Facetten der Nachhaltigkeit

Eine energetische Sanierung und eine qualitative Erweiterung des Wohnraums müssen nicht immer mit langwierigen Prozessen und kostenintensiven Lösungsmöglichkeiten einhergehen. Dass es auch anders geht, zeigt das Basler Studio Balthasar Wirz: Mit seinem ersten grossen Projekt beweist das Architekturbüro auf, wie in die Jahre gekommene Wohnhäuser kostengünstig und ökologisch aufgewertet werden können und dabei auch eine soziale Nachhaltigkeit gewährleistet werden kann.

Die Gemeinde Arlesheim ist als einer der bevorzugten Vororte der Stadt Basel bekannt: Dank ihrer guten Anbindung mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln an die Rheinstadt bringt das ehemalige Weinbauerndorf im Birstal die Vorteile des urbanen Treibens mit jenen des ruhigen ländlichen Vorort-daseins zusammen. Genau dort, wo sich Stadt- und Landleben optimal vereinen, stellt die Wohngenossenschaft Wolfmatten seit über 60 Jahren leistbaren Wohnraum an drei Standorten zur Verfügung. Der gleichnamige Wolfmattweg ist unter anderem einer davon: Die kleine, verkehrsarme Sackgasse wird beidseitig von unscheinbaren zweigeschossigen Genossenschaftsbauten aus den 1950er-Jahren geschmückt und eröffnet den Kindern der Nachbarschaft einen geräumigen, vielseitigen Outdoorspielplatz. Ursprünglich als Wohnraum für die Gemeindeangestellten errichtet, wurden die zwölf Wohneinheiten der Häuserzeile am Wolfmattweg 1-11 später aus dem Inventar der Ortsgemeinde verkauft und sind dabei in den Besitz der Genossenschaft übergegangen. Analog zur Generationsübergreifenden und familienorientierten Nutzung prägt auch im restlichen Quartier eine Mischung aus Ein- und kleinen Mehrfamilienhäusern die Architekturlandschaft und homogenisiert das Wohnumfeld. 

Keine Einbahnstrasse
Wenn auch verkehrstechnisch eine Sackgasse, soll dies im übertragenen Verständnis nicht Sinnbild für die weitere Nutzung dieser Wohneinheiten gelten: Weil die Überbauung energetisch nicht mehr zeitgemäss war und in ihren Wohnraumqualitäten nicht dem heutigen Standard entsprachen, musste die Bauherrschaft einen neuen (Aus-)Weg einschlagen. Hierfür wurde das Projekt im Direktauftrag dem jungen Architekturbüro Studio Balthasar Wirz anvertraut, das mit der Sanierung und gleichzeitigen Erweiterung der Wohnungen einen ganz individuellen Lösungsansatz umgesetzt hat. So vereint das abgeschlossene Bauvorhaben nicht nur Nachhaltigkeit – im ökologischen und ökonomischen Sinne – sondern bezog  auch in ganz besonderer Weise die Bewohnenden von Anfang an mit ein und berücksichtigte sie.

Prioritäten setzen
Um diesen sozialen und kollektiven Ansatz konsequent umsetzen zu können, standen zu Beginn der Planungs- und Bauarbeiten intensive Workshops mit den Genossenschafter:innen an, die vom Büro Denkstatt Sarl aus Basel begleitet wurden. In diesem wurden Wünsche, Prioritäten sowie Ansprüche in Erfahrung gebracht, diverse Möglichkeiten diskutiert und letztlich die notwendigen Rahmenbedingungen für den Entwurf definiert. Varianten mit oder ohne Balkon, eine Erneuerung der Bäder oder die Vergrösserung des Wohnraums wurden durchgesprochen und schlussendlich hinsichtlich des vorhandenen Budgets abgewogen. Mit dem Ergebnis, an der grössten Schwachstelle des Bestands anzusetzen, demnach die 8m2 grossen Küchen zu geräumigen, familiengerechten Wohnküchen zu erweitern und gleichzeitig den gesamten Bestand energetisch aufzubessern – Massnahmen, um den Bewohnenden die geforderte Wohnqualität gewährleisten zu können. 

Der Reihe nach
Die zusätzlichen rund 18m2 an Wohnfläche wurden durch sechs eigenständige, zweigeschossige Anbauten ermöglicht, die durch ihre klare räumliche Abgrenzung den Einfamilienhauscharakter der zwölf vergrösserten Wohneinheiten verstärken. Realisiert wurden die neuen, von der Strasse abgewandten Gebäudeteile aus vorgefertigten Holzelementen: Durch die Vorfabrikation konnte man einerseits den Ansprüchen an Nachhaltigkeit und der Thematik der Kreislaufwirtschaft gerecht werden sowie andererseits eine minimale Bauzeit von insgesamt sechs Monaten einhalten. Letzteres wurde darüber hinaus von einem klug gewählten Fundamentsystem unterstützt, das ohne etwaige Aushubarbeiten und ohne Betonierarbeiten umgesetzt werden konnte. Dank der Verwendung von stählernen Schraubfundamenten konnte der tragende Unterbau an einem Tag gesetzt werden, die als Pfeiler den Holzbau über dem Erdreich schweben lassen und dadurch die Hinterlüftung der Fassade garantieren. Innert weiterer drei Arbeitstagen wurden die Anbauten aufgestellt, bevor danach etappenweise nach Hausnummern der Abbruch der Küchenwände sowie der innere Ausbau folgten. Ein straffer und gut durchdachter Zeitplan, der den Bewohner:innen lediglich einen durchschnittlichen Unterbruch von sechs Wochen abverlangte, sie jedoch nicht zum temporären Auszug aufforderte. Gekocht wurde in dieser Zeit auf Herdplatten im Wohnzimmer, abgewaschen in der Badewanne und die Baustelle hautnah miterlebt – ein temporärer Umzug sowie ein eventueller Verlust der Wohnung konnte dabei umgangen werden.

Mehr ist mehr
Nun bilden der Holzanbau und der bestehende Massivbau einen grossen Wohnraum, fliessen nahtlos ineinander über und lassen die Grenzen zwischen Alt- und Neubau verschwimmen. Während genau diese Schnittstelle nun als schwellenloser Übergang wahrzunehmen ist, stellte diese mit ihren diversen Anschlussdetails und dem individuellen Setzungsverhalten die grösste Herausforderung des Projekts dar. Umso harmonischer und beruhigender ist nun dafür die Raumatmosphäre: Fast raumhohe und beinahe auch raumbreite Fenster öffnen den neu gewonnenen Wohnraum zum Garten hin, während weitere Fenster zu beiden Seiten zusätzliches Tageslicht ins Innere holen sowie gleichzeitig einen spannenden Blick in den Aussenraum und auf die anderen Wohnungen erlauben. Der lichtgeflutete Raum begeistert darüber hinaus mit seinen harmonischen Proportionen und lässt dank seiner offenen Gestaltung eine vielseitige, flexible Möblierung zu. Natürliche Materialien und insbesondere die Präsenz von Holz tragen hier ingesamt massgeblich zur wohnlichen Atmosphäre bei. Direkten Zugang zum privaten Garten hat man in den erdgeschosswohnungen. Dagegen profitieren die Einheiten im Obergeschoss – erschlossen jeweils mit einem eigenen, separaten Zugang – von einer überhohen, naturbelassenen Holzdecke, die für ein grosszügigeres Raumgefühl sorgt.

Anders, aber gleich
Das neue Highlight der 4-Zimmer-Wohnungen ist neben den grosszügigen neuen Fensterfronten die überaus hochwertige Küchenzeile. Da in jeder Wohneinheit die restlichen Räume unberührt geblieben sind, konnte ein wesentlicher Teil des Budgets insbesondere in die Ausstattung der erweiterten Küchen einfliessen: In dem ehemals 8m2 kleinen Raum wurden nun zwei unabhängige Küchenzeilen integriert, die ein angenehmes Farbspiel bieten. Während die eine Seite sich mit glänzend weissen Fronten präsentiert, konnten die Mieter:innen  die Farbe der zweiten Seite aus drei vorgegebenen Farbnuancen wählen und sich obendrauf ihren Wunsch nach einem Gasherd erfüllen. Speziell sind jedoch nicht nur die farbigen Fronten, sondern vor allem die hölzernen Griffe der Küche, welche vom Architekten spezifisch für dieses Projekt entworfen und produziert wurden. Diese stellen haptisch sowie optisch einen angenehmen Kontrast zu den schlichten, langlebigen Metallküchen dar und betonen den individuellen Charakter des Anbaus.

Gut in Form
Gleichermassen wie im Innenraum setzen die Anbauten auch im Aussenraum einen farblichen Hingucker: Während sie mit ihrer einfachen Form und Anordnung eine klare und einprägsame Architektur präsentieren und sich aufgrund ihrer strassenabgewandten Orientierung doch etwas verstecken, blitzen sie dafür mit ihrer ungewöhnlichen Farbgebung dennoch hervor. Dadurch sind sie trotz der gartenseitigen Ausrichtung von der Strasse aus erkennbar, heben sich vom Bestand ab und garantieren den hohen Wiedererkennungswert des Projekts. Die aufgeständerten Anbauten sind als klare Kuben ausgebildet, werden mit einem überstehenden, schlanken Pultdach abgeschlossen und sind mit einer Fassade aus Fichtenholz verkleidet. Im Rahmen der energetischen Sanierung hat auch der Bestand nicht nur neue Fenster, sondern zudem dieselbe Verkleidung der Anbauten bekommen, die die markante horizontale Fuge der Gebäudehülle fortführt, sich aber farblich abgrenzt. Denn während der Bestand analog zu der gegenüberliegenden Siedlung mit einer hellbeigen Schlammfarbe versehen wurde, zeigt sich die unbehandelte Holzlattung der neuen Kuben in einem dezenten Dunkelgrün.

Sozial und nachhaltig
Facettenreich zeigt sich das Projekt dabei letztlich nicht nur in seiner Gestaltung, sondern vor allem auch in Anbetracht der Nachhaltigkeit: Neben dem wesentlichen Beitrag zum klimagerechten und ökologischen Bauen wurde auch hinsichtlich der Nutzung auf Langlebigkeit und möglichst langfristige Zufriedenheit der Genossenschafter:innnen auf Nachhaltigkeit Wert gelegt und von Beginn an auf eine solidarische Planung gesetzt. So wurden nicht nur natürliche und gut recycelbare Materialien eingesetzt oder für eine gute CO2-Bilanz auf Beton verzichtet, sondern insbesondere die soziale Komponente berücksichtigt. Sowohl durch den Einbezug der Bewohnenden von Beginn an als auch die durchgehende Bewohnbarkeit der Wohnungen während der Bauarbeiten konnte letztlich ein sozialverträgliches Projekt entstehen, das individuelle Wünsche aufgenommen hat, die Gemeinschaft innerhalb der Genossenschaft fördert und dabei auch in den nächsten Jahren verstärkt das Gefühl des vermeintlichen Eigenheims der einzelnen Mieter:innen vermittelt.

©Kambiz Shafei

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