geschaffen und gleichzeitig eine enorme Flexibilität für zukünftige Anpassungen erreicht. Innerhalb dieser grossen flexiblen baulichen Struktur wurden insgesamt sechs hochmoderne Standard- sowie ein Hybridoperationssaal untergebracht – Letzterer ist zusätzlich zur Standardausstattung mit verschiedensten Röntgenapparaten und weiteren Untersuchungsgeräten versehen. In ihrem dreiteiligen Raumensemble gleichen sich alle OP-Säle: Ein separater vorgelagerter Raum dient der Vorbereitung der Patienten, bevor diese in den eigentlichen OP geschleust und danach in der „Ausleitung“ für die Verlegung auf die Station endversorgt werden. Angelegt ist dieses Trio Y-förmig, sodass die Blickbeziehungen zwischen den Räumen gewährleistet sind, die Wege kurzgehalten werden und die notwendige Hygienekette nicht unterbrochen wird.

Qualitative Arbeitsumgebung
Doch nicht nur auf kurze Wege und einen reibungslosen Bewegungsfluss wurde bei der Planung Wert gelegt: Neu präsentiert sich auch die Gestaltung der Büroaufteilung, die mit einem Wandel von Einzelbüros zu gemeinschaftlich genutzten Arbeitslandschaften einen Philosophiewechsel aufzeigt. Durch das Schaffen von Arbeitsbereichen wurde auf die Nähe zum Patienten fokussiert, wodurch zugleich an Weg und Zeit eingespart werden sollte. Daneben wurden die Arbeitsplätze mehrschichtig umgesetzt: Verschiedene Bereiche und Zonen für das Personal wurden geschaffen, die die Ansprüche administrativer Tätigkeiten bis hin zu Rückzugsorten und privateren Räumlichkeiten abdecken. Infolgedessen wurde auch die Gestaltung der Personalräume in den Fokus gestellt, die  grosszügig und in einem klaren, stilvollen Design umgesetzt wurden. Von den Aufenthaltsräumen über die Personalküchen bis hin zu den Garderoben ist dieser Gestaltungswille ersichtlich, der den Arbeitnehmern eine möglichst angenehme Arbeitsumgebung und gleichzeitig einen ruhigen Rückzugsort bieten soll. Zugleich mussten die individuellen Ansprüche und Anforderungen der einzelnen Abteilungen und ihrer Angestellten berücksichtigt werden, wofür die Architekten 95 Untersuchungs- und Behandlungsräume in einem 60-cm-Raster ohne Fassadenanschluss realisierten. Diese Raster-Aufteilung ermöglicht für die Zukunft ausgerichtete flexible Behandlungsräume, die im Falle veränderter Bedürfnisse künftig in ihrer Grösse angepasst werden können. Der Anspruch an eine hochwertige Arbeitsumgebung ist selbst in den Operationssälen wahrnehmbar: Die Raumanordnung des dreiteiligen Ensembles, bei dem die Operationssäle jeweils zur Fassade hin orientiert sind, gewährleistet Tageslicht in deren Innerem und ermöglicht zudem die doppelte Nutzung jeweils eines Ausleitungsraums.

Gut umsorgt
Von einem bestmöglichen Ambiente profitieren nebst dem Personal vor allem auch die Patienten während ihres Spitalaufenthalts: In den insgesamt 213 Einzelzimmern, die mit wenigen Ausnahmen nach Süden ausgerichtet sind und mit grossen Fenstern einen Bezug zum Aussenraum gewährleisten, steht das Wohlbefinden der stationären Patienten im Vordergrund. Hierfür wurde in der Materialisierung der Zimmerausstattung auf viel Holz gesetzt und auf einen hohen Tageslichtanteil fokussiert. Gerade Letzteres wird durch den Erker erreicht, der mit einem Sofa bzw. Gästebett ausgestattet ist und darüber hinaus noch eine seitliche Lüftung ermöglicht. Durch eine integrierte Verglasung in der Innenwand gelangt das Tageslicht dabei sogar bis in die jeweiligen Nasszellen, wodurch der ansonsten bekannten sterilen Krankenhausumgebung bewusst entgegengewirkt wird. Zugleich entschied man sich bewusst für eine standardmässige Einzelbelegung der Zimmer: Dieser Luxus der reduzierten Zimmerbelegung resultiert aus dem Wunsch, mehr Ruhe und Intimsphäre in den Patientenzimmern zu garantieren und zudem einer höheren Infektionsgefahr  entgegenzuwirken. Vor allem Letzteres löst gleichzeitig platztechnische Probleme und umgeht somit die Notwendigkeit zusätzlicher Untersuchungsräume. Hinsichtlich des Raumklimas bieten der gesteuerte Sonnenschutz, der automatisch über Sensoren funktioniert, sowie der Klimaboden, dessen Fussbodenheizung im Winter wärmt und im Sommer als Kühlung fungiert, weitere Annehmlichkeiten, und man spart dabei zusätzliche Klimaanlagen ein. All diese Raumqualitäten sind darüber hinaus völlig unabhängig von der jeweiligen Versicherungsklasse Standard – lediglich in der ausgewählten Holzart unterscheiden sich die Zimmer. So ist Kastanienholz in den allgemein und europäisches Nussbaumholz in Räumen der Zusatzversicherten zu finden, die natürlich noch gewisse Zusatzleistungen bieten. Zudem sind die Patientenzimmer der Privatversicherten in den beiden obersten Etagen untergebracht und verfügen über zwei Suiten pro Etage, die  jeweils in kleine Wohneinheiten umgewandelt und als Doppel- bzw. Dreibettzimmer genutzt werden können. Einzig die Eckzimmer unterscheiden sich in zweierlei Punkten von den übrigen Patientenräumen, da diese Fensterfronten in zwei Himmelsrichtungen haben, somit von mehr Tageslicht profitieren, sowie aufgrund ihrer grösseren Fläche die Ansprüche von Adipositas-Patienten erfüllen. 

Farbkunst
Ausser den kleinen, feinen Unterschieden in der Materialwahl, die sich auf die Eigenfarbe der jeweiligen Holzart beziehen, differenziert ein Konzept mit vier ausgewählten Farben die ansonsten identischen Räumlichkeiten: Rot, Grün, Gelb und Blau sind die verwendeten Farben, die auf allen Stockwerken gemischt wiederzufinden sind, den einzelnen Zimmern eine Identität geben und dem Pflegepersonal zusätzlich zur Orientierung verhelfen. Dabei spiegelt sich jeweils eine der Farben in der Bettenrückwand sowie der Couch im Erker wider und unterstützt damit die positive Atmosphäre in der Krankenhausumgebung. Nebst dem Farbenspiel bieten noch die Liniengrafiken des Künstlers Yves Netzhammer eine Abwechslung zu den klaren Strukturen im Krankenhaus und dem schlichten Interieur sowie Mobiliar. Hierfür gestaltete der Schweizer Computerkünstler im Rahmen des Kunst-am-Bau-Projekts des Kantons Zürich die zweigeschossige Wand mit seiner Arbeit „Der Anteil Körper am Selbst“: Mit „eingravierten Zeichnungen“ überzieht er die Wand und führt randabfallende Linien an den Seiten und der Decke fort. Mithilfe eines­ ­Projektors­ werden­ auf­ die­ Wandfläche­ der­ Eingangshalle­ bunte Schablonen­ ­projiziert,­ die­ aus­ dem­ komplexen­ Liniengewirr­ fortlaufend­ neue physische Stadien entstehen lassen. Innerhalb eines 30-minütigen Loops ergibt sich somit im steten Wandel ein breites Feld vielschichtiger Assoziationen. Weiter verzierte er die zweischichtigen Glaswände zum Open-Space-Bereich der unterschiedlichen Abteilungen, für welche jeweils eine farbige sowie eine transparente Liniengrafik auf das sandgestrahlte Glas aufgetragen wurden. Zuletzt wurde mit einer neu erarbeiteten Signaletik das moderne Gestaltungskonzept des Kantonsspitalneubaus abgerundet, wofür unter anderem auch die einzelnen Baukörper eine neue Benennung durch Buchstaben erhielten.

Erschliessung
In der Umsetzung des neu angelegten Hauptzugangs an der Ostseite des Bettenhauses wurde ein grosszügiger, zum Teil zweigeschossiger Eingangsbereich geschaffen. Dabei priorisieren die Architekten eine gute Orientierung für Besuchende und PatientInnen sowie eine optimale Übersicht vom Empfang aus und holten sich hierfür Inspiration von der Logik eines Flughafenterminals. Für ein edles und zeitloses Design sowie ein einladendes Ambiente sorgt hier der beinahe fugenlose Terrazzoboden. Aufgewertet wird der neue Eingangsbereich durch  unterschiedliche Nischen mit Lounge und Wartezonen sowie einer öffentlichen Cafeteria. Die unterschiedlichen Aufenthaltsqualitäten dieser diversen Bereiche schaffen belebtere sowie ruhigere Zonen, die den jeweiligen Bedürfnissen der Patienten und Besucher gerecht werden können. Zudem wurde – wenn auch etwas unüblich – die Spitalkirche in das Zentrum der grossen Halle gesetzt, die durch eine reduzierte religiöse Symbolik sowie eine räumliche Trennung mittels Vorhänge verschiedenen Religionen Raum bieten kann. 

Altes Leid, neues Haus
Eine der vielen Abteilungen befindet sich im neu gebauten, viergeschossigen Haus R inmitten der umlaufenden Parkanlage des Kantonsspitals, das neuerdings die Radio-Onkologie aufnimmt. In diesem Departement behandelt das Kantonsspital Winterthur bereits seit über 100 Jahren Tumore durch Bestrahlung mit modernster Technologie und nun in einer einmaligen, patientenfreundlichen Umgebung – einem Pavillon im Park, in dem künftig rund 20 000 Strahlentherapie-Sitzungen pro Jahr bei Krebspatienten durchgeführt werden sollen. Ganz nach dem Eisbergprinzip ist mehr als die Hälfte des Gebäudes unterirdisch. Dies ist ein erster Beitrag zum nötigen Strahlenschutz. Zudem wurden die mit dem Linearbeschleuniger ausgestatteten Räume mit einer 1,8 m dicken Barybetonwand eingefasst. Zwischen den zwei oberirdisch versetzten Gebäudevolumen taucht das Terrain in die Tiefe und bildet so zwei Innenhöfe, die viel Tageslicht ins Innere bringen und damit massgeblich die Raumatmosphäre beeinflussen und das Wohlbefinden der Patienten steigern sollen. Eine Wendeltreppe führt von dort über den Eingangsbereich im Erdgeschoss bis in das 6 m unter dem Terrain liegende Behandlungsgeschoss. Zuoberst sind weitere Besprechungsräume und Büros untergebracht, in denen Ärzte, Medizinphysiker, Pflegefachleute und Psycho-OnkologInnen sich zur Besprechung von Behandlungen und Betreuungen treffen.

Energie geben
Neben den hohen Standards in den Innenräumen und deren Atmosphäre wurde bei beiden Gebäuden zudem höchste Sorgfalt auf Themen wie die Bauphysik und die Akustik gelegt. So wurde unter anderem der Wärme- und Feuchteschutz genauestens kontrolliert sowie auch eine optimale Bau- und Raumakustik sichergestellt. Darüber hinaus wurden sowohl das Bettenhaus als auch das Haus R nach den Anforderungen der Minergie-ECO-Standards realisiert. Zusätzlich wurde auf dem Dach des Bettenhochhauses eine Fotovoltaikanlage installiert, die von der Stadt betrieben wird. Die Energie wird in deren Netz eingespeist und mit dieser rückvergütet verrechnet.

Rundum bedacht
„Es wäre besser, das Krankenbett Gesundenbett zu nennen. Heilen kann nur der eigene Körper, die Seele und der Geist. Andere Menschen oder Dinge können dazu helfen“, erkannte einst schon Ebo Rau, ein deutscher Mediziner. Eben genau auf jene „Dinge“ sowie eine bestmöglich patienten- und arbeitsfreundliche Umgebung fokussiert der Ersatzneubau des Kantonsspitals Winterthur. So zeigt das Projekt die Bedeutung eines funktionierenden Kreislaufes gleich auf mehreren Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven: Angefangen bei einem effizienten Arbeits- und Bewegungsfluss über die optimale Patientenversorgung – medizinisch und auch auf psychischer Ebene – bis hin zum reibungslosen Energiekreislauf der Gebäudetechnik.

© Roman Weyeneth

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